TV-Kritik: Die Weisheit der Vielen:Ich bin ein Experte - holt mich hier raus!

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Ist die Masse klüger als der Einzelne? Günther Jauch versuchte, diese Frage mit einer LiveShow zu beantworten. Wie er das gemacht hat, war schon fast eine Beleidigung des Publikums.

Carsten Matthäus

Um das Ergebnis des Experiments gleich vorweg zu nehmen: Es kam ein Unentschieden heraus beim Fernseh-Wettkampf zwischen den so genannten Experten und dem Publikum. Sechs Punkte für die Einzelkämpfer und sechs für die Vielen.

Günther Jauchs "Die Weisheit der Vielen" war wahrlich kein großer Wurf (Foto: Foto: dpa)

Was man von dieser Erkenntnis nun halten soll, weiß man nicht. Nur, dass die zweistündige Show eher Zeitverschwendung war. Am Schluss sagt Günther Jauch: "Jetzt geht's ab in den Dschungel!".

Er meint damit die nachfolgende, noch primitivere Show, spricht damit aber den einzigen weisen Satz des Abends. Denn die Zuschauer wurden in den Wald geschickt. Sie wissen nun, dass sie nicht wissen, ob die Weisheit der Vielen der des Einzelnen überlegen ist.

Der Reihe nach. 1906 sah sich der Wissenschaftler Sir Francis Galton einen Schätzwettbewerb an - es ging dabei um das Gewicht eines Ochsen - und wollte eigentlich beweisen, dass die Masse dumm ist. Das ging schief, denn das arithmetische Mittel der rund 800 Schätzungen stimmte ziemlich genau mit dem tatsächlichen Gewicht des Rindviehs überein.

Die Idee, die Stimme des Volkes in Wissensfragen ernst zu nehmen, war geboren. In seinem 2004 publizierten Buch "Die Weisheit der Vielen" versuchte der New Yorker Finanzjournalist James Surowiecki anhand vieler Beispiele zu untermauern, dass die Masse mit ihre Schätzungen immer besser liegt als der Einzelne. Mit seiner "Live-Event-Show" (RTL-Werbetext) machte nun der Moderator Günther Jauch am Sonntagabend zur besten Sendezeit ein paar Tests zu diesem Thema. Mehr als eine Million Zuschauer zahlten artig Telefongebühren (50 Cent pro Anruf), um bei dem Experiment dabei zu sein. Das Geld der Vielen war dem Privatsender also schon einmal sicher.

Eigentlich war die "Weisheit der Vielen" keine schlechte Idee, wären die Tests nicht gar so unsinnig gewesen und hätte man wirkliche Experten ins Rennen geschickt.

Lesen Sie auf Seite 2, wie sich die "Experten" schlugen

Aber sage bitte einer, warum die Familienministerin Frau Ursula von der Leyen eine Expertin dafür sein soll, wie viele Kinder zwischen 0 Uhr und 22 Uhr in Hamburg geboren wurden? Oder warum sollte Horst Lichter, der Fernsehkoch mit dem Zwirbelbart, das Gewicht einer Kuh besser schätzen können als eine x-beliebige Hausfrau?

Richtig fies roch es nach billigem Privatfernsehen, als Herr Jauch die Kuppelshow-Moderatoren Inka Bause ("Bauer sucht Frau") und Kai Pflaume ("Nur die Liebe zählt") mit den Worten ankündigte: "Wenn es zwei Experten in Sachen Liebe und Partnerschaft gibt, dann sind es diese beiden." Sie sollten aus neun Männern den herausfinden, der mit einer bestimmten Frau verheiratet war. Sie scheiterten genauso wie die Vielen. Einer Verspottung des Publikums kam es dann gleich, als live nach Australien geschaltet wurde, um die Dschungel-Experten Sonja Zietlow und Dirk Bach die Anzahl der Zähne in einem Alligator-Maul schätzen zu lassen. Auch sie lagen weit daneben - wen wundert's.

Der einzige wirklich ernstzunehmende Experte war Mathematik-Genie Gert Mittring. Er sollte eine größeren Anzahl von Euromünzen schätzen. Sein Tipp war besser als der der Masse, eine Frau aus dem Publikum aber schätzte die Summe fast auf den Euro genau. Sie bekam dafür die knapp 1500 Euro geschenkt. Was das aber zur Überprüfung der These beitragen sollte, konnte oder wollte keiner sagen.

Wenn schon der wissenschaftliche Erkenntniswert bis zum Ende der Sendung ausblieb, so hätte man vielleicht ein paar unterhaltsame Einlagen erwarten können. Doch auch dazu fehlte den Beteiligten Lust und Können. Koch Lichter wackelte mit seinem gezwirbelten Bart und brachte vollkommen abgehangene Scherze, Ex-Fußball-Rüpel Mario Basler hing völlig gelangweilt im Sessel, Fußball-Liebling Philipp Lahm lächelte immer etwas peinlich berührt, Ministerin von der Leyen bewahrte still ihre Haltung und die Moderatoren Bause und Pflaume waren durchgehend inhaltsleer gut drauf.

Man hatte fast Mitleid mit diesen Statisten einer traurigen Sendung und hätte ihnen den Fluchtruf des nachfolgenden "Dschungelcamps" gewünscht: "Ich bin ein Experte - holt mich hier raus!" Nur eine Erkenntnis bleibt: Wer diese Sendung nicht bis zum Ende angesehen hat, hat weiser gehandelt als viele.

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