Was tun? Wie muss man jetzt mit der Türkei und vor allem mit ihrem Machthaber Präsident Erdoğan umgehen? Das ist im Moment die zentrale Frage, für die wiederum ganz entscheidend ist, ob man ihm als Demokraten trauen kann oder nicht. Um all das zu klären, sei ein kleiner Umweg erlaubt:
Während seines Aufenthalts in Ankara sagte Thorbjörn Jagland, der Generalsekretär des Europarates: "In Europa gibt es nach dem verabscheuenswürdigen Putschversuch vom 15. Juli zu wenig Verständnis für die innenpolitischen Herausforderungen, denen sich die Türkei nun gegenübersieht. Die Türkei ist für Europa sehr wichtig, und Europa ist für die Türkei sehr wichtig. Wir sollten alles daransetzen, der Türkei zu helfen, mit dieser Situation auf bestmögliche Weise umzugehen."
Fatale Gedanken
Es ist sicher lobenswert, dass sich Jagland mit gewählten Politikern in der Hauptstadt getroffen hat. Seine Worte zeigen aber auch, wie schwer sich Europa noch immer damit tut, das ganze Ausmaß des Problems wirklich zu erfassen. In den vergangenen Jahren wurden in der Türkei sämtliche demokratischen Grundsätze beschädigt. Mit seinen Angriffen auf Justiz und Medien hat Erdoğan im Grunde die Verfassung außer Kraft gesetzt. Der EU und besonders Deutschland geht es bei der Zusammenarbeit mit der Türkei jedoch weiter vorrangig um den Stopp des Flüchtlingsstroms aus Syrien.
Wirklich fassungslos bin ich allerdings über die Tatsache, dass in der Türkei inzwischen viele einstige Erdoğan-Kritiker offenbar der Ansicht sind, dass eine Rückkehr zur Demokratie nur mit Erdoğan möglich ist. Dieser Gedanke scheint sich auch in der deutschen Öffentlichkeit breitzumachen. Ich halte ihn für fatal, weil man Erdoğan als Demokraten eben nicht trauen kann, denn er hat es nach dem Putschversuch versäumt, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen.
Im Gegenteil: Die massiven Inhaftierungswellen und die bisher erlassenen Dekrete deuten darauf hin, dass er fest entschlossen ist, Parlament und Justiz weiter zu schwächen. Die Stimmung nach dem Putsch deutet er nicht als Sieg der Demokratie, sondern als seinen eigenen Sieg.