TV: Heilung unerwünscht:Recht und billig

Millionen von Neurodermitis-Kranken könnte geholfen werden - doch die Pharmaindustrie blockiert das Medikament. Eine ARD-Dokumentation über Profitgier und ihre Folgen.

Katrin Blawat

Die Schweinegrippe ist für die Pharmaindustrie eine einträgliche Sache, sie verdient Millionen an den neuen Impfstoffen. Doch ungetrübt ist die Freude darüber in den Konzernen wohl nicht mehr, denn in der Öffentlichkeit hat ihr Image in den jüngsten Monaten mächtig gelitten. Die Branche stelle die Profite über die Sicherheit der Menschen, heißt es. Und es wird den Firmen schwerfallen, diesen Vorwurf zu entkräften.

TV: Heilung unerwünscht: Augen, Nase, Mund - und viel kaputte Haut: Die Zahl der Kinder, die unter Neurodermitis leiden, wächst stetig. Dabei gibt es offenbar seit Jahren ein Mittel, das wirkt. Doch die Arzneimittelbranche will es nicht produzieren.

Augen, Nase, Mund - und viel kaputte Haut: Die Zahl der Kinder, die unter Neurodermitis leiden, wächst stetig. Dabei gibt es offenbar seit Jahren ein Mittel, das wirkt. Doch die Arzneimittelbranche will es nicht produzieren.

(Foto: Foto: WDR)

Der Film, den die ARD nun eine Woche vor der Auslieferung der Schweinegrippe-Impfstoffe ausstrahlt, dürfte die Sache nicht einfacher machen. Mehr als ein Jahr lang hat Klaus Martens für seine Dokumentation Heilung unerwünscht. Wie Pharmakonzerne ein Medikament verhindern die Geschäftspraktiken der Branche recherchiert. Das Ergebnis ist ein Beitrag, in dem sich die Guten und die Bösen sehr klar voneinander unterscheiden lassen, fast so, dass es einen schon wieder misstrauisch machen könnte. Dass man es am Schluss doch nicht ist, spricht für Martens Recherche und seine Art der Aufarbeitung - und gegen einen Wirtschaftszweig, der zwar wie jeder andere Geld verdienen muss, dabei aber zu oft vergisst, dass er mit einem besonderen Gut handelt: der Hoffnung von Menschen auf Gesundheit.

Acht Millionen Menschen leiden in Deutschland an Schuppenflechte und Neurodermitis. Die Medikamente dagegen haben starke Nebenwirkungen, doch heilen kann die Hautkrankheiten keines. Bis zwei Studenten Ende der 1980er Jahre in ihrer Wohnung in Wuppertal ein kleines Labor mit einfachen Gerätschaften aufbauen. Karsten Klingelhöller und Thomas Hein mischen pulvriges Vitamin B12 mit Avocadoöl und lassen Klingelhöllers Freundin, die an Schuppenflechte leidet, die rosafarbene Creme testen. Ihre Haut sei sofort besser geworden, Nebenwirkungen habe sie keine gespürt, erinnert sich Kerstin Suborg.

Die beiden Studenten überreden den Bochumer Dermatologie-Professor Peter Altmeyer, das Mittel in einer klinischen Studie zu testen. Wieder haben sie Erfolg, auch die Wissenschaftler sind von der einfachen Mixtur überzeugt. Klingelhöller lässt sich die Creme weltweit patentieren. 936 Millionen Dollar seien die Rechte wert, schätzt ein Wirtschaftsprüfunternehmen.

Bis hierhin hat der Autor Klaus Martens die Geschichte sauber und packend erzählt, doch noch lebt sie allein aus der Faszination heraus, dass zwei Studenten zu Hause etwas entwickelt haben sollen, woran eine riesige, hochtechnisierte Branche bisher gescheitert ist. Jetzt geht es um Grundsätzliches: Will die Pharmaindustrie überhaupt ein Medikament auf den Markt bringen, das Neurodermitis und Schuppenflechte heilen kann?

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum preiswerte Medikamente vermieden werden.

"Geld verdient man mit chronischem Leid"

Insgesamt 16 Firmen stellen Klingelhöller und Hein ihre Creme vor - in einer Branche, in der ständige Fusionen die Konzernnamen immer länger werden lassen, haben sich die beiden Entwickler damit an alle wichtigen Gesprächspartner gewandt. Aber erfolglos. Die Pharma-Manager sind von der Wirksamkeit des Mittels überzeugt, produzieren wollen sie die Creme namens Regividerm - geschätzter Preis pro Dose damals: 40 Mark - trotzdem nicht. Sie passe nicht ins "Konzept", in die "strategische Ausrichtung", sagen die Manager. Begründen könne er das nicht, sagt einer von ihnen verlegen, es sei kompliziert.

Dabei ist die Geschichte eigentlich einfach. Die Pharmaindustrie verdient an Krankheiten, indem sie Medikamente verkauft. Den Preis setzen allein die Firmen fest. Rüdiger Weiss, ein ehemaliger Kollege von Klingelhöller, der ihm die Patentrechte an der Creme inzwischen abgekauft hat und sich selbst an der Vermarktung versucht, sagt: "Man möchte vermeiden, dass ein Medikament, das deutlich preiswerter ist, das keine Nebenwirkungen hat, auf den Markt kommt, weil man die eigenen, viel teureren Projekte nicht gefährden möchte."

Geschickt nutzt der Film die emotionalen Momente. Wenn Mitentwickler Thomas Hein mit brüchiger Stimme sagt, für ihn sei die Welt zu Ende, wenn die Kamera einen kleinen Jungen in die Sprechstunde begleitet, wo seine geschundene Gesichtshaut neu bandagiert wird, nur Augen, Nase und Mund bleiben frei. Doch so stark diese Bilder sind, erkennt man dank der gut dokumentierten Recherche und des sachlichen Tonfalls, dass der Film mehr will als Mitleid wecken für acht Millionen Patienten und zwei gescheiterte Erfinder. Die Sorgfalt des auf Wirtschaftsthemen spezialisierten WDR-Journalisten Klaus Martens zahlt sich aus: Mit jedem Gesprächspartner, jeder weiteren Information wird der Irrsinn, in den die Profitgier der Pharmakonzerne mündet, deutlicher.

Ein Einzelfall ist diese rosafarbene Creme nicht. So ersetzte der Pharmakonzern Novartis vor zwei Jahren ein preisgünstiges und wirksames Mittel, mit dem sich eine häufige Augenerkrankung kurieren lässt, durch ein fast identisches, aber viel teureres Medikament. Aus zulassungsrechtlichen Gründen dürfen Ärzte das alte Mittel zur Therapie nicht mehr verwenden - obwohl es erwiesenermaßen hilft und statt 15 000 Euro pro Patient nur 300 Euro kostet. Und vor zwei Wochen erst veranlasste die Europäische Union Durchsuchungen in Pharmakonzernen wegen des Verdachts, dass diese die Markteinführung billiger Nachahmepräparate durch Absprachen verhindern wollten. Der Arzneiverordnungsreport 2009 kommt zu dem Schluss, dass viele teure Präparate ohne weiteres durch ähnliche, aber günstige Medikamente ersetzt werden könnten: 1,7 Milliarden Euro ließen sich auf diese Weise pro Jahr sparen.

"Geld verdient man mit chronischem Leid", sagt Karsten Klingelhöller im Zimmer einer Schweizer Klinik. Der Kampf um die Markteinführung seiner Creme hat ihn nicht nur finanziell ruiniert, sondern auch krank gemacht. Wie es sich der hochverschuldete Mann leisten kann, jahrelang in einer offensichtlich nicht ganz billigen Schweizer Klinik zu leben, ist eine von zwei Fragen, die dieser ansonsten schlüssige Film unbeantwortet lässt. Die andere Frage ist, ob die rosafarbene Creme jemals auf den Markt kommen wird.

Heilung unerwünscht. Wie Pharmakonzerne ein Medikament verhindern, ARD, Montag, 21 Uhr.

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