Türkische Chronik (XXVI):"Das ist pure politische Säuberung"

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Das Dekret fegte praktisch die gesamten Departments für Journalismus der Universität Ankara und der Marmara Universität fort. Professor Prof Yüksel Taşkın, der bei seinen Schülern sehr beliebt war, twitterte bitter: "Das ist pure politische Säuberung. Aber mein Gewissen ist rein. Lasst meine Studenten wissen, dass ich mich nie und nimmer beugen werde." Emre Tansu Keten, ein anderer Professor, schrieb: "Ich bin stolz, auf einer Liste mit denjenigen meiner Kollegen zu stehen, die rausgeworfen werden, weil sie ihre eigene Meinung gesagt haben."

Aus dem Department für Theater in der Fakultät für Sprache, Geschichte und Geografie der Universität Ankara wurden gleich fünf Professoren "entfernt". Einer von ihnen sagte, dass dort nun nur noch vier Hilfslehrer übrig geblieben seien. "Der Rest von uns hat die Petition unterschrieben. Das Institut ist jetzt dysfunktional, Bildung ist so unmöglich. Die vier übrig gebliebenen Kollegen werden nicht im Stande sein, den Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten. Und ich fürchte, das ist noch nicht alles gewesen. Es ist schrecklich, wenn man nur darauf wartet, als Nächster entlassen zu werden."

Ein anderer Lehrer twitterte: "Ich wurde nur deshalb entlassen, weil ich gesagt habe, dass ich einen Krieg in diesem Land ablehne und dass ich mir Frieden wünsche. (...) Ich wünsche mir immer noch Frieden ..."

Das Dekret verfolgt die Absicht, die Meinungsfreiheit zu schlachten

Dass das Dekret die Absicht verfolgt, die Meinungsfreiheit zu schlachten, ist selbsterklärend. Beeindruckend aber ist, mit welcher Schonungslosigkeit es durchgesetzt wird. Eine der Betroffenen, eine ältere Akademikerin, ist eine Legende in ihrer Profession. Professorin Öget Öktem Tanör war die erste Neuropsychologin der Türkei. Sie war die Ehefrau des nun verstorbenen Professors Bülent Tanör, ebenso eine Legende auf seinem Gebiet, dem Verfassungsrecht. Er hat als Teil der liberalen Linken sein ganzes Leben dafür gekämpft, dass die türkische Verfassung demokratischer wird - erfolglos.

Professor Kaboğlu gehörte derselben Ideenschule an. Er hat sich jahrelang selbstlos für die Demokratie eingesetzt. Vor zehn Jahren wurde er von dem damaligen Premierminister Erdoğan gebeten, einen Report über Minderheitenrechte zu verfassen, darüber, wie man geschehene Gräueltaten aufarbeiten und die Macht in der Türkei dezentralisieren könne. Er arbeitete intensiv an dem Report und gab das Ergebnis ab. Monate später wurde er gemeinsam mit seinem Mitarbeiter wegen "Beleidigung des Türkischen" angeklagt. Die Anklage wurde fallen gelassen, ebenso wie der wertvolle Report, vergraben in Vergessenheit.

Hier sind wir also, dachte ich mir, als ich die aktuelle Säuberungsliste las. So zeigt dieser machthungrige, primitive Staat seinen hart arbeitenden, unabhängigen Intellektuellen seine Dankbarkeit: mit Entfremdung und Bestrafung. Mit jedem Dekret gleicht dieser Staat mehr und mehr dem Deutschland der Dreißigerjahre, das seine Elite am Ende aus seinen Grenzen verjagt hat.

Ich bin mir sicher, dass unsere "entfernten" Akademiker keinen Job mehr in ihrer Heimat bekommen werden. Die Türkei verliert ihr Blut, und wir alle wissen, wer dafür verantwortlich ist.

Der Autor, geboren 1956, ist Journalist, Blogger und Träger des European Press Prize. Er hält sich derzeit außerhalb der Türkei auf. Deutsch von Julia Niemann.

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