Türkische Chronik (XXI):Hinter dem Terror steht ein anderes "Monster"

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Wie bei früheren Massakern ist das Entsetzen groß. Der Terrorakt trägt zur sozialen Polarisierung bei und wirkt sich negativ auf den Tourismus aus. Er zeigt, wie ineffizient der türkische Sicherheitsapparat geworden ist. Was ist schiefgelaufen?

Ausländische Beobachter und Diplomaten sind sich einig, dass das Problem mit den institutionellen Umbildungen in der Türkei zu tun hat. Diese setzten lange vor dem Putschversuch im Juli 2016 ein. Sie sollten die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen bekämpfen, die für Erdoğan "innere Feinde" sind. In den vergangenen fünf Monaten wurde daraus eine Säuberungswelle. Sie schwächte den Geheimdienst und verursachte Chaos. Umbesetzungen innerhalb der Polizei schienen oft eher die Parteiloyalität als andere Verdienste der Beförderten zu belohnen - nicht gerade ein Zeichen für deren Kompetenz. Die Ermordung des russischen Botschafters Andrej Karlow durch einen türkischen Polizisten vor Weihnachten schürte die Angst, der Sicherheitsapparat könnte bereits vom Dschihadismus infiltriert sein.

Der Anführer des IS nannte die Türkei "Dienerin des Kreuzes" und rief zum Kampf auf

Trotz der gestiegenen Todesrate in den vergangenen anderthalb Jahren ist nicht ein einziger Minister oder Bürokrat zurückgetreten. Von offizieller Seite hört man stets dieselbe Phrase: "Wir müssen vereint bleiben." Doch hinter dem Terror steht ein anderes "Monster". Erdoğans eilige Kehrtwende in der Syrien-Politik zugunsten einer neuen Verständigung mit Russland bedeutet, dass er die syrische Opposition im Stich lässt. In Aleppo hatte das bereits Folgen, in Al-Bab kämpften türkische Soldaten gegen Ableger von Al-Qaida - sehr zum Ärger der Dschihadisten. Der bevorstehende Kampf um Idlib, einen dschihadistischen Stützpunkt nahe der türkischen Grenze, wird ihren Zorn anfachen.

Abu Bakr al-Baghdadi, der Anführer des IS, nannte die Türkei "Dienerin des Kreuzes" und rief zum Kampf auf. Die AKP erntet, was sie gesät hat. Sie hätte besser daran getan, nicht in den syrischen Konflikt einzugreifen. Nun muss sie sich gegen den Dschihadismus auf eigenem Boden rüsten. Geht der Terror weiter, während die Regierenden mit grobmotorischen Reflexen antworten und ihre autoritäre Ordnung verfestigen, wird er das dünne soziale Gewebe des Landes zerreißen.

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