TV: "Flug in die Nacht":Hello Zürich, hello?

Furiose Collage aus Soundfetzen und Funksprüchen: Ein Film über die Flugzeugkatastrophe von Überlingen verleiht den Gefühlen der Hinterbliebenen Ausdruck.

Tobias Moorstedt

Es werden einem viele Einstellungen und Szenen des ARD-Films "Flug in die Nacht" bekannt vorkommen. Da ist ein anonymer Flughafensaal, da sind Marmorfliesen und Neonlicht, Angehörige mit Blumen, Stofftieren und Luftballons, außerdem Polizisten und Feuerwehrmänner, die mit zögernden Schritten durchs Ufergras am Bodensee schreiten. Da sind dampfende Wrackteile, gelbe Absperrbänder, Körper unter schwarzem Plastik. Und da sind, endlich, auch die Reporter, die Wörter wie "Tragödie", "Inferno" und "Albtraum" in die Kameras stoßen. Da ist die Heimat der Opfer in Russland, da sind Bauernhäuser, Pferdewagen, ein archaisches Rechtsverständnis und dieser große, schwarze Marmor-Grabstein, auf dem drei Gesichter weiß leuchten wie freundliche Geister. In Nachrichtensendungen, Hintergrundberichten und Reportagen konnte man alle diese Motive bereits sehen.

TV: "Flug in die Nacht": Weiterleben, aber wie? Der Russe Jurij Balkajew (Jewgenij Sitochin) hat seine ganze Familie verloren.

Weiterleben, aber wie? Der Russe Jurij Balkajew (Jewgenij Sitochin) hat seine ganze Familie verloren.

(Foto: Foto: SWR/Christian Lanz/ddp)

Trotzdem ist es gut, dass Till Endemann so einen Film über die Tragödie von Überlingen gemacht hat. Denn "Flug in die Nacht" ist ein großes Fernsehstück, 92 Minuten über einen der größten Flugunfälle, die sich je im deutschen Luftraum zugetragen haben. In einer schwülen Julinacht waren im Jahr 2002 über dem Bodensee eine russische Passagiermaschine und ein Frachtflugzeug zusammengestoßen, 71 Menschen starben durch ein Versagen des Flugsicherungssystems.

Der Luftraum von Überlingen, dem baden-württembergischen Bodenseestädtchen, wird vom Flughafen in Zürich überwacht. Das Drama endet aber nicht mit dem großen Knall, sondern geht weiter, wie Flugzeuge auf einem Radarmonitor bewegen sich die Akteure aufeinander zu: Fluglotse Johann Lenders (Ken Duken), ein Sachbearbeiter des Himmels, der mit der Schuld nicht zurechtkommt, der schweizerische Flugsicherungsdienstleister, der russische Architekt Jurij Balkajew (Jewgenij Sitochin), der beim Unfall seine Familie verloren hat, und der die Sache (und ein Messer) in die eigene Hand nimmt.

Dieser Film, das steht zu Beginn und auch am Ende in schwarzer Schrift auf weißem Grund, "ist keine Dokumentation" - "die Dialoge sind erfunden." Deutlicher kann man nicht machen, dass es um Menschen geht, die nach einer Katastrophe weiterleben müssen und die in der kalten Sphäre, in welcher der internationale juristisch-aeronautische Komplex so ein Unglück verhandelt, nicht atmen können. "Ich möchte meinen Gefühlen Ausdruck verleihen", sagt der Lotse Lenders nach dem Unfall. Dann zwingt ihn die Konzern-Anwältin zum Unterzeichnen einer leeren Presseerklärung.

Der Film schaltet zu Beginn zwischen Cockpit, Kabine und Kontrollzentrum hin und her. Die lineare Struktur, in der ein Bild aufs andere folgt, erzeugt dabei den Eindruck der Zwangsläufigkeit des Unfalls und verdrängt so, dass unzählige Faktoren auf diabolische Weise zusammenspielen müssen, um so eine Kollision zu erzeugen. Die Komplexität des Luftverkehrs wird - kurz vor dem Unglück - vor allem auf der Audiospur nachvollziehbar, in einer furiosen Collage aus Soundfetzen und Funksprüchen, die spürbar macht, warum in diesem System manchmal etwas schiefgeht. Piepsen und Klappern, Roboterstimmen, Ätherrauschen: "Hello Zürich, Hello? Hello?"

Flug in die Nacht, ARD, 20.15 Uhr.

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