TV: Arabische Castingshow:Medlock auf Kamel

Hey, ARTE-Fans: Ihr denkt bei Bohlen an neues Parkett, liebt niveauvolles Fernsehen, findet Themenabende aber ermüdend? Da hilft nur eins: Superdichter-Casting auf Abu Dhabi TV.

Julia Gerlach

Der Dieter Bohlen der Wüste hat lange schwarze Haare und ist eine Frau: Nashwa al Ruwaini steckt hinter der wohl erfolgreichsten TV-Casting-Show der Golfregion. Alles funktioniert genau wie bei "Deutschland sucht den Superstar". In einer Bühnenshow müssen die Kandidaten eine Jury überzeugen und vor allem das Publikum. Das entscheidet dann per sms. Am Ende gewinnt einer die Million Dirham - umgerechnet immerhin 200 000 Euro. Allerdings geht es in Nashwa al Ruwainis Wettbewerb nicht um Gesangssternchen. In ihrer Show "Das Gedicht zu einer Million" treten Dichter gegeneinander an: Nabati-Dichter, um genau zu sein. Nabati-Gedichte, das ist die uralte, mündliche Poesie der arabischen Wüsten.

TV: Arabische Castingshow: Deklamiert und wehrt sich: der Kandidat.

Deklamiert und wehrt sich: der Kandidat.

(Foto: Foto: Pyramedia)

Die Bühne funkelt in Lila und Türkis. Schüchtern nickt Hilala al Hamdani dem Publikum im Theater zu, dann geht sie mit vorsichtigen Schritten zum Kandidatensessel: "Yasemin, hast du mich gesehen in meiner Trauer." Die Verse brechen förmlich aus ihr heraus. "Yasemin, hast du die Welle meines Schmerzes gesehen."

Das Gedicht der jungen Omanerin über Trauer und Liebesschmerz folgt einem überlieferten Wüsten-Rhythmus, die Worte verschmelzen und die Folge aus langen und kurzen Vokalen reiht sich zu einem Tanz. Ihr Leiden an der Missachtung durch den Geliebten zieht immer neue quälende Runden. Dann fällt sie in sich zusammen. Jetzt ist sie wieder schüchtern. Eigentlich haben Frauen hier nichts verloren.

Doch nicht nur die traditionelle arabische Ordnung der Geschlechter wird im Raha Strand Theater von Abu Dhabi bei der Live-Show "Das Gedicht zu einer Million" auf den Kopf gestellt. So wenig wie arabische Frauen als Dichterinnen auf die Bühne gehören, kann Beduinen-Poesie als TV-Show funktionieren. Das dachte auch Nashwa al Ruwaini bis vor Kurzem: "Als ich das Angebot bekam, diese Show zu entwickeln, dachte ich: Ui, eine Show mit traditionellen Dichtern. Das wird aber hartes Brot." Das großzügige Budget der Regierung von zehn Millionen Euro allein für die erste Staffel überzeugte sie und der Erfolg macht sie fast schwindlig.

Je 17 Millionen Zuschauer sollen die 15 Folgen der ersten Staffel auf Abu Dhabi TV gesehen haben, und die zweite Staffel soll noch besser laufen, glaubt man den recht unzuverlässigen Quoten. "Wir haben einen Nerv getroffen! Diese Gedichte, das sind wir!", sagt Nashwa al Ruwaini. Star Academy, Big Brother und Co. gebe es im arabischen Fernsehen im Überfluss, aber was die Zuschauer wollten, sei ihre eigene Kultur, und zwar in ansprechender Form. "Wir reisten in die Länder der Golfstaaten, denn da kommt die Nabati-Poesie ja her. Ich war aber erstaunt, es meldeten sich auch Kandidaten aus anderen Wüsten. Sogar aus Somalia und Marokko bekamen wir Anfragen."

Die großen Wüsten des Najd auf der Arabischen Halbinsel gelten als Wiege arabischer Dichtung. Allerdings verfeinerte sich die Poesie im Laufe der Jahrhunderte in den Städten zu hoher Kunst. Gelehrte und Poeten feilten an Versmaß und Metrik und legten Ideale klassischer Dichtung fest. Über die mündlichen Verse der Beduinen, die sie in den entlegenen öden Teilen der großen Wüste - unberührt von den Regeln der Gelehrten - weiter reimten, rümpften die gebildeten Araber der Metropolen Bagdad, Damaskus und Kairo die Nase.

Schon im 14. Jahrhundert warnte der große arabische Geschichtsschreiber Ibn Khaldun seine Leser vor solcher Überheblichkeit. 1985 schreibt Saad Abdullah al Suwayan von der Universität Riad eine der wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen der Nabati-Gedichte. Seine Studie liest sich wie ein Nachruf, denn er hält die Nabati-Gedichte für das "Produkt einer traditionellen Gesellschaft, in der das Streben nach Anpassung und Erhaltung der Normen sehr stark ist". Sozio-ökonomische Veränderungen führten dazu, dass dieses Genre, das Alltagserlebnisse mit moralischen Schlussfolgerungen verwebt, vom Aussterben bedroht sei.

Der Wandel der Gesellschaften am Golf könnte tatsächlich nicht rasanter sein. In nur 30 Jahren wurden die Gesellschaften aus dem Beduinenzelt in eine Hightech-Zukunft katapultiert. Doch viele der Bewohner der Öl-reichen Überflussgesellschaften haben das Gefühl, dass ein Stück ihrer Seele bei dieser Entwicklung auf der Strecke geblieben ist. Verzweifelt suchen sie zwischen Gucci-Handtaschen und künstlichem Ski-Paradies nach ihrer Identität. Nabati ist so auch eine Reaktion auf den Kulturkonflikt mit dem Westen.

Badr al Sibiai, ein Sunnyboy mit fein ausrasiertem Bart und scharf gefaltetem Tuch auf dem Kopf gilt als einer der Favoriten für den Dichterpreis. Auch der Saudi hält sich an die überlieferten Formen. Sein Gedicht gleitet in eleganten Bögen dahin wie der Reiter auf einem guten Kamel. Er bedichtet das Leben und die Schönheit der Wüste. Doch was war das? Sein Rhythmus ändert sich und seine Hand nimmt - ganz in Rappermanier - den Takt auf. Ganz kurz nur lässt er ein wenig Hiphop ins Wüstengedicht, dann reitet er weiter auf seinem Kamel.

Die Jury lässt den Remix durchgehen. Auch er kommt in die zweite Runde. Nabati ist traditionell und zugleich wie Hiphop - aber ohne Westen. Außerdem passt Nabati gut zu dem neuen Selbstbewusstsein der Golfregion. Lange genug hat man sich hier über das Naserümpfen der arabischen Bruderländer am Mittelmeer geärgert. Von wegen, der Golf hat keine Kultur! Nabati ist gut für die Seele und außerdem - schließlich sind wir am Arabischen Golf - kann man damit auch noch Geld verdienen: Natürlich gibt es die besten Gedichte als Podcast und als Klingelton fürs Handy.

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