Türkische Chronik (XXVIII):Am Taksim-Platz wollen die Mächtigen ein Exempel statuieren

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Erdoğan und sein kapitalistischer Provinzialismus haben gewonnen. Sein Erfolg besteht darin, einer ganzen Generation das Rückgrat gebrochen zu haben. Einer Generation, deren fantasievoller Widerstand zerfetzt wurde und die sich heute erschöpft, geschlagen, erniedrigt fühlt.

Ceyhan und seine Mitstreiter hatten den Stadtteil Pera und den Taksim-Platz in ein Labor verwandelt, in dem sie versuchten, an die Träume ihrer gleichgesinnten Freunde in Berlin, London, Barcelona, New York anzuknüpfen.

Doch die rücksichtslose Politik der AKP verwandelte die gesamte Gegend in ein einziges Einkaufszentrum. Den dort ansässigen alternativen Clubs wurden Alkoholverbote und Lizenzbeschränkungen auferlegt. Es entstand ein geschmackloser touristischer Veranstaltungsort neben dem anderen - so wurde die Jugend aus den bis dahin pulsierenden Gassen vertrieben.

Meine Kollegin Zülal Kalkandelen, die als genaue Beobachterin der Subkulturen Istanbuls gilt, hat kürzlich einen alarmierenden Bericht veröffentlicht. Die schleichende Islamisierung - die AKP hatte zehn Tage zuvor begonnen, eine große Moschee auf dem Taksim-Platz zu errichten - und eine Serie heftiger Terroranschläge haben auch der aktiven musikalischen Szene übel zugesetzt und der Lebensfreude der Jugend gerade den Todesstoß verpasst, wie sie zusammenfasst.

"Der Taksim-Platz und seine Umgebung sind die öffentlichen Plätze, an denen die Opposition immer noch am sichtbarsten ist", zitiert die Journalistin den Musiker Güneş Duru. "An diesem Ort wollen die Mächtigen ein Exempel statuieren. Denn dort hat mit den Gezi-Protesten der lauteste Widerstand stattgefunden. Und genau dort wird nun, so wie es seit 30 Jahren der sehnlichste Wunsch der islamischen Bewegung Millî Görüş ist, tatsächlich eine Moschee gebaut."

Nur noch ein kurzer Weg zum Faschismus

Ein anderer Musiker, Mabel Matiz, berichtete der Journalistin, dass viele Bars, Konzert- und Ausstellungshallen und historische Plätze schließen müssen, wodurch das Viertel all seine Vielfalt verliere.

"Alle sozialen Beziehungen und das öffentliche Leben haben sich verfinstert," sagt Murat Kılıkçıer, Mitglied der Indie-Rockband In Hoodies. Hakan Dedeoğlu, Herausgeber des Indie-Magazins Bant Mag, malt ein ähnliches Bild: "Pera ist nun ein Ort, der durch die staatliche Gewalt, ihren Antiurbanismus und ihre visionslose Kultur zerstört worden ist. Unsere Erinnerungen an die Gezi-Proteste sind begraben im verlassenen Taksim-Park. Keiner von uns möchte mehr an diese Zeit erinnert werden. Deshalb geht auch niemand mehr dorthin."

Genau damit hängt natürlich auch Ceyhans Verhaftung zusammen. Wenn ein Albtraum, bestehend aus Provinzialismus, Fanatismus, selbsterklärter Überlegenheit, kultureller Barbarei und Rücksichtslosigkeit, die Lebenslust und Träume einer ganzen Generation zerstört, ist es nur noch ein kurzer Weg bis zum Faschismus.

Deswegen erwähnte ich anfangs das Referendum von 1934: Damals ließ sich Adolf Hitler im Nachhinein von der deutschen Bevölkerung die Zusammenlegung der Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten auf seine Person als Führer und Reichskanzler bestätigen.

Das, was aktuell in der Türkei passiert, gleicht einem Horrorfilm, den scheinbar keine Kraft dieser Welt anhalten kann.

Der Autor, geboren 1956, ist Journalist, Blogger und Träger des European Press Prize. Er hält sich derzeit außerhalb der Türkei auf. Deutsch von Anna Fastabend.

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