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Türkei klagt Pianisten an:Einer, der sein Land verrät

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"Ist das Paradies etwa ein Bordell?" Wegen religionskritischer Sätze wie diesem wird der türkische Pianist Fazil Say in seiner Heimat angeklagt - sein Verhalten könne zum Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung führen. Die Angelegenheit wirft ein schlechtes Licht auf die Türkei, die sich gern betont laizistisch gibt.

Alex Rühle

Es begann mit einem Zitat. Der türkische Pianist und Komponist Fazil Say twitterte Anfang April zwei Sätze, die dem mittelalterlichen persischen Dichter Omar Khayyam zugeschrieben werden: "Du behauptest, durch die Bäche wird Wein fließen - ist das Paradies etwa eine Schänke? Du sagst, jeder Gläubige wird zwei Jungfrauen bekommen - ist das Paradies etwa ein Bordell?" Daraufhin brach ein Sturm der Entrüstung los, muslimische Türken beschimpften den bekennenden Atheisten Say im Netz aufs übelste. Der konterte mit sarkastischem Humor und Sätzen wie diesem: "Der Muezzin trägt seinen Aufruf zum Abendgebet in 22 Sekunden vor. Prestissimo con fuoco!! Warum so eilig? Eine Geliebte? Der Raki-Tisch?"

Wegen dieser Sätze wurde der Künstler jetzt von der Istanbuler Staatsanwaltschaft angeklagt. Say habe zum Hass aufgestachelt und religiöse Werte verunglimpft, heißt es in der Anklageschrift. Ja, der Staatsanwalt versteigt sich zu der Behauptung, Says Tweets könnten sogar "zum Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung führen". Der Prozess soll Mitte Oktober beginnen. Say drohen bis zu 18 Monate Haft.

Sollte tatsächlich die öffentliche Ordnung in Gefahr sein, fragt sich, warum einzig der berühmte Pianist angeklagt wird: Schließlich war er nur einer von 166 Twitterern, die das Khayyam-Zitat retweetet hatten. Dass allein ihm der Prozess gemacht wird, verdeutlicht, dass es der Justiz nur darum geht, einem ihrer lästigsten Kritiker eins auszuwischen: Schließlich hat Say sich immer wieder mit dem Premierminister Tayyip Erdogan und dessen konservativer Regierung angelegt und über die wachsende Intoleranz und eine schleichende Islamisierung der Türkei geklagt. Als er 2007 sagte, er überlege, das Land zu verlassen, weil ja "die Islamisten ohnehin gewonnen haben", rief das schon große Empörung hervor. Say wurde als Landesverräter beschimpft.

Das ist er tatsächlich, aber in einem anderen Sinne: Die Reaktionen auf seine Tweets verraten viel über ein Land, das von sich selbst behauptet, laizistisch zu sein. Dass einem Atheisten wegen einiger religionskritischer Sätze der Prozess gemacht wird, wirft kein gutes Licht auf den Premier und dessen Umgang mit seinen Kritikern. Say überlegt, nach Japan auszuwandern.

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SZ vom 05.06.2012
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