Türkische Chronik (III):Jegliche journalistische Integrität soll getilgt werden

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Warum das alles? Alle Bemühungen meines Anwalts, herauszufinden, was mir vorgeworfen wird, blieben erfolglos. Alle Akten über die Durchsuchungen sind streng geheim. Jedem klar denkenden Menschen muss das merkwürdig vorkommen. Aber schon seit den Protesten im Gezi-Park kennen wir die zerstörerische Taktik, die gegen Journalisten angewendet wird.

Die türkische Regierung will unbedingt gegen, wie sie sie nennt, Staatsfeinde vorgehen. So kann die Gesellschaft in Alarmbereitschaft gehalten werden, abhängig von den Oberen. Die verlassen sich auf den dauerhaften Ausnahmezustand, der jeden Tag neu ausgerufen wird.

Kritische Medien gelten als Gülen-Anhänger und werden gebrandmarkt, ebenso die kurdischen Medien, weil sie angeblich die PKK unterstützen. Jegliche journalistische Integrität soll getilgt werden. Kürzlich hat der türkische Sicherheitsrat den Gülen-Anhängern und den Kurden den Krieg erklärt, und er will sich besonders auf ihre Medien konzentrieren.

Die Logik ist einfach: Es geht nicht darum, was man berichtet oder kommentiert, sondern nur darum, für welche Medien man arbeitet. Wenn man Erdoğans Politik kritisch hinterfragt, ist man automatisch Persona non grata. Man mag entlassen worden sein, aber wenn man weiter auf unabhängigem Journalismus besteht, führt der Weg direkt vor Gericht oder ins Gefängnis.

Ironischerweise wird dem Westen vorgemacht, diese Tortur geschehe als Folge des blutigen Putschversuchs, im Namen der gefeierten Demokratie. Es ist paradox, dass die Unterdrückung weiter eskaliert und wir gleichzeitig glauben sollen, der Wille des Volks habe die Putschisten niedergerungen.

Ohne Abfindung entlassen

Das ist eine Carte blanche, das verfassungsmäßige Recht auf unabhängige Berichterstattung und das öffentliche Recht auf Information auszuradieren.

Es ist schwer, als Medienschaffender nicht zu verzweifeln. Was kann ich meinen Kollegen sagen? Mein eigenes Schicksal belastet mich genug. Ich habe lange für einen Medien-Ombudsmann gearbeitet. Meine kritischen Kolumnen wurden während der Gezi-Proteste zweimal zensiert - unter anderem, weil ich es für unangemessen hielt, dass das Regierungssprachrohr Sabah die internationalen Medien verdammte. Als ich aufdeckte, dass der Inhaber des Mediums führend an der Verleumdung beteiligt war, wurde ich ohne Abfindung entlassen.

Als freier Journalist gründete ich 2013 die Plattform P 24 für unabhängigen Journalismus, um Projekte zu entwickeln und arbeitslosen Kollegen zu helfen. Seit 2014 wurde eine Zeitung nach der anderen geschlossen.

Alles, was ich kann, ist schreiben und aufklären

Je mehr man über Machtmissbrauch, den Umgang mit Syrien und Korruption berichtete, desto unsicherer wurde das Feld. Diesen Sommer wurde klar, dass es keine Stellen für freiheitlich denkende Journalisten mehr gibt. Nach den aktuellen Festnahmen sind 150 Kollegen im Gefängnis. Würden sie alle morgen durch ein Wunder entlassen, dürfte dennoch keiner von uns seinen Beruf ausüben.

Ich bin sprachlos und wie betäubt. Es schmerzt, dass ich ins Exil gedrängt werde, getrennt von meinem geliebten und geschundenen Land. Alles, was ich kann, ist schreiben und aufklären. Das werde ich weiterhin tun.

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