Was tun? Wie muss man jetzt mit der Türkei und vor allem mit ihrem Machthaber Präsident Erdoğan umgehen? Das ist im Moment die zentrale Frage, für die wiederum ganz entscheidend ist, ob man ihm als Demokraten trauen kann oder nicht. Um all das zu klären, sei ein kleiner Umweg erlaubt:
Türkisches TagebuchYavuz Baydar ist kein Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, sondern ein türkischer Gastautor. Er wurde 1958 geboren und ist Journalist, Blogger und Mitgründer von P 24, einer unabhängigen Medienplattform in Istanbul. Er hält sich derzeit außerhalb der Türkei auf. Für die SZ schreibt er einen täglichen Gastbeitrag. Deutsch von Sofia Glasl.
Während seines Aufenthalts in Ankara sagte Thorbjörn Jagland, der Generalsekretär des Europarates: "In Europa gibt es nach dem verabscheuenswürdigen Putschversuch vom 15. Juli zu wenig Verständnis für die innenpolitischen Herausforderungen, denen sich die Türkei nun gegenübersieht. Die Türkei ist für Europa sehr wichtig, und Europa ist für die Türkei sehr wichtig. Wir sollten alles daransetzen, der Türkei zu helfen, mit dieser Situation auf bestmögliche Weise umzugehen."
Fatale Gedanken
Es ist sicher lobenswert, dass sich Jagland mit gewählten Politikern in der Hauptstadt getroffen hat. Seine Worte zeigen aber auch, wie schwer sich Europa noch immer damit tut, das ganze Ausmaß des Problems wirklich zu erfassen. In den vergangenen Jahren wurden in der Türkei sämtliche demokratischen Grundsätze beschädigt. Mit seinen Angriffen auf Justiz und Medien hat Erdoğan im Grunde die Verfassung außer Kraft gesetzt. Der EU und besonders Deutschland geht es bei der Zusammenarbeit mit der Türkei jedoch weiter vorrangig um den Stopp des Flüchtlingsstroms aus Syrien.
Wirklich fassungslos bin ich allerdings über die Tatsache, dass in der Türkei inzwischen viele einstige Erdoğan-Kritiker offenbar der Ansicht sind, dass eine Rückkehr zur Demokratie nur mit Erdoğan möglich ist. Dieser Gedanke scheint sich auch in der deutschen Öffentlichkeit breitzumachen. Ich halte ihn für fatal, weil man Erdoğan als Demokraten eben nicht trauen kann, denn er hat es nach dem Putschversuch versäumt, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen.
Im Gegenteil: Die massiven Inhaftierungswellen und die bisher erlassenen Dekrete deuten darauf hin, dass er fest entschlossen ist, Parlament und Justiz weiter zu schwächen. Die Stimmung nach dem Putsch deutet er nicht als Sieg der Demokratie, sondern als seinen eigenen Sieg.
- "Jetzt droht eine eiserne Zeit" (I)
- "Der Türkei droht das Ende eines unabhängigen Journalismus" (II)
- "Wir haben es mit massiven 'Säuberungen' zu tun" (III)
- "Die Verhaftungswellen hören nicht auf" (IV)
- "Ausnahme ist kein Zustand" (V)
- "Erdoğan treibt die türkischen Eliten ins Ausland" (VI)
- "Die Hexenjagd hat begonnen" (VII)
- "Erdoğan regiert per Dekret - was das heißt, weiß in der Türkei jeder" (VIII)
- "Erdoğan vollzieht den 'zivilen Staatsstreich'" (IX)
- "Erdoğan begünstigt Manipulation und Desinformation" (X)
- "Schweigen ist jetzt der Feind der Demokratie" (XI)
- "Die Türkei nimmt Angehörige in Geiselhaft" (XII)
- "'Sie werden sterben wie Kanalratten'" (XIII)
- "Wo sind die AKP-Mitglieder, die am Putsch teilgenommen haben?" (XIV)
- "Italien sollte sich lieber um die eigene Mafia kümmern" (XV)
- "Warum man Erdoğan nicht trauen kann" (XVI)
- "Du bist als nächstes dran" (XVII)
- "Wir wollen Exekutionen" (XVIII)
- "Jeder ist verdächtig" (XIX)
- "Exodus der türkischen Elite" (XX)
- "Ist es ein Verbrechen, mit einem Reporter verheiratet zu sein?" (XXI)
- "Erdoğan hält die Massen in explosiver Hypnose" (XXII)
- "Es ist Zeit aufzuwachen" (XXIII)
- Türkische Chronik (I): Wie die AKP Verschwörungstheorien über den Putsch befeuert
- Enteignungen wie im Osmanischen Reich (II)
- Haftbefehl ohne Grund (III)
- Man muss die Dinge beim Namen nennen (IV)
- Die alten Foltermethoden sind zurück in der Türkei (V)
- "Man sollte uns unseren richtigen Job machen lassen" (VI)
- Türkei zieht Schrauben der Unterdrückung weiter an (VII)
- "Bedauerlich, dass wir Journalisten das Hauptthema der Nachrichten sind"(VIII)
- Erdoğan plant eine Islamisierung der Schulen (IX)
- Was geschah wirklich in der Nacht vom 15. Juli? (X)
- Die Türkei steht kurz vor einem Bürgerkrieg (XI)
- Wie lange wird die EU der schrecklichen Eskalation standhalten? (XII)
- Verhaftete türkische Journalisten sollten Ehrenbürger werden (XIII)
- Die Kurden verlieren ihre Heimat (XIV)
- Erdoğan fegt sie einfach weg (XV)
- Erdoğan und Trump - Die Zeichen stehen auf hässliche Realpolitik (XVI)
- War der Militärputsch vorhersehbar? (XVII)
- Demokratie in der Türkei - wenn alles zerrinnt (XVIII)
- Russland wird seine Chance nutzen (XIX)
- Das Jahr eines intensiven Albtraums (XX)
- Die AKP erntet, was sie gesät hat (XXI)
- Erdoğan nähert sich seinem Ziel (XXII)
- Der Todeskampf des türkischen Schulsystems (XXIII)
- Jazz war Aktionismus (XXIV)
- Scheidung - und dann? (XXV)
- Sie wollen alle Fremdkörper "entfernen" (XXVI)
- Das Land der Fäulnis (XXVII)
- Nur noch ein kurzer Weg zum Faschismus (XXVIII)
- Die Presse als erstes Angriffsziel (XXIX)
- Prozess als Farce (XXX)
- Die neuen Jungtürken aus Köln (XXXI)
- Berufsverbot für Akademiker (XXXII)
- Dinner mit den Underdogs (XXXIII)
- Das Bangen vor dem Referendum (XXXIV)
- Mit der Türkei, wie wir sie kennen, ist es vorbei (XXXV)
- Die Unterdrückten werden ihre innere Stärke wiederfinden (XXXVI)
- Man muss auf eine demokratische Alternative hoffen (XXXVII)
- Wie weit kann man die Grausamkeit noch treiben? (XXXVIII)
- Bücher in die Verbannung (XXXIX)
- Rechtfertigen Erdoğans Schikanen einen Hungerstreik? (XL)
- Wer gegen Erdoğan ist, muss hungern (XLI)
- Jetzt wurde auch noch ein UN-Richter verurteilt (XLII)
- Das Messer hat den Knochen getroffen (XLIII)
- "Es wird ein Tag kommen, an dem das Land explodiert" (XLIV)
- Die Türkei leidet an einem geistigen Ausnahmezustand (XLV)
- Was wir verloren haben, ist schwer wieder herzustellen (XLVI)
- Erdoğan ist das personifizierte Problem der Türkei (XLVII)
- Warum im Ausland lebende Türken an ihrer Liebe zu Erdoğan festhalten (XLVIII)
- Erdoğans neuer Staat naht (XLIX)