Türkisch-Deutsche Universität:Schatten über dem Leuchtturm

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Studierende protestierten im Februar gegen die Einsetzung eines neuen Direktors an der renommierten Boğaziçi-Universität. Jetzt steht die Türkisch-Deutsche Universität im Fokus. (Foto: Emrah Gurel/dpa)

Nach Studentenprotesten im Januar regt sich nun auch Widerstand an der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul. Dort lehrt ein Politologe, der auf Twitter homophobe und rechte Sprüche macht.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Wenn Politiker auf Großes aus sind, sprechen sie von "Leuchtturm-Projekten". So 2020 bei der Eröffnung der Türkisch-Deutschen Universität (TDU) in Istanbul: Präsident Recep Tayyip Erdoğan war da, die Kanzlerin auch, als eine Art Gründungsmutter kam Rita Süssmuth angereist. Ein akademisches Projekt, in das seitdem aus Deutschland jährlich rund vier Millionen Euro fließen, vor allem für Sprachunterricht. Für den sind über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) meist deutsche Lehrkräfte zuständig.

Ein Projekt also, das zu gegenseitigem Verständnis zwischen Türken und Deutschen führen soll. Nur: Wie hilfreich kann da ein Mitarbeiter sein, der homophobe und geschichtsvergessene Tweets ins Netz stellt, gleichzeitig aber Soziologie, Politologie und internationale Beziehungen lehrt? Gar nicht, sagen Studenten der Uni und fordern unter dem Hashtag "Kein Platz für Homophobie an der Uni" die Kündigung des Politologen Taceddin Kutay, der im türkischen Lehrsektor der Uni arbeitet. Was nun offenbar üble Folgen hat: Ein Student sei bereits vom Dekan der Juristischen Fakultät vorgeladen und eingeschüchtert worden, sagte eine Studentin der SZ. Kutay habe nur seine persönliche Meinung gesagt, hieß es.

Vielleicht hätte man eher Taceddin Kutay befragen sollen. Eine Auswahl seiner Tweets: Nach der 0:4-Niederlage des FC Bayern gegen Real Madrid 2014 fragte der in Wien promovierte türkische Hochschulmann, wo der Deutsche bleibe, der "Seifen aus den Madrilenen macht" und vermisste dann "die alten Führer". An die Adresse der LGBT- und Regenbogen-Gemeinde gerichtet twitterte er im Februar 2021: "Schaut nicht an euch herunter. Sonst könnte es sein, dass ihr euch als Mann erkennt und eure Flagge verblasst."

Kutay sagt, der Islam verfluche Homosexualität

Schwule sind für Kutay Perverse, denn "Homosexualität ist eine Perversion", was er im Sender TV-100 mit seinem islamischen Glauben rechtfertigte. Kutay tritt in der Türkei in politischen Talk-Runden auf, gern lautstark, immer regierungsnah. Die Deutschen wollten "Muslime, die von Koran und Islam bereinigt" seien, sagte er in einer Diskussionsrunde des regierungsnahen Thinktanks Seta, die auf Youtube zu sehen ist. "Die Deutschen akzeptieren den Islam allenfalls "als kulturelle Vielfalt, wie im Zoo". Bei anderer Gelegenheit tweetete er laut ARD "Wir spucken auf eure beschissene EU."

Nachdem die Studentengruppe Kutays Ausscheiden aus der Hochschule fordert, rudert der Dozent ein wenig zurück. Seinen inzwischen gelöschten Tweet über die Madrilenen, die er zu Seife machen wollte, dürfe man "nicht ernst nehmen", sagte er der SZ. "Ein dummer Witz, das würde ich heute nicht mehr schreiben." Bei seinen Äußerungen über Homosexuelle bleibe er aber: Er sei gläubiger Muslim und "der Islam verflucht Homosexualität. Das hat der Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet selbst gesagt. Ich stehe zu meinem Glauben".

Teile der Türkischen Jugend lehnt sich gegen das enger werdende akademischen Klima auf

Inzwischen fällt auch dem DAAD auf, dass solche Lehrkräfte der akademischen deutsch-türkischen Sache schaden, man spricht nun von "Menschenrechtsverletzenden Äußerungen": "Den Aussagen des türkischen Mitarbeiters der TDU muss nun konsequent nachgegangen werden. Sie widersprechen allen Werten, für die der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und seine Mitgliedshochschulen und Mitgliedsstudierendenschaften stehen."

Bleibt abzuwarten, was passiert. Auch das Rektorat der TDU untersucht angeblich, die Studenten haben bisher aber nicht gehört, was dabei herausgekommen ist. Es geht aber nicht nur um Kutay und seine Tweets. Der Protest der TDU-Studenten zeige, dass sich Teile der türkischen Jugend nach fast 20 Jahren der konservativ-islamischen Regierung von Präsident Erdoğan gegen das immer enger werdende akademischen Klima auflehnten, sagt ein Mitarbeiter der Uni. "Ich sehe, dass die Studenten politischer werden."

Das zeigt sich jüngst auch an der renommierten Boğaziçi-Uni in Istanbul, an der Erdoğan einen nach Ansicht der Dozenten und Studenten unqualifizierten, aber linientreuen Rektor eingesetzt hatte. Es kam zu Protesten und zu einer Ausstellung, bei der auch LGBT-Kunst ausgestellt wurde: Wegen Beleidigung des Islam sehen nun sieben Studenten einem Gerichtsverfahren entgegen.

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