Türkische Chronik (VII):Türkei zieht Schrauben der Unterdrückung weiter an

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Proteste in der Türkei

Die Türkei kommt auch knapp drei Monate nach dem Putsch nicht zur Ruhe, immer wieder gibt es Proteste.

(Foto: Ilyas Akengin/AFP)

Was Kritiker schon lange befürchteten, bestätigen jetzt geleakte E-Mails: Staatsmacht und Medien gehen in der Türkei Hand in Hand.

Gastbeitrag von Yavuz Baydar

Die Lage in der Türkei verdüstert sich täglich mehr. Die Geschichte des Landes, das einmal voller Hoffnung auf Verbesserung war, verwandelt sich immer mehr in einen Albtraum.

Die Schrauben der Unterdrückung werden immer stärker angezogen. Am Mittwochabend, nach einem sechsstündigen Treffen, wurde verkündet, dass der Nationale Sicherheitsrat, dessen Vorsitzender Präsident Erdoğan ist, beschlossen habe, eine Verlängerung des Ausnahmezustands zu empfehlen.

Zur Person

Yavuz Baydar ist kein Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, sondern ein türkischer Gastautor. Er wurde 1956 geboren und ist Journalist, Blogger und Mitgründer von P 24, einer unabhängigen Medienplattform in Istanbul. Für seine Arbeit wurde er 2014 mit dem European Press Prize ausgezeichnet. Er hält sich derzeit außerhalb der Türkei auf. Für die SZ schreibt regelmäßig Gastbeiträge. Deutsch von Jonathan Horstmann.

Das deckt sich mit dem erklärten Wunsch von Erdoğan und dem Premierminister Binali Yıldırım, das Land auch weiterhin per Dekret zu regieren. Höchstwahrscheinlich wird das "Dekretsregime" nach dem 21. Oktober für weitere drei Monate gelten. Da die Verfassung keine zeitliche Beschränkung für diese Notstandsverwaltung vorsieht, fürchten viele prominente Figuren aus der Opposition, dass sie auf Dauer fortgesetzt werden könnte.

Die Geschichte lehrt, dass autoritäre Herrschaft oft das Resultat von innerem Verfall ist. Die Ereignisse in den letzten Wochen und Monaten, vor und nach dem Putschversuch, machen überdeutlich, wie weit sich die Fäulnis innerhalb der staatlichen Institutionen ausgebreitet hat: in Form von ideologischer Rigidität, Parteilichkeit und dem wachsenden Einfluss machthungriger Gruppen ohne demokratisches Mandat. Doch auch weite Teile der politischen Klasse und der Oberschicht sind davon befallen.

Was, wenn auch die Medien betroffen sind? Wie sollen sie gegen die Korruption kämpfen, wenn sie selbst ihre Geisel sind? Das ist einer der beunruhigendsten Aspekte des Niedergangs der Türkei.

Die Reste der Opposition empfinden nur noch Abscheu und Hoffnungslosigkeit

Eine aktuelle Geschichte zeigt, wie sehr die Beziehungen zwischen Macht und Medien von dieser Korruption infiziert sind. Auf der einen Seite steht RedHack, eine Gruppe junger Hacker, auf der anderen die Regierung. Doch dann kam der größte türkische Medienkonzern, die Doğan-Gruppe, mit ins Spiel. Seitdem empfinden die Reste der Opposition nur noch Abscheu und Hoffnungslosigkeit.

Die Geschichte begann, als RedHack am letzten Freitag in den sozialen Netzen erklärte, es habe den E-Mail-Account des Energieministers gehackt, der auch Schwiegersohn Erdoğans ist. Wenn die Regierung nicht bis Montag alle "politischen Gefangenen" freigelassen habe, würde RedHack die gesamte Korrespondenz des Ministers veröffentlichen. Die Behörden nahmen umgehend einige Verdächtige fest. Deren Anwälte erklärten, ihre Mandanten seien in der Haft gefoltert worden. Doch mehr konnten die staatlichen Stellen nicht tun.

Von Dienstag an schlugen die Leaks ein wie Bomben. Bald war klar, dass eine Figur im Mittelpunkt stand: Mehmet Ali Yalçındağ, der oberste Manager von Doğan Media, der in einer liebedienerischen Korrespondenz mit dem Minister, dessen Bruder und einem Berater des Präsidenten versuchte, die Gunst des Regimes zu gewinnen.

Die geleakten Mails stammen aus der Zeit von Mitte 2015 bis nach dem Putschversuch im vergangenen Juli. In einer Mail vom 6. Mai schreibt der Doğan-Manager an den Minister, er sei "offen" dafür, die politische Haltung des Blatts nach den Wünschen der Regierung zu justieren. "Es wäre sehr nützlich", schreibt er, "wenn wir die Positionen unserer Mediengruppe evaluieren würden. An zwei Punkten müssen wir entschieden sein: der Kampf gegen die 'Parallelstruktur' (er meint die Gülenisten) und für das Präsidentialsystem."

Eine Woche später schreibt Yalçındağ an den Berater Erdoğans und setzt den Minister in cc. Er bittet darum, an der Willkommenszeremonie für Erdoğan teilnehmen zu dürfen.

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