TV-Kritik: Beckmann:Was wir noch nie über Sex wissen wollten

Lesezeit: 4 min

Westernhagen berichtet von seiner Tochter im Playboy, Isabella Rossellini dreht Tierpornos und Dr. Ruth rät zum Stundenhotel. Eine Nachtkritik.

Von Ruth Schneeberger

Irgendjemand muss der ARD gesteckt haben, dass es da neuerdings einen ganz heißen Trend gibt: sex sells. Also krallt sich das Öffentlich-Rechtliche auf der Stelle seinen brutalstmöglichen Investigativjournalisten, um das heiße Eisen umgehend televisionär anzupacken. Um das Thema Fortpflanzung möglichst schonend und gleichzeitig aufklärerisch an die Bevölkerung heranzutragen, lädt Reinhold Beckmann einschlägige Gäste zum nächtlichen Plausch, die allesamt ganz besondere Erfahrungen auf diesem Spezialgebiet zu vermelden haben.

Mit Isabella Rossellini, Inka Bause und Dr. Ruth Westheimer sollen "drei Frauen die wundersame Welt der Liebe erklären", so Beckmanns Einführung - und außerdem sitzt da noch Marius Müller-Westernhagen mit am Tisch, der kurz vor seinem 61. Geburtstag seine neue Platte verkaufen will ("Zu lang allein"). Da der Mann, wie es sich gehört, als erster und am längsten zu Wort kommt, hier ein Auszug aus seiner aufrührerischen Rede.

"Wir sollten erst mal klarstellen: Ich bin ja keine Frau", so Westernhagen, der mit dem Schocker "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" und dem Einheits-Brüller "Freiheit" einst Stadien füllte. Das Schöne an der Sache sei, dass inzwischen drei Generationen von Frauen für ihn schwärmen würden, und die ganz jungen Mädchen in der ersten Reihe bei Konzerten schon jünger seien als seine Tochter.

Dies ist das Stichwort für Stichwortgeber Beckmann: Was der Vater gefühlt habe, als seine Kleine im Playboy zu sehen war, will der einfühlsame Talker sanft bohrend erfahren. Nun, sie sei wirklich talentiert, befindet "MMW", und sie habe diese starke Energie, die für eine Künstlerin vonnöten sei, aber dieses ganze Theater um die Aufmerksamkeit, das habe er selbst nie nötig gehabt. Vielmehr dränge sich ihm der Eindruck auf, heutzutage müssten die jungen Leute erst berühmt werden und dann etwas leisten - zu seiner Zeit sei das noch umgekehrt gewesen.

Weshalb er höchstselbst, wenn Mitmenschen ihn auf seine "erfolgreiche" Tochter ansprächen, erwidern würde: "Erfolgreich womit?"

Kritische Töne schlägt der Sänger - der auch schon Schauspieler gewesen ist, aber vor einem Comeback als Mime zurückschreckt, weil die deutsche Öffentlichkeit eher Interesse an einem Scheitern habe - auch gegenüber Mitmenschen an, die nicht zum engsten Kreis der Familie gehören: Guido Westerwelle etwa könne er sich nur schwerlich als Außenminister vorstellen. Zu einem solchen Amt gehöre nun mal eine "gewisse Lässigkeit", die der FDP-Politiker bisher vermissen lasse, befindet der Sänger, der einst Gerhard Schröders Wahlkampf unterstützte. "Das ist das Einzige, worum ich mir Sorgen mache", sagt er, wobei er mit "das" die neue Regierung meint.

Bevor es nun aber zu wenig körperlich wird im Nachtprogramm der ARD, werden schnell zwei Damen hinzugezogen: Isabella Rossellini war mal das bestbezahlte Model der Welt und hat nun ein Alterswerk vorgelegt, das auf einer Kooperation mit dem ebenfalls nicht mehr ganz taufrischen Robert Redford basiert. Er als Produzent, sie als Regisseurin und zugleich Hauptdarstellerin - die beiden haben eine Serie von "Green Pornos" vorgelegt, die Tiere beim Sex zeigen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, welche Tipps Sexualtherapeutin Dr. Ruth auf Lager hat.

Das Projekt wurde zwar bereits 2008 auf der Biennale gezeigt, ist aber nun auch bis zum Ersten Deutschen Fernsehen durchgedrungen: Das ehemalige Gesicht von Lancôme, Tochter von Ingrid Bergman und Roberto Rossellini, verkleidet sich mal als Wal mit Riesenpenis, mal als geschlechtsverändernde Garnele und lässt sich ein anderes Mal von einer Gottesanbeterin beim Geschlechtsakt den Kopf abbeißen.

Im jeweils tierischen Ganzkörperanzug, mit ihrem berühmten milden Lächeln auf den teuer bezahlten Lippen, wirkt die 57-Jährige dabei eher mütterlich denn sexuell. Das hat Humor, wiederum aber nicht so viel, wie Dr. Ruth Westheimer dem Publikum weismachen will, wenn sie sich bei jedem neuerlichen Einspielfilmchen schier ausschütten möchte vor Lachen.

Die 81-jährige Sexualtherapeutin, die in ihrer Praxis in New York nach wie vor Patienten empfängt und an Elite-Unis sowie in bisher rund 500 Talkshows ein gern gesehener, weil stets schrullig-schräger Gast ist, steht ebenfalls nicht in dem Ruf, Unverfrorenes zu erzählen. Also darf Moderator Beckmann ihr getrost all die langweiligen Fragen stellen, die niemanden mehr interessieren würden - stellte sich beim Beckmann-Liebhaber nicht dieser unüberwindbare Moment ein, indem man nicht mehr umschalten kann, weil man unbedingt mitansehen möchte, an welchem Punkt der Sendung sich die Verheißung erfüllt, die da lautet: Der Moderator zerstört das Gespräch.

Bisher hat es Beckmann noch immer geschafft, mindestens einen seiner Gesprächspartner genau dann fröhlich zu unterbrechen, wenn derjenige gerade etwas Interessantes vorzutragen hat. Darauf war eigentlich immer Verlass. Den Part aber übernimmt diesmal zuvorkommenderweise eine andere Showgröße für ihn: Inka Bause. Das ist die Moderatorin von "Bauer sucht Frau" auf RTL, die auch Schlagersängerin ist ("Sei happy", "Pommes im Park"), mit ihrer stets mühsam zerstrubbelten Meg-Ryan-Frisur und ihren 41 Lenzen das geradezu teenagerhafte Küken der Runde.

Bause also, die als Teenie in der DDR mal ein Star war, ihren Landsleuten aber heute nicht mehr böse ist, dass diese nach der Wende lieber Nena als Inka hörten, möchte unmissverständlich festgehalten wissen, dass "ihre" paarungsbereiten Landwirte in der Landliebe-Show bei RTL "ganz liebevoll betreut" würden. Bei ihr habe sich noch kein Teilnehmer beschwert, das solle ihr erst mal einer nachmachen. Und diese tragische Geschichte mit dem Bauer Heinrich, tönt sie, der nicht mehr wisse, wann seine Zeit zu Ende sei, dafür könne sie nun wirklich nichts. "Wir können die Bauern nicht vor anderen Medien beschützen."

Wenn Inka gerade nicht redet, kann "Dr. Ruth" gerade noch krächzen, welche zehn Sexgeheimnisse ihr neues Buch enthalte, unter anderem, dass Paare sich regelmäßig zum Beischlaf im Hotel verabreden und dabei "ein schönes Nachthemd" mitbringen sollten. Da kann der Marius nur zustimmen, die vielbeschäftigten Japaner würden das schließlich auch so machen, und während Inka angestrengt grinst, lächelt Isabella milde und Reinhold hat es wieder mal geschafft, eine Sendung ohne Höhepunkte über die Bühne zu bringen.

Da wurde es Nacht in der ARD.

© sueddeutsche.de/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: