TV-Kritik: Erwachsen auf Probe:Ich will ein Kind von RTL

RTL zeigt den dummen Jungs und Mädchen im Land, was eine Erziehungs-Harke ist: Die umstrittene Show "Erwachsen auf Probe" ist nützlicher als gedacht. Eine kleine Nachtkritik.

Ruth Schneeberger

Es gibt diese Mütter, die ihre Kinder gerne "kleine Scheißerchen" nennen und dabei nicht versöhnlich mit den Augen zwinkern. Man nimmt es ihnen meist nicht übel, weil jeder weiß, wie nervig kleine Kinder sein können. Wenn die Über-Mutter dem kleinen Sören zum zehnten Mal in aller Seelenruhe erklärt, dass er seinem Schwesterchen lieber nicht mit der Schaufel auf den Kopf hauen soll, ist man ja auch nur innerlich entsetzt, und übt sich nach außen in verständigem Lächeln.

TV-Kritik: Erwachsen auf Probe: Katja Kessler tritt als Erziehungs-Expertin auf und trägt - nicht auf diesem Bild, aber in der ersten Doppelsendung - total modebewusst Palästinenser-Schal.

Katja Kessler tritt als Erziehungs-Expertin auf und trägt - nicht auf diesem Bild, aber in der ersten Doppelsendung - total modebewusst Palästinenser-Schal.

(Foto: Foto: RTL)

Kindererziehung ist nun mal Privatsache, jede Einmischung von außen eine schwierige Sache. Dachte man.

Doch jetzt kommt RTL und zeigt den ganzen dummen Jungs und Mädchen, die selber erst mal ihr Leben in den Griff bekommen sollen, was eine Erziehungs-Harke ist. Nicht nur, dass auf Wunsch die Super-Nanny mit dem erhobenen Zeigefinger vor der Tür steht, um erziehungstechnisch ordentlich aufzuräumen. Nein, jetzt wird der Ernstfall geprobt:

"Teenager werden auch in Deutschland viel zu früh schwanger. Leider gibt es keine Ausbildung dafür - bis jetzt! Das Projekt 'Erwachsen auf Probe' wird zeigen: Sind sie reif genug für den härtesten Job der Welt?" Die bedeutungsschwangere Stimme aus dem Off klärt gleich zu Beginn, worum es hier im Privatfernsehen geht: um Häme.

Wir sehen im Folgenden vier Teenager-Paare, die auf der einen Seite niedlich genug, auf der anderen Seite problematisch genug sind, um eindeutig zu polarisieren: Die 19-jährige Lila und ihr 16-jähriger Freund Sebastian müssen nachvollziehbarerweise erst mal klären, wer die Frau im Haus ist; die 17-jährige Anji hat Angst, dass ihr 18-jähriger Mario wieder straffällig werden könnte; der 17-jährige Elvir hält Schlagen für ein gutes Rezept, seine 18-jährige Nadine zu domestizieren; der 18-jährige Sebastian, der Erzieher werden möchte, hält der 17-jährigen Tamara frotzelnd vor, sie solle in den Spiegel schauen, wenn sie wissen wolle, was "scheiße aussieht".

Noch nie hat es in Deutschland so viel Empörung gegeben über eine Sendung, die noch gar nicht ausgestrahlt wurde. Noch am gestrigen Mittwoch musste ein Gericht entscheiden, dass RTL den geplanten Sendetermin am Abend einhalten darf - entsetzte Eltern, Politiker, Familien- und Kinderschutzverbände werfen der Sendung Kindesmisshandlung vor.

Wohlgemerkt: Die Kritik richtet sich nicht auf die Zurschaustellung der Teenager, sondern darauf, dass hier echte Babys und Kleinkinder verliehen werden, um den "Ernstfall Baby" zu erproben. Dass also wehrlose Kleinstgeschöpfe für die Quote geopfert werden - ungeachtet dessen, ob sie beim Dreh Schaden nehmen, weil sie von der Mutter getrennt und so fremden wie hilflosen Jugendlichen überlassen werden.

RTL kontert mit dem Einwand, den Kindern habe stets eine Erzieherin, notfalls ein Psychologe und in jedem Fall die Mutter per Videokamera zur Seite gestanden, es habe nie etwas passieren können. Der Ausblick auf die nächste Staffel, den der Sender freundlicherweise am ersten Abend gewährt, zeigt etwas anderes: Das "Problem-Paar" Nadine und Elvir lässt die ausgeliehene 14 Monate alte Zoe-Marie alleine auf dem Wickeltisch liegen, die Nanny muss eingreifen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wofür die Sendung nützlich sein könnte.

Diese unerträgliche Häme

Natürlich besteht während eines solchen Drehs keine echte Gefahr für Leib und Leben der Kleinkinder. Den Streit um die Sendung daran aufzuziehen, ist erstens vergebene Liebesmüh und zweitens grundweg falsch.

Wäre etwas passiert, oder hätte RTL nicht für genügend Sicherheit gesorgt, wäre aus dem "Projekt" nie eine Fernsehsendung geworden. Und auch die Sorge vieler Kinderschützer, ein Baby für vier Tage von seiner Mutter zu trennen, sei unverantwortlich, weil darunter die Bindung leide, ist ein eher schwaches Argument: In deutschen Krippen werden tagtäglich Babys und Kleinkinder abgegeben. Auch hier sind manche Betreuer erst in der Ausbildung, und sie werden nicht von einem mehrköpfigen Filmteam beobachtet.

Auch aus unterhaltungstechnischen Gesichtspunkten hat RTL schon sehr viel schlechtere Formate aufgetischt. Jungen Paaren dabei zuzusehen, wie sie den Ernst des Lebens entdecken, hat durchaus seine unfreiwillig komischen Seiten.

Der Sender hält sich dabei noch verhältnismäßig zurück, schließlich sind ja Kinder im Spiel. Aber vielleicht gerade deshalb konzentriert sich das Format mehr als andere auf diesen einen Gesichtspunkt, der es dann doch unerträglich macht, die Sendung zu schauen: diese unendliche Häme. Es ist schlicht herablassend, immer wieder dramaturgisch lähmend darauf hinzuweisen, dass es sich die Teenager eben doch noch mal überlegen sollten, mit der eigenen Familie - auch wenn es stimmt.

Herablassung

Was bewirkt diese Herablassung in den Köpfen von Millionen Jugendlicher, die diese Sendung dank der großflächigen Protestbekundungen gesehen haben und noch sehen werden? Wie werden Jugendliche mit Kinderwunsch darauf reagieren, nachdem sich das wohlige Vergnügen über die Sendung gelegt hat? Mit einer Jetzt-erst-recht-Mentalität? Kinder bekommen trotz RTL?

Glücklicherweise bleibt wenigstens die "Erziehungs-Expertin", Dieter-Bohlen-Biographin und Bild-Chefredakteurs-Gattin Katja Kessler, die früher die berühmten Mädchen von Seite 1 betextet hat, in der ersten Doppelfolge eher im Hintergrund. Ansonsten trägt sie Pali-Schal aus modischem Bewusstsein und entscheidet, dass das Problem-Paar sein Probe-Baby erst später bekommen darf. "Kinder sind eben nicht nur das größte Glück dieser Erde. Genauso regelmäßig denkt man: 'Jetzt bring ich dich ins Tierheim und tausch dich gegen ein Meerschweinchen'"", lässt sich "Dr. Katja Kessler" in der RTL-Ankündigung zitieren.

Mit Tiershows aber lassen sich längst nicht mehr so viele Emotionen aus der Reserve locken wie mit Menschenbabys. RTL hat es geschafft, die vermeintlich letzte Hürde guten Gewissens zu stürmen. Mit einem Format, das besser ist als sein vorauseilender Ruf - und gut genug, endlich eine Grundsatzdebatte darüber auszulösen, was das Privatfernsehen darf und was nicht. Welche moralische Verantwortung auch die privaten Medien tragen, und wie die Gesellschaft mit ihren Kindern umgeht - unabhängig davon, welches Alter sie haben.

Wenn der Wirbel um die Sendung endlich einmal diese Debatte auszulösen vermag, und damit gleichsam viel menschenverachtendere Formate auf den Prüfstand gestellt werden, dann hat RTL damit ein wirklich gutes Werk und sehr viel mehr für den Fernseh-Nachwuchs getan, als ursprünglich beabsichtigt.

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