Türkische Chronik:Erdoğan wird keine Kompromisse machen

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Nun ist die Frage, ob Erdoğan deshalb seine Ansichten in Bezug auf die Medien und die Meinungsfreiheit ändern wird. Es wird gewettet, dass ihn die Kritik aus dem Ausland nicht im Geringsten stört. Er befindet sich im Krieg und wird dabei bleiben. Erst Anfang der Woche schlug er wieder wild um sich, als die Tageszeitung Hürriyet eine große Geschichte veröffentlichte, die vom Unbehagen innerhalb des türkischen Militärs berichtete. Das Militär zeigte sich wegen einer neuen Regelung besorgt, die es weiblichen Offizieren und Soldatinnen nun erlaubt, ein Kopftuch zu tragen. Eigentlich hätte dies zu einem Aufschrei führen müssen. Es wurde aufgrund vieler anderer Schreckensmeldungen aber nicht weiter bemerkt. Das Verteidigungsministerium hatte das übliche Prozedere umgangen und die Kopftuchregelung einfach so erlassen. Ein Erfolg für sunnitische Kreise und ein Tiefschlag gegen das Selbstverständnis der säkularen Armee, die 1923 gegründet wurde. Dies könnte die Spaltung der türkischen Armee bedeuten, weil auch viele alevitische Offiziere in ihr dienen, die das Kopftuch ablehnen.

Erdoğans Raserei richtete sich gegen Hürriyet: die Zeitung werde einen hohen Preis für diese Unverschämtheit zahlen, sagte er sinngemäß. Nur wenige Stunden später gab die Doğan Media Group, der Hürriyet gehört, die Entlassung des Chefredakteurs bekannt. Kein Wunder, dass viele Beobachter diesen Schritt als das Ende des letzten Rests Unabhängigkeit der türkischen Presse sehen, die nach Doğans Kniefall nun fast vollständig unter der Kontrolle des Präsidenten ist.

Wie es aussieht, stößt die liberale Haltung der EU gegenüber der Türkei endgültig an ihre Grenzen

Nun ist Erdoğan auch mit Europa im Krieg. Die Spannungen zwischen der Türkei und der EU werden weiter steigen. Der türkische Präsident wird keine Kompromisse machen. Türkische Journalisten betonen zu Recht, dass ihre gefangen gehaltenen Kollegen und andere Oppositionelle Geiseln sind, mit denen die EU erpresst werden soll.

Die Gräben zwischen den europäischen Ländern werden tiefer. Erdoğan hat gerade keinen besonders guten Draht zu Italien, nachdem das Land seinen Sohn der Geldwäsche beschuldigt hat. Die Beziehungen zu Griechenland verschlechterten sich wegen einer künstlich produzierten Krise um eine kleine ägäische Insel. Die Zyperngespräche kamen aufgrund interner Differenzen zum Erliegen. Etliche türkische Offiziere beantragen in Griechenland, Belgien und Deutschland Asyl. Und weil Ankara nicht in der Lage war, der Nato einen wirklichen Beweis für Gülens Verwicklung in den Putschversuch zu übermitteln, wird die Türkei nicht mehr als zuverlässiger Bündnispartner angesehen.

Ein weiterer Streitpunkt zwischen der Türkei, Deutschland, Österreich und den Niederlanden sind die von der türkischen Regierung finanzierten Imame im Ausland, die beschuldigt werden, Teil eines Informanten- und Spionage-Netzwerks zu sein und im Ausland lebende türkische Staatsbürger zu bespitzeln. Zu allem Überfluss macht Erdoğan für sein Referendum auch noch Stimmung in Deutschland und Österreich, wo 1,5 Millionen stimmberechtigte Türken leben.

Doch wie es aussieht, stößt die liberale Haltung der EU gegenüber der Türkei endgültig an ihre Grenzen. Von allen Seiten wird ein Ende des "Wahlkampfes" auf fremdem Territorium gefordert.

Wer wird diesen Krieg gewinnen? Wer wird ihn verlieren und den Preis für all das zahlen müssen?

Der Autor, geboren 1956, ist Journalist, Blogger und Träger des European Press Prize. Er hält sich derzeit außerhalb der Türkei auf. Deutsch von Anna Fastabend.

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