Türkische Theaterszene:Etwa 150 Theaterleute in der Türkei entlassen

March 27 2017 Istanbul Turkey An artist performs during International World Theater Day in Is

Ein Künstler tritt auf am Welttheatertag am 27. März 2017 in Istanbul auf.

(Foto: imago/ZUMA Press)
  • Rund 150 bislang in freier Tätigkeit an staatlichen Bühnen Beschäftigte sind seit Jahresanfang arbeitslos.
  • Die türkische Gewerkschaft für Kultur und Kunst äußerte die Vermutung, die Gefeuerten stünden auf einer "schwarzen Liste", die Kündigungen seien politisch.
  • Die verantwortlichen staatlichen Stellen haben bisher allenfalls vage Erklärungen gegeben.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Nun steht "Die Schöne von Milet" wieder auf dem Spielplan des Staatstheaters im südtürkischen Adana. Es ist die alte Geschichte: zwei Liebende, die nicht zueinander finden. Am 2. Januar musste das Stück plötzlich abgesetzt werden. Fünf Stunden, bevor sich der Vorhang heben sollte, hielt der Hauptdarsteller einen gelben Umschlag in Händen. Damit war er entlassen, und dem Theater verboten, ihn weiterzubeschäftigen. Das berichtete die türkische Zeitung Sözcü. Der Schauspieler war nicht der Einzige, der von einem Moment auf den anderen Bühnenverbot bekam. Auch Kulissenschieber und Kostümbildnerinnen, Sänger und Souffleusen traf es, insgesamt rund 150 bislang in freier Tätigkeit an staatlichen Bühnen Beschäftigte, sind seit Jahresanfang arbeitslos. Einige waren nach eigenen Angaben 20 Jahre und mehr an Theatern und Opernhäusern tätig.

Begründung für den erzwungenen Abgang? Erst mal keine. Die türkische Gewerkschaft für Kultur und Kunst äußerte die Vermutung, die Gefeuerten stünden auf einer "schwarzen Liste", manchen sei informell mitgeteilt worden, sie seien bei einer "Sicherheitsüberprüfung" durchgefallen. Damit war die Sache politisch. Schließlich gab es schon früher Streit um die Staatstheater. Es gibt mehr als 40 in der ganzen Türkei. Die Eintrittskarten sind günstig, die Programme eher klassisch. Freie Theater, davon gibt es noch viel mehr, werfen den Staatsschauspielern gern vor, sie nähmen für ihre soziale Absicherung absurde Verträge in Kauf. "Ihnen wird verboten, den Staat zu kritisieren", sagt der Schauspieler Fırat Tanış. Von Zensur und Selbstzensur sprachen andere Kritiker aus der freien Theaterszene.

Statt versprochener Festanstellungen kamen die Entlassungsschreiben

Die Direktion der staatlichen Bühnen will das nicht auf sich sitzen lassen. Auf ihrer Webseite mit dem Signet des Ministeriums für Kultur und Tourismus heißt es: Für eine Verlängerung ihrer Verträge hätten die betroffenen Mitarbeiter zu Jahresbeginn neue Bedingungen erfüllen müssen. Welche dies sind, wird nicht erläutert. Vielmehr heißt es, die Theater seien auch Ausbildungsstätten, das Personal müsse daher bestimmten Kriterien genügen, und das sei bei einigen der bisher Beschäftigen einfach nicht der Fall. Zahlen werden nicht genannt. Die Stücke, die nicht gespielt werden konnten, seien im Übrigen nur "verschoben". Die Webseite schmückt ein Satz von Staatsgründer Kemal Atatürk: Ein Staat ohne Kunst schneidet sich eine seiner Lebensadern ab. Im Dezember hat Kulturminister Mehmet Nuri Ersoy Hunderten Freiberuflern an den Staatstheatern noch Hoffnung gemacht, dass sie 2020 alle angestellt würden. "Wir verschaffen ihnen Beschäftigungssicherheit und staatlichen Schutz", zitierte die staatliche Agentur Anadolu den Minister. Doch statt der Festanstellung kamen die gelben Briefe.

Nun ist das Misstrauen groß, schließlich stehen immer wieder auch Künstler vor Gericht oder landen im Gefängnis. Der prominente Schauspieler Memet Ali Alabora gehört zu den 16 Angeklagten im Prozess gegen den Mäzen Osman Kavala. Ihnen wird unterstellt, sie hätten die Gezi-Proteste in Istanbul 2013 organisiert und finanziert, was die Angeklagten entschieden bestreiten. Alabora hat das Land verlassen, Kavala sitzt seit über 800 Tagen in Haft, der Prozess wird am 28. Januar fortgesetzt.

Die Opposition will in einer Parlamentsanfrage wissen, ob Aktivitäten in sozialen Medien Grund für die Entlassungen waren. Sercan Gidişoğlu, Vorstandsmitglied der Schauspielergewerkschaft, sagt, "weil das alles nicht transparent ist", könne jeder wild spekulieren. In der "Schönen von Milet" gibt es ein glückliches Ende. Danach sieht es im realen Leben gerade nicht aus.

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