Türkische Antwort auf "Sex and the City":Bildungsstätte Harem

Die Soap-Opera "Das prächtige Jahrhundert" im türkischen Fernsehen

Die türkische TV-Sendung "Das prächtige Jahrhundert" handelt vom Leben des osmanischen Herrschers Süleyman I.

(Foto: AFP)

"Das prächtige Jahrhundert" ist die erfolgreichste türkische Fernsehsendung aller Zeiten. Doch vielen Türken sind die historischen Darstellungen aus dem osmanischen Reich zu freizügig. Auch Ministerpräsident Erdogan schaltet um, wenn die Serie läuft. Nun versucht die türkische Justiz, das Drehbuch der Seifenoper umzuschreiben.

Von Tim Neshitov

War sie wirklich so, die Hürrem Sultan, die Lieblingsfrau des osmanischen Herrschers Süleyman I.? Eine aus der Ukraine verschleppte Schönheit? Hat sie beim Baden im Hamam einen Nervenzusammenbruch erlitten und andere Harem-Bewohnerinnen geohrfeigt? Und klebte ihr schönes, karamellfarbenes Haar ihr schlangenartig am Kopf - und hatte sie einen irren Blick in ihren zauberhaften Augen? Sprach sie wirklich Türkisch mit deutschem Akzent?

Oder hat Prinz Mehmet, der erste Sohn von Süleyman und Hürrem Sultan, sich nach den Liebesspielen verschämt ein seidenes Lendentuch umgebunden? Ist er dann mit federndem Teenager-Gang und schwitzender Brust zur Tür des Schlafzimmers stolziert und hat dem im Nebenraum verharrenden Eunuch befohlen: Bring uns nun was zu essen!?

Man weiß es nicht. Süleyman I., auch der Prächtige genannt, regierte das Osmanische Reich vor langer Zeit, von 1520 bis 1566. Über seine Kriege ist zwar Etliches überliefert, er eroberte Belgrad und Bagdad, belagerte Wien und gliederte Ungarn seinem Reich an. Aber über den Alltag in seinem Harem ist so gut wie nichts überliefert. Es war damals in der hohen Gesellschaft einfach nicht üblich, über Frauen zu sprechen, geschweige denn zu schreiben. Was wir heute über Frauen am osmanischen Hof wissen, wissen wir größtenteils aus den Erzählungen europäischer Reisender, vor allem der Venezianer. Ein italienischer Diplomat beschrieb Hürrem Sultan mal mit achtungsvoller Knappheit als "eine intelligente Dame".

Historisches Fabulieren, unterlegt mit pulsierender Musik

Die Macher der türkischen Fernsehserie "Das prächtige Jahrhundert" (Muhtesem Yüzyil) müssen also ziemlich viele Details dazuerfinden, wenn sie den Alltag und die Intrigen an Süleymans Hof zeigen. Und diese zeigt die Serie deutlich ausführlicher als Süleymans Eroberungszüge. Die Serie läuft seit Anfang 2011, und das Publikum findet das historische Fabulieren, unterlegt mit pulsierender, suggestiver Musik, großartig.

Die in Deutschland geborene Schauspielerin Meryem Uzerli, die in den ersten Staffeln Hürrem Sultan spielt und für die Rolle extra Türkisch lernte, tut sich zwar schwer mit dem ukrainischen Akzent, aber sonst liefert sie an der Seite des charmanten Grantlers Halit Ergenc (Süleyman I.) eine überzeugende Leistung ab.

Diese Seifenoper ist die erfolgreichste türkische Fernsehserie aller Zeiten, eine Art türkischer "Sex and the City", sogar Brad Pitt steht angeblich für einen Gastauftritt zur Verfügung. Jeden Mittwochabend schalten elf Millionen Türken ein, und nicht nur Türken. Die Serie läuft in 45 Ländern, in Arabien, Zentralasien, auf dem Balkan, in Russland.

Süleyman hat sein Leben im Sattel verbracht

Es gibt allerdings genug Türken, die der Meinung sind, man sollte nichts über den Harem des Padischahs erfinden, wenn man schon so wenig darüber weiß. Oder, wenn man denn unbedingt etwas erfinden muss, dann bitte so, dass es "den nationalen und geistigen Werten und der Familienstruktur" der türkischen Gesellschaft entspreche.

Diese Formulierung stammt aus der Anklageschrift gegen den Sender Show TV, in dem "Das prächtige Jahrhundert" anfangs lief. Angestrengt hatte die Klage die Regulierungsbehörde für den privaten Rundfunk (RTÜK), nachdem bei ihr in den ersten drei Monaten nach Ausstrahlungsbeginn mehr als 70 000 Beschwerden der Bürger eingegangen waren. Der Sender wurde prompt zu einer Geldstrafe von umgerechnet 300 000 Euro verurteilt, ging aber in Berufung. Diese Woche wurde die Rechtmäßigkeit der Strafe endgültig von einem höheren Gericht bestätigt.

Vom Set direkt in den Gezi-Park

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan dürfte sich freuen. Er mag die Serie nicht ("Wir haben keine solchen Vorfahren"). Erdogan sorgte dafür, dass die Fluggesellschaft Turkish Airlines die Seifenoper vom Bordprogramm nahm. Ein Gesetzesentwurf, um "Das prächtige Jahrhundert" ganz zu verbieten, scheiterte jedoch im Parlament. Offensichtlich schalten auch einige Abgeordnete der Regierungspartei Mittwochabend gerne ein.

Erdogans Abneigung ist nachvollziehbar. Einerseits kann dieser konservative Politiker mit dampfigen Hamamszenen wenig anfangen. Zumal wenn die ganzen Schauspieler dann noch vom Set direkt zum Gezi-Park marschieren und sich den Straßenprotesten anschließen. Andererseits nimmt Erdogan für sich in Anspruch, nach Jahrzehnten kemalistischer Osmanophobie eine Welle der Osmanophilie ausgelöst zu haben. Diese ist von der Türkei aus sogar in einige christliche Nachbarländer übergeschwappt, in denen Süleyman der Prächtige eigentlich nicht als Vorbild in Erinnerung geblieben ist.

Historiker bescheinigen Erdogan zwar nur oberflächliche Geschichtskenntnisse. Aber er hat definitiv eine klare Vorstellung davon, wie seine osmanischen Vorfahren gelebt haben. "Sultan Süleyman hat 30 Jahre seines Lebens im Sattel verbracht", sagte Erdogan im vergangenen Jahr, als das Gerichtsverfahren gegen Show TV noch lief. "Er hat sein Leben nicht im Palast verbracht, wie solche Serien zeigen. Das müssen Sie sehr gut wissen und verstehen. Wer versucht, mit den Werten dieses Volkes zu spielen, dem wird das Volk mit Mitteln der Justiz seine Antwort geben."

Im Harem ging es doch ganz brav zu

Das Urteil von Danistay, einem der obersten Gerichte der Türkei, zeigt nun, wie die Liebe zur osmanischen Vergangenheit auszusehen hat. Erstens: Szenen im Harem, in denen bei Neuankömmlingen Brüste und Zähne kontrolliert werden, müssen raus. Sie "beeinträchtigen die mentale und moralische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen".

Zweitens: Dass die Lieblingskonkubine des Herrschers, die Hürrem Sultan, in ihrer slawischen Heimat in einer Kirche gefangen wird, sei eine Lüge, die nur "die Lügen von Europäern verstärkt, die Türken für Barbaren halten". Süleymans Untertanen haben, sagt heute das oberste Gericht, nie ein Mädchen aus einem Gotteshaus verschleppt. Drittens: Der Harem sei kein Hort sexueller Zügellosigkeit gewesen, sondern "eine ernsthafte Bildungsstätte", in der die Frauen in Kunst, Musik und sämtlichen Wissenschaften unterrichtet wurden.

Außerdem: Die Kostüme der Schauspieler entsprächen nicht "der Vorstellung, die heute die türkische Bevölkerung von der osmanischen Geschichte hat".

Glücklicherweise zeigen die Richter in ihrem pädagogischen Eifer auch auf einige Faktenfehler hin, die den Machern der Serie unterlaufen sind. Etwa dass Süleymans Harem anfangs in Eski Saray untergebracht war und erst zwei Jahrzehnte später in den Topkapi-Palast verlegt wurde. Im September startet nach der Sommerpause die vierte Staffel von "Das prächtige Jahrhundert". Man wird vermutlich weniger Hamamszenen sehen, vielleicht ändern sich die Kostüme leicht. Aber der Kampf darum, wie die osmanische Vergangenheit auszusehen hat, ist noch lange nicht entschieden.

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