TV-Kritik: Die Vorleser:Bis(s) zur Bestsellerliste

Literarisches Duett: "Die Vorleser" Amelie Fried und Ijoma Mangold suchen im ZDF den Konflikt, finden ihn aber nicht - die Sendung ist zu kurz.

Lilith Volkert

Es wird gerade viel über Verteilungsungerechtigkeit geredet und geschrieben, und das ZDF liefert ein anschauliches Beispiel für dieses Phänomen. Die neue Literatursendung "Die Vorleser" dauert 30 Minuten - deutlich kürzer als die Zeitspanne, mit der Thomas Gottschalk bei "Wetten, dass...?" regelmäßig überzieht. Wer im falschen Moment ins Badezimmer geht, hat schon die Hälfte verpasst.

TV-Kritik: Die Vorleser: Bis(s) zur Bestsellerliste, dpa

Buchvorstellung im Schnelldurchlauf: die "Vorleser" Amelie Fried und Ijoma Mangold.

(Foto: Foto: dpa)

Trotzdem sollte man dankbar dafür sein, dass sich die öffentlich-rechtliche Anstalt überhaupt wieder eine Sendung leistet, die sich mit dem Quotenkiller Buch beschäftigt. Auch wenn dieses Kulturhäppchen in den späten Freitagabend zwischen Nachrichtensendung und Kochshow gezwängt wird.

Fünf Bücher stellten die "Vorleser" Amelie Fried und Ijoma Mangold in ihrer halben Stunde vor, alle haben im weitesten Sinne etwas mit Familie zu tun. Alice Greenway erzählt in "Weiße Geister" vom Ende der Kindheit, Per Olov Enquists Autobiografie "Ein anderes Leben" handelt von der Einsamkeit des schwedischen Erfolgsschriftstellers und seinem Absturz in den Alkoholismus. Im gut abgesprochen wirkenden Dialog liefern Fried und Mangold in kürzester Zeit Inhaltsangabe, psychologische Interpretation und persönlichen Eindruck.

"Wie hingehaucht in seiner Schönheit", empfindet Mangold zum Beispiel Greenways Roman. Seit kurzem ist der 38-jährige Literaturkritiker stellvertretender Feuilletonchef der Zeit. Das merkt man aber nur, weil ihm gelegentlich Wörter wie "Assoziationsechoraum" oder "apologetischer Roman" rausrutschen - Vokabular, das eher der gehobene Kulturfreund als der durchschnittliche Fernsehzuschauer versteht.

Vorhang zu, Fragen offen

Die "Vorleser" sehen sich als literarische Vorkoster, die den vom Angebot überforderten Lesern eine gefällige Vorauswahl anbieten. Dass auch der Bestseller von Bernhard Schlink so heißt, soll nichts zu bedeuten haben. Vielmehr ist die Sendung der Versuch, eine Mischung aus den beiden bisherigen ZDF-Literatursendungen hinzubekommen: Dem "Literarischen Quartett" und "Lesen!"

Zwischen 1988 und 2001 trafen sich Marcel Reich-Ranicki und drei andere Kritiker regelmäßig zum ritualisierten Streitgespräch. Am Ende des "Literarischen Quartetts" fällte der Literaturpapst mit dem rollenden "r" sein absolutistisches Urteil und zitierte aus Bertolt Brechts "Der gute Mensch von Sezuan": "Und also stehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen". Je böser die Kritik des Quartetts, umso höher die Einschaltquote.

Wo bleibt die Provokation?

Auch die "Vorleser" zeigen immer mal wieder Konfliktbereitschaft. Vehement verteidigt Amelie Fried, selbst Schriftstellerin, den Roman "Heartland" von Joey Goebel gegen Mangolds Vorwurf, er sei "brav und bieder". Sie knickt aber recht schnell ein: "Man muss ja nicht alles toll finden."

Statt Literaturkritik betrieb Elke Heidenreich in ihrer Sendung "Lesen!" missionarische Literaturverherrlichung - ohne Ausrufezeichen machte sie es nicht. Sie wurde damit zur Heilsbringerin des Buchhandels: Was sie empfahl, verkaufte sich wie geschnitten Brot.

In bester Heidenreich-Manier kommen Fried und Mangold bei Anna Katharina Hahns Roman "Kürzere Tage" - zu Recht - ins Schwärmen: "Witz! Esprit! Und diese ätzende Beobachtungsgabe!" Ein Mitarbeiter muss aus der Kulisse winken, um sie an die schnell verrinnende Zeit zu erinnern. Ja, das Fernsehen: Es regiert das Sendeschema und dreißig Minuten sind verdammt kurz.

Kurz vor Ende darf der Schauspieler Walter Sittler einige Minuten auf dem roten Sofa Platz nehmen und dem Studiopublikum im Hamburger Hauptzollamt erzählen, was ihn an Erich Kästners "Als ich ein kleiner Junge war" so fasziniert. Auch Elke Heidenreich duldete in jeder Sendung einen Gast als Stichwortgeber neben sich.

"Literatur ist zum Lesen da"

Sie provozierte im Oktober 2008 ihren Rauswurf beim ZDF, als sie sich Marcel Reich-Ranickis Fernsehkritik vehement anschloss und ihren Arbeitsgeber dabei nicht schonte. "Das Fernsehen ist zu doof für Literatur", hatte Heidenreich schon 2002 erklärt. Jetzt empfiehlt sie Bücher im Internet - und die "Vorleser" träumen davon, an ihrer Stelle mit kleinen, feinen Empfehlungen die Bis(s)-Romane von Stephenie Meyer von der Spitze der Bestsellerlisten zu fegen.

Bleibt die Frage, wie tragfähig das Sendungskonzept der "Vorleser" wirklich ist. Denn für eine angeregte Diskussion wie im "Literarischen Quartett" ist keine Zeit, zudem ist der klassische Verriss nach eigenen Angaben gar nicht vorgesehen. Und Elke Heidenreichs Taktik - 30 Minuten hymnisches Durchquasseln, um noch schnell ein weiteres Buch in die Kamera halten zu können - funktioniert bei einem Duo nicht.

Aber vielleicht ist das alles auch gar nicht so wichtig. Was solche Literatur-Talks eigentlich bringen sollen, fragte sich Joachim Kaiser 1988 anlässlich der Premiere des "Literarischen Quartetts": "Literatur ist zum - man verzeihe das harte Wort - Lesen da." Recht hat er. Die wahren Analphabeten sind schließlich diejenigen, die zwar lesen können, es aber nicht tun. Weil sie gerade fernsehen.

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