TV-Kritik: Anne Will:Die Leiden des Wolfgang Schäuble

In die Verantwortung abgeschoben wurde CDU-Senior Schäuble. Der TV-Talk im Ersten macht klar, was der Neu-Finanzminister hinnehmen muss.

Hans-Jürgen Jakobs

Da saß er, der neue Schuldenminister der Republik. Der Mann, den die künftige Last als Finanzminister fast zu erdrücken scheint. Wolfgang Schäuble war erstmals bei Anne Will in der ARD in der Großmission unterwegs, einerseits Steuersenkungen zu verteidigen, andererseits aber Haushaltskonsolidierung auszuloben.

Wolfgang Schäuble Finanzminister cdu ddp

Wolfgang Schäuble akzeptiert die ihm zugeteilte Rolle als Schuldenminister - doch bei "Anne Will" war ihm sein innerliches Hadern anzusehen.

(Foto: Foto: ddp)

Er ist der neue Mann fürs Grobe. Dabei ist er in der neuen Koalition das wahre Sensibelchen.

Schicksalsergebener Polit-Senior

Dass der CDU-Politiker und Noch-Innenminister den Amtswechsel eher preußisch, das heißt, ohne Euphorie hinnimmt, war im Fernsehstudio sinnlich erfassbar. Schäuble raunte etwas von "schwieriger Aufgabe" und "ehrenvoller Zukunft".

Den Eindruck, hier werde ein 67-Jähriger als Notnagel an einer Position eingesetzt, wo er sich ruhig unbeliebt machen kann, zerstreute er an diesem Abend nicht. "Das nimmt man dann so hin", sagte er zum Wunsch der Bundeskanzlerin, den Kassenwart zu spielen.

Der Routinier hat also den Job, den Peer Steinbrück mit Verve, argumentativer Bissigkeit und jener Unerschrockenheit ausfüllte, die auch vor den berühmtesten Steueroasen nicht haltmachte.

Schuldenminister Schäuble aber scheint die Unbill des Kämmerers in Büßerhaltung durchstehen zu wollen: Er nickt in einem fort, und bei besonders heiklen Punkten schlägt er die Augen nieder. "Ich bin nicht everybody's darling", sagt er einmal. Klar. Everybody's Depp will er wohl auch nicht sein.

Wie saure Bonbons

Einmal wird Schäuble an diesem TV-Sonntagabend laut, als der gutaufgelegte Grünen-Politiker Jürgen Trittin von den gebrochenen Wahlversprechen der Angela Merkel redet und der Klientelpolitik und dem diskutierten Nebenhaushalt.

Ob denn die Sparpolitik des Reichskanzlers Heinrich Brüning Anfang der dreißiger Jahre besser gewesen sei, zischte der CDU-Mann, Trittin solle doch nicht davon reden.

Genüsslich nahm der Grüne Schäubles eigene Analyse auf, die geplanten höheren Kinderfreibeträge brächten wenigverdienenden Familien gar nichts, weil sie ja ohnehin keine Steuern zahlen. Ebenso süffisant fügte er an, der erfahrene Minister solle wohl Konflikte mit dem Bund glattziehen.

Dann kam wieder so ein Moment, an dem Schäuble aussah, als habe er auf saure Bonbons gebissen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich die anderen Gäste schlugen.

Schuldenminister im Studio

Der Finanzminister in spe wirkte unsicher, was freilich bestens zum Holperstart der schwarz-gelben Koalition passte. Der Zuschauer jedenfalls wurde beim Anblick des Manns in Schwarz das Gefühl nicht los, es werde bald in der Nation zu unangenehmen Abgabenerhöhungen kommen.

Nur Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt durfte sich in der eitlen Gewissheit sonnen, hier werde unter Schwarz-Gelb seiner Lobby gedacht. Schäuble radebrechte, es werde vielleicht 2011 zu den versprochenen Steuersenkungen kommen, andererseits wüsste man ja nicht, wie sich die Wirtschaftskrise entwickle.

Gesamtdeutscher Watschenmann

"Wir fahren auf Sicht", gab der Minister kund. Diesen Satz gebraucht er derzeit oft.

Wo es Schäuble bei "Anne Will" an Eloquenz fehlte, wollte dies der Jungliberale Johannes Vogel im Stil der neuen Angeber-FDP mit Schnellrednerei ausgleichen, was fatal an Haustürgespräche von Staubsaugervertretern erinnerte.

Unbarmherzig legte dagegen die Zeit-Journalistin Elisabeth Niejahr die Anfangsschwächen der neuen Koalition bloß - und sah überall Inszenierung und wenig Vertrauen. Warum denn nicht ganz einfach angekündigt werde, die Hartz-IV-Sätze für Kinder zu erhöhen?

Schäuble hielt das genauso aus wie die boshaften Einspielfilme. Seine Chefin hat ihn, den ewigen Rivalen, den Star der Helmut-Kohl-Zeit, in die Verantwortung abgeschoben. Seine Rolle ist die des gesamtdeutschen Watschenmanns.

Und so saß er also da, der Schuldenminister im Studio, und sagte allen, wie ernst die Lage ist. Verknöchert, blass, müde.

Schäuble kann nicht anders, er muss sich diese Bürde am Schluss der Karriere noch einmal zumuten. Fürs Fernsehen gibt's Schmerzensgeld.

Die Pflicht rief, auch im Ersten. Da wollte der Badener nicht "Nein" sagen. Irgendeiner muss ja am Ende all die Milliarden addieren, die fehlen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: