Türkisches Tagebuch (XV):Jetzt bekommt Italien Erdoğans Zorn zu spüren

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Bild aus besseren Tagen: Italiens Premier Matteo Renzi im Dezember 2014 zu Gast beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Ankara. (Foto: picture alliance / dpa)

Der türkische Präsident hat partout kein Verständnis dafür, dass die italienische Justiz gegen seinen Sohn ermittelt. Die Antwort von Italiens Premierminister Renzi folgt prompt.

Gastbeitrag von Yavuz Baydar

Die Anspannung lässt nicht nach. Nun entwickelt sich auch noch eine Kluft zwischen Ankara und Rom und wird Teil der zerrütteten Agenda der Türkei.

In einem Interview mit RAI News 24 forderte Erdoğan in Kampfeslaune die italienische Regierung heraus: Er erklärte, dass Ermittlungen gegen seinen Sohn, Bilal Erdoğan, die Beziehungen zwischen der Türkei und Italien erschweren könnten. "Wäre mein Sohn nach Italien eingereist, wäre er vermutlich verhaftet worden. Was soll das? Mein Sohn, ein gescheiter Mann, wird der Geldwäsche bezichtigt. Statt meinen Sohn zu schikanieren, sollte Italien sich lieber um die eigene Mafia kümmern!", sagte er verärgert.

Sein Ärger richtete sich auch gegen die Stadt Bologna: "In dieser Stadt gelte ich als Diktator", so Erdoğan. "Und es werden dort prokurdische Demonstrationen organisiert. Warum schalten sich die italienischen Behörden nicht ein? Diese Angelegenheit wird unsere Beziehungen mit Italien gefährden."

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Der italienische Premierminister Matteo Renzi reagierte prompt in einem Tweet darauf: "In diesem Land folgen die Richter dem Gesetz und der italienischen Verfassung, nicht dem türkischen Präsidenten. Das nennt man Rechtsstaatlichkeit."

Der Umgang der türkischen öffentlich-rechtlichen Medien mit diesem Zwist wurde schnell Teil des Problems. Erdoğans Aussage wurde im Fernsehen flächendeckend zitiert, Renzis fiel laut Beobachtern der Selbstzensur zum Opfer.

Ausreiseverbote gegen weitere 1297 Personen

Erol Önderoğlu, der türkische Vertreter der Reporter ohne Grenzen (RSF), fragte ironischerweise am Mittwoch in den sozialen Netzwerken, ob die türkischen Fernsehsender Renzis Rechtsgrundsatz wohl überhaupt vermelden würden.

Als ob Selbstzensur nicht schon ausreichen würde, meldete eine der wenigen verbliebenen unabhängigen Zeitungen, Cumhuriyet, am Mittwochvormittag, dass einige vorherige Berichte über die Geldwäschevorwürfe gegen Bilal Erdoğan nach Recep Erdoğans RAI-Interview gesperrt wurden. Die neu zensierten Websites sind Diken, Gazeteport, BBC Türkçe und der Independent, die schon vorher Opfer von Sanktionen und Machtmissbrauch waren.

Gegen Mittag, just während dieses Tagebuch geschrieben wird, erfahre ich, dass Ausreiseverbote gegen weitere 1297 Personen verhängt worden sind, darunter 35 Journalisten und 51 Anwälte. Die Namen der Betroffenen sind unbekannt.

Inhaftierter Journalist gesundheitlich angeschlagen

In der Zwischenzeit werden verstärkt kurdische Journalisten mit repressiven Maßnahmen belegt. Nach Angaben des Committee to Protect Journalists (CPJ) nahm die Polizei Mehmet Arslan, einen Reporter für die Dicle News Agency (DİHA) in der Gegend um Karayazı in der Provinz Erzurum fest. Die türkische Telekommunikationsbehörde TIB sperrte die Homepage der Nachrichtenagentur JİNHA, die hauptsächlich über kurdische Themen berichtet.

In den sozialen Netzwerken warnten Journalisten die Behörden, dass der inhaftierte Journalist Haşim Söylemez kürzlich zwei Gehirnoperationen hatte und seine Gesundheit stark gefährdet sei. Laut einem Kollegen, der gemeinsam mit Söylemez in Haft war, kann dieser kaum in seiner Zelle aufstehen.

Erol Önderoğlu ist wie ich besorgt darüber, was in den nächsten Wochen passieren wird. In den kommenden vier Monaten werden mindestens 149 Journalisten vor Gericht gestellt. Aufgrund des verhängten Ausnahmezustands werden sehr viele Ermittlungen gegen weitere Kollegen eingeleitet - in den meisten Fällen gestützt auf das Anti-Terror- und das Strafgesetz.

© SZ vom 04.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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