Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik: "Gülcan und Collien ziehen aufs Land":Salz auf unserer Kuhhaut

Lesezeit: 3 min

Tussi-Alarm in der Provinz: Pro Sieben hat Gülcan und Collien in den Kuhstall geschickt. Melken statt Maniküre. Die beiden sind zwar keine großen Tiere, aber Kleinvieh macht auch Mist.

Christine Dössel

Das Landleben ist rau und gefährlich. Das knöchelhohe Gras: eine Absatzfalle. Die Kühe im Stall: spuckende Kackmonster. An der Schlafzimmerwand, oh Schreck: eine Vogelspinne. Letztere stellt sich zwar als harmloser Weberknecht heraus, der von der Bäuerin kurzerhand weggesaugt wird, aber in Anbetracht der rustikalen Umstände - Badezimmer ohne Whirlpool! - ist das Setting für zwei bekennende Großstadt-Schicksen ("Bin ja auch nur ein Mädchen. Und 'ne Tussi.") eine Zumutung, um nicht zu sagen: ein Kulturschock.

"Gülcan und Collien ziehen aufs Land", von Pro Sieben ausgegeben als "Celebrity-Doku-Soap", ist insofern ein echter Feldversuch: Wie bewähren sich zwei It-Girls als Landeier zwischen Küche, Kuhstall und Kirmes?

Drei Wochen lang wurden die Viva-Moderatorinnen Gülcan Karahanci, verheiratete Kamps (25), und Collien Fernandes (26) in den Kuhstall geschickt. Nicht, um sie loszuwerden, sondern für ein Praktikum in ländlichem Leben. Auf einem Bauernhof im bayerischen Chiemgau einquartiert, sollen sie Familie Estermann zur Hand gehen bei der täglichen Haus-, Feld- und Stallarbeit. Damit treten die beiden, die von ihrem Sender als "Glamour-Girls" und "Jet-Set-Ladys" bezeichnet werden, in die Kuhdungstapfen ihrer viel berühmteren Artgenossinnen Paris Hilton und Nicole Richie, die in der US-Erfolgsproduktion "Simple Life" diese Form von Landverschickung vorgemacht haben. In der deutschen Variante ist es das Dschungelcamp-Prinzip, angewandt auf den Kuhstall: Hilfe, ich bin ein C-Promi, holt mich hier raus!

Aufgebrezelte Fremdkörper

Um eine dramatische Fallhöhe herzustellen, wurden die beiden Moderatorinnen zu Beginn von Folge 1 erst mal in ihrem natürlichen Umfeld gezeigt: Wie sie shoppen auf der Düsseldorfer Königsallee und in ihren Luxus-Appartements, in denen kein Buch den Platz für Schnickschnack wegnimmt, Batterien von Klamotten und Schuhe ansammeln.

Die schwarzmähnige Collien ist "handtaschensüchtig" und hortet Energy-Drinks, die blondinenwitzige Gülcan begrüßt ihren Schuhschrank täglich mit den Worten: "Hallo, Schuhschrank, guten Morgen!" So weit der Stand der Zivilisation in kultivierten Gefilden.

Dann werden die beiden Großstadtpflanzen in einen Hubschrauber verfrachtet und in der Wildnis des bayerischen Alpenvorlandes ausgesetzt. Zuvor mussten sie, wie Häftlinge vor der Einweisung, Geld, Kreditkarten und Handys abgeben - nicht aber ihre zwölf bis 13 Koffer mit den Schminkutensilien und den heißen Fummeln. Denn darum geht es in dieser Sendung ja: Aufgebrezelte Tussis als Fremdkörper unter den einheimischen Stämmen zu begaffen. Sexy sein im Viehstall. Den Voyeurismus und Sexismus bedienen - und natürlich auch die Schadenfreude.

Eine "Kulturclash-Dokusoap" hatte Pro Sieben versprochen, den Zusammenprall zweier Welten. Es ist aber nur ein Kultur-Trash, die Erfüllung zopfigster Klischees, langweilig bis zum Abwinken. Man glaubt den beiden Moderatorinnen ihre Ankündigung ja, dass "bei uns die Doofheit echt" ist. Und die Kabarettistin Gabi Decker hat vielleicht nicht ganz zu Unrecht über Gülcan mal gesagt: "Wenn sie 'nen IQ mehr hätte, wäre sie eine Suppe".

Wen juckt's?

Ganz so blöde, wie sie hier tun, können die beiden Fernseh-Hühner aber, bei aller Milde, gar nicht sein. Diese grundnaive "Ich bin ein Häschen und weiß von nichts"-Mentalität nimmt man ihnen einfach nicht ab. Weshalb ihre ach so spontanen Land-Kommentare auch nicht zünden. Wenn Gülcan angesichts von "so viel Grün am Stück" bemerkt: "Wie bei Heidi, weißt du?" und Collien darauf antwortet: "Wie Heidi Klum?", gehört das noch zu der gelungensten Sorte von Witz, die hier umzingelt wird. "Bus bin ich schon lange nicht mehr gefahren", sagt Gülcan, "und du?" Darauf Collien: "Flughafenbus." Okay, das ist nett. In den meisten Fällen wirkt die Doofheit der beiden dann aber doch sehr gespielt.

Kommen Bayern in Tracht vorbei, kommentiert Gülcan: "Sind das Statisten?" Alle sähen "so verkleidet" aus, "wie im Comic". Und im Stall fragt sie: "Warum haben die Hühner so VIP-Bändchen?" Ha ha, selten so gelacht.

Immerhin: Im Delegieren, Sich-Verdrücken und Männer-um-die-Finger-Wickeln sind die beiden durchaus glaubwürdig in ihrem Element. Der Koffertransport wird sofort an Einheimische übertragen, dem zwölfjährigen Markus luchsen sie sein Zimmer ab, um mehr Raum zu gewinnen und Klein-Thomas wird im Jungviehstall solange umflötet, bis er die Mistarbeit alleine macht. Zum Dank kriegt er einen koketten Hüftkick von Gülcan verpasst, die auch den gutmütigen Bauern Konrad zu erweichen weiß.

In der Bäuerin Roswitha haben sie da ein strengeres Gegenüber, auch wenn es den beiden Fernseh-Hühnern gelingt, der Chefin für die Fahrt zum Dorffest das Auto abzuhandeln. Auf dem Fest laufen sie dann auf wie zwei Diven beim Bravo-Award. Wovon sich die Landbevölkerung allerdings wenig beeindrucken lässt.

Der Exotik-Faktor dieses Sendeformats ist ohnehin längst ausgereizt. Alles so absehbar wie billig: Tussi-TV. Hanni und Nanni auf dem Land. Und keinen juckt's (nicht mal in der Lederhose).

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