TV-Kritik: Kerner bei Sat 1:Natürlich ist das alles Käse

Kerner talkt nun wieder bei Sat 1, und damit alles anders bleibt, hat er Mario Barth, seinen Lieblings-Rechtsanwalt und ein Medium eingeladen. Eine kleine Nachtkritk des Stern-TV-Abklatsches.

Ruth Schneeberger

Man muss ja auch mal bedenken, wo der Mann herkommt: Vor 13 Jahren hatte Johannes B. Kerner schon einmal eine eigene Talkshow bei Sat 1. Damals sprach er, wie seine Kollegen Andreas Türck und Arabella Kiesbauer, mit seinen Gästen bevorzugt über Intimsphären, peinliche Erlebnisse und private Probleme. Unbekannter Moderator, unbekannte Gäste, billiges Format - die erste tägliche Trash-Talkshow bei Sat 1 war geboren.

Johannes B. Kerner, TV-Show, Sat 1, getty

Aus Johannes B. Kerner macht auch Sat 1 keinen Günther Jauch - obwohl er es gerne wäre.

(Foto: Foto: getty)

Zwischen den fernsehbegierigen Talkshowgästen der neunziger Jahre machte der schlaksige blonde Linkshänder zwar eine ehrgeizige, aber noch irgendwie angenehme Figur. Mit Reinhold Beckmann, der sein Chef beim Fußball-Magazin "ran" war, zechte Kerner die Nächte durch. Während einer solchen Nacht dachten sich die beiden sein künftiges Markenzeichen aus, das demonstrative B. als zweiten Vornamen. Nach seinem Wechsel zum ZDF schmuste Kerner dann in seiner eigenen Abendshow Beckmann-ähnlich mit Prominenten.

Dabei hatte man während seiner Dauerrepräsentanz im ZDF von Anfang an das Gefühl, er gehöre da nicht hin. Zu seicht die Fragen an seine Gäste, zu ungeschmeidig die Konversation, zu wenig Witz, zu viel Angst, etwas falsch zu machen. Zwar schien Kerner immer noch mehr an seinen Gästen interessiert zu sein als sein Ex-Chef Beckmann in der ARD es je sein könnte - aber man merkte ihm stets an, aus welcher Schule er kam.

Eine, um es milde auszudrücken, rege Werbetätigkeit für Wurst- und andere Waren, ein Interview mit einem 14-jährigen Vergewaltigungsopfer und eines mit einem elfjährigen Augenzeugen des Amoklaufs von Erfurt sowie der Rauswurf von Kollegin Eva Herman aus seiner Sendung brachten ihm nicht nur Freunde ein.

Nun also die neue Sendung auf dem für Sat 1 bisher so unglücklichen Sendeplatz am Montagabend, wieder aus Hamburg, wieder mit weißen Sesseln für die Gäste, doch diesmal soll so vieles anders sein, hatte Kerner zuvor verlauten lassen. Es werde nicht gekocht, er wolle keine Prominenten einladen, wenn die nichts zu erzählen hätten.

Da traf es sich gut, dass Mario Barth gerade in der Nähe war, um von seinen ausverkauften Hallen und von seiner Freundin zu berichten und anschließend drei Steaks zu braten. Also alles wie immer, nur jetzt wieder bei Sat 1?

Nicht ganz: Lahme Einspielfilme über Baustellen auf deutschen Autobahnen, ein Interview mit einer Ex-Aldi-Mitarbeiterin, die sich über die Geschäftspraktiken ihres ehemaligen Arbeitgebers beschwerte, Alltagstipps vom Rechtsanwalt zu angeblich skurrilen Rechtsfällen - die Themenauswahl erinnerte schon schwer an "Stern TV". Mit dem feinen Unterschied, dass Kerner eben nicht Günther Jauch ist.

Man habe von Aldi eine Stellungnahme oder ein Interview haben wollen, was aber weitestgehend abgelehnt worden sei. Wen außer Kerner würde diese Antwort überraschen, wo doch Aldi seit Anbeginn seines Bestehens für seine strikte Missachtung der Presseöffentlichkeit bekannt ist? Und wen interessiert der zigste Einspielfilm darüber, ob der ach so pfiffige Reporter es schafft, verschmutzte Pfandflaschen bei einer schlechtgelaunten Kioskverkäuferin einzulösen? Damit wäre die groß angekündigte journalistische Kompetenzoffensive durch den Altmoderatoren-Neuzugang für Sat 1 also gleich zum Start der Show geklärt.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie sich das eingeladene "Medium" auf Totensuche begab.

Sind hier noch Tote anwesend?

Dabei hätten genau zwei Gäste dem Moderator an diesem Abend helfen können: Mario Barth, einst gerngesehener Gast in seiner ZDF-Show, hätte Kerner ein zusätzliches Gefühl von Heimat vermitteln können. Doch Kerner begleitete dessen Ayurveda-Hotel-Erzählungen "mit der Freundin, kennste Freundin", die wohl lustig sein sollten, mit derart hündischen Lachsalven, dass es fast an Winseln erinnerte.

Der zweite alte Bekannte war Rechtsanwalt Ralf Höcker, der ebenfalls schon in einer der letzten ZDF-Sendungen bei Kerner zu Gast war, um zu tun, was er auch hier tun musste: Juristische "Halbwahrheiten" aufzudecken und darüber einmal mehr sein drittes Buch bewerben zu lassen.

Bei seinem letzten Besuch bei Kerner hatte Höcker noch für große Heiterkeit gesorgt, weil er das Wort "Kakerlake" konsequent falsch aussprach, was die Spaßmacher Christoph Maria Herbst, Jürgen Vogel und Michael "Bully" Herbig damals zu komödiantischen Höchstleistungen anstachelte. Das war vor genau zwei Monaten, und Kerner ließ sich noch während der Sendung zu der Einschätzung hinreißen, dies sei zwar nicht seine ernstzunehmendste, aber mit Sicherheit eine seiner lustigsten Sendungen gewesen.

Damit wird er wohl recht behalten. Was nun bei Sat 1 folgte, war eher traurig. Besagter Höcker nutzte die vielfach gebotene Gelegenheit, Tipps für brave Bürger abzugeben und mit großer Geste zu verkünden, dass Gerichtsshows nicht das wahre Leben widerspiegelten: "Das ist natürlich zum großen Teil Käse." Womit er zugleich recht treffend den 95-minütigen Abend charakterisiert hätte.

Zwei Dinge waren aber dann doch noch spektakulär: Erstens die beiläufige Kerner-Frage an das Schweizer "Medium" Pascal Voggenhuber: "Sind hier noch Tote anwesend?" In diesem Moment, schon gegen Ende der Sendung, hätte man ihm gerne zugerufen: "Ja, hier, vor Langeweile gerade verendet!" Zweitens eine unsäglich lahme Tonspur bei nahezu allen Einspielfilmen, die den Sprechenden eine so morbide Note gab, wie sie das "Medium" wohl gerne gehabt hätte. Dass es so etwas bei einer derart aufwändigen, vielbeachteten Fernsehshow heutzutage überhaupt noch gibt: Zum Totlachen.

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