Es gibt allerdings genug Türken, die der Meinung sind, man sollte nichts über den Harem des Padischahs erfinden, wenn man schon so wenig darüber weiß. Oder, wenn man denn unbedingt etwas erfinden muss, dann bitte so, dass es "den nationalen und geistigen Werten und der Familienstruktur" der türkischen Gesellschaft entspreche.
Diese Formulierung stammt aus der Anklageschrift gegen den Sender Show TV, in dem "Das prächtige Jahrhundert" anfangs lief. Angestrengt hatte die Klage die Regulierungsbehörde für den privaten Rundfunk (RTÜK), nachdem bei ihr in den ersten drei Monaten nach Ausstrahlungsbeginn mehr als 70 000 Beschwerden der Bürger eingegangen waren. Der Sender wurde prompt zu einer Geldstrafe von umgerechnet 300 000 Euro verurteilt, ging aber in Berufung. Diese Woche wurde die Rechtmäßigkeit der Strafe endgültig von einem höheren Gericht bestätigt.
Vom Set direkt in den Gezi-Park
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan dürfte sich freuen. Er mag die Serie nicht ("Wir haben keine solchen Vorfahren"). Erdogan sorgte dafür, dass die Fluggesellschaft Turkish Airlines die Seifenoper vom Bordprogramm nahm. Ein Gesetzesentwurf, um "Das prächtige Jahrhundert" ganz zu verbieten, scheiterte jedoch im Parlament. Offensichtlich schalten auch einige Abgeordnete der Regierungspartei Mittwochabend gerne ein.
Erdogans Abneigung ist nachvollziehbar. Einerseits kann dieser konservative Politiker mit dampfigen Hamamszenen wenig anfangen. Zumal wenn die ganzen Schauspieler dann noch vom Set direkt zum Gezi-Park marschieren und sich den Straßenprotesten anschließen. Andererseits nimmt Erdogan für sich in Anspruch, nach Jahrzehnten kemalistischer Osmanophobie eine Welle der Osmanophilie ausgelöst zu haben. Diese ist von der Türkei aus sogar in einige christliche Nachbarländer übergeschwappt, in denen Süleyman der Prächtige eigentlich nicht als Vorbild in Erinnerung geblieben ist.
Historiker bescheinigen Erdogan zwar nur oberflächliche Geschichtskenntnisse. Aber er hat definitiv eine klare Vorstellung davon, wie seine osmanischen Vorfahren gelebt haben. "Sultan Süleyman hat 30 Jahre seines Lebens im Sattel verbracht", sagte Erdogan im vergangenen Jahr, als das Gerichtsverfahren gegen Show TV noch lief. "Er hat sein Leben nicht im Palast verbracht, wie solche Serien zeigen. Das müssen Sie sehr gut wissen und verstehen. Wer versucht, mit den Werten dieses Volkes zu spielen, dem wird das Volk mit Mitteln der Justiz seine Antwort geben."
Im Harem ging es doch ganz brav zu
Das Urteil von Danistay, einem der obersten Gerichte der Türkei, zeigt nun, wie die Liebe zur osmanischen Vergangenheit auszusehen hat. Erstens: Szenen im Harem, in denen bei Neuankömmlingen Brüste und Zähne kontrolliert werden, müssen raus. Sie "beeinträchtigen die mentale und moralische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen".
Zweitens: Dass die Lieblingskonkubine des Herrschers, die Hürrem Sultan, in ihrer slawischen Heimat in einer Kirche gefangen wird, sei eine Lüge, die nur "die Lügen von Europäern verstärkt, die Türken für Barbaren halten". Süleymans Untertanen haben, sagt heute das oberste Gericht, nie ein Mädchen aus einem Gotteshaus verschleppt. Drittens: Der Harem sei kein Hort sexueller Zügellosigkeit gewesen, sondern "eine ernsthafte Bildungsstätte", in der die Frauen in Kunst, Musik und sämtlichen Wissenschaften unterrichtet wurden.
Außerdem: Die Kostüme der Schauspieler entsprächen nicht "der Vorstellung, die heute die türkische Bevölkerung von der osmanischen Geschichte hat".
Glücklicherweise zeigen die Richter in ihrem pädagogischen Eifer auch auf einige Faktenfehler hin, die den Machern der Serie unterlaufen sind. Etwa dass Süleymans Harem anfangs in Eski Saray untergebracht war und erst zwei Jahrzehnte später in den Topkapi-Palast verlegt wurde. Im September startet nach der Sommerpause die vierte Staffel von "Das prächtige Jahrhundert". Man wird vermutlich weniger Hamamszenen sehen, vielleicht ändern sich die Kostüme leicht. Aber der Kampf darum, wie die osmanische Vergangenheit auszusehen hat, ist noch lange nicht entschieden.