Als wir vergangenen Freitag beim International Human Rights Film Festival (FIFDH) in Genf vor vollem Saal auf die Bühne traten, wirbelten mir die Worte meines seit Monaten inhaftierten kurdischen Kollegen İnan Kızılkaya im Kopf herum.
Wir waren in Genf zusammengekommen, um über die niederschmetternden Notstandsgesetze der Türkei zu sprechen: außer mir der UN-Menschenrechts-Berichterstatter für die Türkei, Nils Medzel, die türkische Publizistin, Soziologin und Aktivistin Pınar Selekder und der regimekritische Verfassungsrechtsexperte Kerem Altiparmak, der das Land nicht verlassen durfte und über Skype zugeschaltet wurde.
Ich musste an İnan Kızılkaya denken, der mir einen Brief aus dem Gefängnis geschickt hatte. Früher war er leitender Redakteur der kurdischen Tageszeitung Özgür Gündem, die mittlerweile geschlossen wurde. "Wir werden mit dir wie mit Musa Anter verfahren", wurde ihm während eines Verhörs in der Untersuchungshaft mitgeteilt. "Wir werden dich in einen Brunnen voller Säure werfen."
Musa Anter, ein kurdischer Intellektueller, war Anfang der Neunzigerjahre von einem Unbekannten, der mutmaßlich zu einer paramilitärischen türkischen Einheit gehörte, erschossen worden. Und der "Säure-Brunnen" war zur damaligen Zeit ein gängiges Tötungsmittel, mit dem Anhänger der kurdischen Arbeiterpartei PKK auf bestialische Weise umgebracht wurden.
Während der Podiumsdiskussion berichtete Nils Medzel über die Zustände in den türkischen Gefängnissen, die er nach dem Putschversuch besucht hatte. Er wählte seine Worte mit Bedacht, doch zwischen den Zeilen wurde klar, dass die Inhaftierten durch die Hölle gehen. Besonders schlimm müssen die Zustände in der Untersuchungshaft sein.
Mittlerweile im Exil
Niemand weiß besser, was es bedeutet, den türkischen Staat als Gegner zu haben als Pınar Selek, die in der Talkrunde neben mir saß. Der undurchsichtige Prozess, der seit nunmehr 19 Jahren gegen die Pazifistin, Feministin und Autorin geführt wird, ist besonders perfide.
Als Selek, die mittlerweile im Exil lebt, über den gewaltvollen und ungerechten Prozess berichtete, bekamen die Zuhörer eine Ahnung davon, was die inhaftierten Regimegegner aktuell alles aushalten müssen.
Das Drama begann, als Selek wegen eines terroristischen Anschlags angeklagt wurde. Heute, nach fast zwei Jahrzehnten, droht ihr immer noch das Urteil "lebenslang". Und das, obwohl sie bereits vier Mal freigesprochen wurde. Wie kann das sein? Nun, für jeden rational denkenden Geist ist dieser Fall nicht zu verstehen. Vielleicht muss man Kafka und Orwell gelesen haben, um ihre Situation verstehen zu können.