Das Jahr 2016 ist fast zu Ende. Gibt es fürs neue Jahr Grund zur Hoffnung? Mir geht es auch nicht anders als uns allen; ich weiß es nicht. Einer der Schrecken, die uns 2016 heimsuchten, fand in der Türkei statt. Es war das Jahr eines intensiven Albtraums, der noch nicht vorbei ist. Viele Deutsche, mit denen ich in den letzten Monaten über die Türkei gesprochen habe, fühlen sich an die dunkle Vergangenheit ihres Landes erinnert. Für sie war es, als ob die türkische Version von Bertolt Brechts Stück "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" aufgeführt werde.
Der Kampf für die Demokratie hat eine schwere Niederlage erlitten. Nach dem Putsch im Sommer berief sich Präsident Erdoğan auf die Demokratie. Er instrumentalisierte sie und begründete dabei ein äußerst hässliches Prinzip der Machtverteilung: das Prinzip "Winner Crushes All". Wer als Sieger aus dem demokratischen Prozess hervorgeht, darf die Opposition zerstören. Dieser Prozess erinnert an die Duelle in amerikanischen Western.
Erdoğan schuf kollektive Mordgelüste, die er nun nicht mehr kontrollieren kann
Die Türkei ist ein Musterbeispiel für ein Land, das miserabel auf eine Krise wie den Putsch vorbereitet ist. Es gibt eine Führung, deren klare Sicht durch das Streben nach absoluter Macht vernebelt wird. Bewusst arbeitet sie mit Infamie und Bösartigkeit. Dadurch wird die in einen kollektiven Wahn versetzte Gesellschaft mobilisiert. Und umgekehrt bringt diese radikalisierte Gesellschaft die Staatsführung dazu, eine Torheit nach der anderen zu begehen. Ein Beispiel für eine solche Entwicklung sind die aggressiven Massen, welche die Wiedereinführung der Todesstrafe fordern. Erst wurden sie vom Präsidenten aufgehetzt, und dann gelingt es nicht mehr, die Spirale aufzuhalten, die er in Gang gebracht hat. Diese kollektiven Mordgelüste sind nur ein Beispiel. 2016 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem der türkische Rechtsstaat beerdigt wurde. Die Führung betrachtet ihn nunmehr nur noch als überflüssig. Besonders gravierend ist es vor allem in jungen Demokratien, die noch nicht so fest etabliert sind, in denen der Geist der Freiheit noch mit vielen sozialen Segmenten in Konflikten steht, die blinde Intoleranz befürworten. Die Opfer in diesem Falle sind einerseits diejenigen, die nach der Wahrheit suchen und sie öffentlich äußern wollen, die Intellektuellen. Andererseits sind es die Unterprivilegierten der Gesellschaft wie zum Beispiel Minderheiten.