"Die Zeit ist gekommen, um unsere Schulen zu religiösen Ausbildungsstätten zu machen", sagt Şakir Voyvot, der neu ernannte Vizedirektor des Kabataş-Gymnasium in Istanbul. "Mit Gottes Wille", fügte er hinzu, "werden wir solche neuen Schulen überall errichten."
Normalerweise würden solche Aussagen in der Türkei einen Aufschrei auslösen, aber normal ist hier gar nichts mehr. Imam-Hatip-Schulen, wie diese religiösen Lehranstalten genannt werden, sind ein Lieblingsprojekt des Präsidenten Erdoğan und der AKP.
Kabataş ist eines von 155 renommierten Istanbuler Gymnasien, die im Augenblick von der Regierung stark unter Druck gesetzt werden. Während Stimmen wie die Voyvots zahlreicher werden, wachsen aber auch die Proteste. An einem anderen Gymnasium in Istanbul organisierten Schüler Sit-ins für ihre suspendierten Lehrer.
"Bürger, seid ihr euch dieser großen Gefahr bewusst?"
Der Journalist Özgür Mumcu, Sohn des 1993 von einer Autobombe getöteten Journalisten Uğur Mumcu, schrieb dazu: "Die besten Schulen des Landes laufen nun Gefahr, dass islamistische Gruppen sie unterwandern. Sie sollen in Schulen verwandelt werden, die dem Einparteienstaat dienen und deren Ziel es ist, Generationen religiöser Menschen heranzuziehen. Unsere Republik verliert ihre Schulen. Bürger, seid ihr euch dieser großen Gefahr bewusst?"
Wut macht sich breit. Am Mittwoch Abend demonstrierten Eltern in der Istanbuler Altstadt. Eine Mutter, deren Kinder am Vefa-Gymnasium studieren, sagte der Tageszeitung BirGün: "Was hier passiert, ist die Zerstörung dieser Schule. Seit einem Monat sind die Sommerferien vorbei und die Klassen haben keine Lehrer. Niemand hat das Recht, unseren Schülern dies zuzumuten."
Baris Yarkadaş, Abgeordneter der kemalistischen CHP, sagte: "Die AKP versucht seit 2014 die Schulen zu kontrollieren. Jetzt werden alle erfolgreichen Schulen ins Visier genommen. Schüler haben häufig seit vier Wochen keinen Unterricht. Noch nicht einmal die Bücher wurden verteilt."
Der Schaden, der gerade die säkulare Mittelklasse erschüttert, ist nur ein Bruchteil des riesigen Schadens im gesamten türkischen Bildungssystem. Die Lehrergewerkschaft Eğitim-Sen erklärt, dass im neuen Schuljahr rund eine Million Schüler keine Lehrer mehr haben, BirGün spricht sogar von 1,5 Millionen.
Eine andere Frage ist, ob die entlassenen Lehrer ihr Recht einklagen können und in ihre Jobs zurückkehren werden. Doch auch hier gibt es düstere Entwicklungen. Die CHP klagte vor einigen Wochen gegen die Dekrete des Ausnahmezustands, auf dessen Grundlage Erdoğan und seine Regierung die Säuberungen durchführten. Das Verfassungsgericht wies die Klage jedoch zurück. Es erklärte sich selbst für nicht befugt, über die Sache zu urteilen.
Die eilig durchgeführten Säuberungen werden der AKP-Regierung Probleme bereiten
Der Politologe Baskın Oran, der beim Militärputsch 1980 suspendiert worden ist, spricht vom Recht der Lehrer, in den Dienst zurückzukehren, sobald der Ausnahmezustand aufgehoben ist. Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben gute Erfolgsaussichten. Die eilig durchgeführten Säuberungen werden der AKP-Regierung auf lange Sicht noch einige Probleme bereiten. Das türkische Bildungssystem, das bereits vor dem Putsch in der Krise war, wird nun auch von einer ganz offen betriebenen Islamisierung geschwächt. Gemessen an seinen Taten scheint Erdoğan recht damit zu behalten, dass er den Putschversuch als "Geschenk Gottes" bezeichnet hat.
Das Regieren mit Notstandsdekreten ermöglichte den Machthabern, den kritischen Journalismus zu erledigen und neue Mainstream-Medien zu schaffen, die der AKP-Regierung treu ergeben sind. Das Rückgrat der ehemals säkularen türkischen Armee wird gerade ausgetauscht. Das Gleiche geschieht nun auch mit dem Bildungssystem, einer weiteren Säule der säkularen türkischen Republik.