Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik: "Ich kann Kanzler":Germany's Next Topstreber

Kuschel-Casting im ZDF: Bei "Ich kann Kanzler" trafen sich sechs junge Möchtegern-Politiker. Ein Abend voller Floskeln, Pannen und Größenwahn.

Lilith Volkert

Der neue Kanzler ist ein Streber. Über seinem Bett hängt ein Poster mit dem Grundgesetz. An der Wand sind Fotos von Ludwig Erhard. Und er hat tatsächlich 16 Ehrenämter inne. Er ist also ein toller Kerl und so wurde Jacob Schrot (CDU) mit 72,6 Prozent direkt vom Volk gewählt - mit 18 Jahren.

Kanzler ist Jacob Schrot - wenn auch nur für einen Abend, und das exklusiv beim ZDF.

Mit der politischen Castingshow "Ich kann Kanzler" verfolgt das Zweite Deutsche Fernsehen den größenwahnsinnigen Traum, den man bei einer öffentlich-rechtlichen Anstalt eigentlich nicht träumen dürfte: Wir Journalisten kontrollieren die Politiker nicht nur und hauen sie ab und zu mal in die Pfanne - jetzt schaffen wir sie uns auch selbst. Alles nach dem Motto: Mit dem Zweiten wählt man besser.

Mehr als 2500 Menschen zwischen 18 und 35 hatten sich für diese Show beworben, vier Kandidaten und zwei Kandidatinnen wurden ausgewählt. Sie präsentierten sich am Freitagabend einer Jury, einem repräsentativ zusammengewürfelten Durchschnittspublikum im Studio und dem - am Ende der Sendung - wahlberechtigten Fernsehdeutschland.

Kampf gegen Politikverdruss

Es sollte ein Kampf sein gegen die Politikverdrossenheit junger Erwachsener - und war wohl auch einer für eine höhere Einschaltquote bei just dieser Altersklasse. Casting wird ja immer gerne genommen, egal, ob die Teilnehmer singen, modeln oder Würmer essen. Hier mussten sie vor allem reden, etwas anderes machen Politiker ja auch nicht.

Insgesamt war das etwas spannender zu beobachten als die Übertragung einer parlamentarischen Ausschusssitzung im Spartenkanal Phoenix und hatte doch ähnlich niedrige Einschaltquoten. Die ZDF-Kanzler-Vorentscheidung am Donnerstagabend verfolgten nur 280.000 Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren (und eine knappe Million Ältere), beim Finale am Freitag dürften es nicht viel mehr gewesen sein. Immerhin beteiligten sich 180.000 an der Telefonabstimmung am Ende der Sendung.

Anfangs dürfen alle Kandidaten in einem Minikreuzverhör ihre "Idee für Deutschlan" vorstellen. Dann beginnt schon das Aussieben. Als erstes geht der Münchner Obama-Doppelgänger Delano Osterbrauck, der wie ein verbeamteter Staatssekretär hinter dem Rednerpult steht und - ein wenig zu gravitätisch - für "Vielfalt als Stärke" wirbt.

Ihm folgt Antje Krug, Hartz IV-Empfängerin und alleinerziehende Mutter von vier Kindern, die sich für Eltern-Kind-Kompetenzzentren einsetzt, von anderen Themen aber wenig Ahnung hat. "Frau Merkel hat ihre Berater, die hätte ich dann ja auch," sagt die 31-Jährige selbstbewusst.

Nach der nächsten Fragerunde zur politischen Allgemeinbildung - Wie hoch ist das Kindergeld? Spielte Konrad Adenauer in seiner Freizeit am liebsten Skat, Schach oder Boccia? - wählt das Publikum den eloquenten Autohändler Siegfried Walch aus Inzell aus der Runde. Zu großes bayerisches Selbstbewusstsein ist den Deutschen anscheinend unheimlich.

Zwischendurch versucht die etwas beißgehemmte Jury immer wieder, die Kandidaten auf eine Aussage festzunageln und ihnen nicht jede Politikerfloskel durchgehen zu lassen. Die aus dem Sat1-Programm bekannte Anke Engelke bemüht sich dabei um einen ernsthaften Gesichtsausdruck, schafft es aber nicht, sich aus ihrer Comedyrolle zu befreien und hat etwas zu viel "Respäääkt" vor den Kandidaten. Ladykracher sieht anders aus.

Günther Jauch in Joker-Laune

Henning Scherfs strengste Frage ist, warum Kandidat Philip Kalisch, 30, selbst noch keine Kinder hat - heißt sein Slogan doch "Macht Kinder, baut Schulen!". Der ehemalige Bremer SPD-Bürgermeister sagt nicht ohne Stolz: "In Ihrem Alter hatte ich drei Kinder und war Landesvorsitzender der SPD."

Auch der aus dem RTL-Programm ausgeliehene Günther Jauch - den sich laut Umfrage jeder zweite Deutsche als Kanzler wünscht - gibt nicht wie in der Vorauswahl den Bad Guy, sondern scheint am liebsten jedem Kandidaten einen Publikumsjoker schenken zu wollen.

Und so fehlt "Ich kann Kanzler" der einzige Grund, aus dem man sich Castingshows normalerweise ansieht: Das ist das - wenn auch nicht demütigende, so doch pointierte - Kandidaten-Bashing und eine gewisse Rivalität zwischen den Bewerbern. Ohne tränenreiches Scheitern macht auch der triumphierende Sieger nicht viel her.

Die sechs Kanzlerkandidaten der ZDF-Welt haben sich aber während der Vorbereitungszeit offenbar so gut angefreundet, dass sie wie eine verschworene Gemeinschaft wirken - während im wahren Politikerleben sogar unter Parteifreunden dermaßen ausgeteilt wird, dass man keine weiteren Feinde mehr benötigt.

Welches Bild von Politik das ZDF vermitteln will, zeigen die zahlreichen Einspielfilmchen: Helmut Schmidt schimpft im Bundestag über die "große Scheiße", Franz Josef Jung stolpert dreimal über den "Dalai Lama" und Edmund Stoiber weiß, "was es bedeutet, Mutter von zwei kleinen Kindern zu sein".

Der sonst so korrekte Nachrichtenschönling Steffen Seibert stolpert sympathisch unprofessionell durch die Moderation der zweistündigen Live-Sendung, sucht verzweifelt in seinem Computer nach den Abstimmungsergebnissen und duzt immer wieder ungewollt die ach so jungen Kandidaten.

Eine Prise Klümchen

Als die verbleibenden "Ich-kann-Kanzler"-Recken für den Straßenwahlkampf Plakate entwerfen sollen und dafür - in einem kurzen Beitrag - für eine Fotografin posieren, weht ein Hauch Heidi Klum durchs Studio. Bei der nächsten Disziplin, der kontroversen Diskussion, ist die Prise Klümchen aber schon wieder verschwunden.

Leider sind alle ähnlicher Meinung, ein Streitgespräch kommt nicht zustande: Die Türkei gehört auf alle Fälle in die EU, aber später halt. Und dass Horst Seehofer zu seinem Privatleben schweigt, ist irgendwie auch okay. (Der Wettbewerb im Aktenstudium und Mehrheit-Beschaffen wurde leider vergessen.)

Knapp kann sich Philip Kalisch gegen die türkischstämmige Schülerin Nuray Karaca durchsetzen. Er bekommt ein dickes Lob von der Jury für sein unangepasstes Erscheinungsbild - Piratentuch um den Hals - und den zweiten Platz in der Telefonabstimmung. Damit verpasst er knapp den Hauptgewinn, der mehr über die junge Generation aussagt als jede Studie: Ein Praktikum. Und ein Kanzlerinnen-Monatsgehalt von 16.000 Euro, das aber nur zweckgebunden ausgegeben werden darf.

Jacob Schrot, Deutschlands Superkanzler für einen Abend, war von Anfang an der Publikumsliebling, außerdem der Schlauste beim Wissenstest, der Routinierteste beim Straßenwahlkampf und der Eloquenteste in den Fragerunden. Wenn er sagt, dass "das ganze Leben Politik ist", dann mag man ihm das sogar glauben. Und wenn er im nächsten Satz - es geht um gerechtere Bildungspolitik - vielsagend über die "Leistungsträger" stolpert, dann ist das nur sympathisch.

Er ist ja auch einer - ein "Leistungsstreber", der für einen Abend Kanzler im ZDF war.

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