Tschernobyl:Die unsichtbare Zerstörung

Swetlana Alexijewitsch: Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft. Aus dem Russischen von I. Kolinko u.und G. Braungardt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 372 Seiten, 18 Euro. (Foto: N/A)

Von Nicolas Freund

"Haben Sie sie gesehen?" fragt Anna Petrowna Badajewa über die Radioaktivität. "Welche Farbe hat sie? Einige sagen, daß sie farblos und geruchlos ist, andere sagen, daß sie schwarz ist. Wie Erde!" Tatsächlich gibt es Filmaufnahmen aus Tschernobyl vom Tag nach der Atomkatastrophe, auf denen die Strahlung als gespenstische Lichtblitzorgie zu sehen ist, unheimliche Zeichen der unsichtbaren Gefahr. In den Neunzigern sprach Swetlana Alexijewitsch mit Überlebenden des Unglücks, vor allem mit Frauen, mit Rückkehrerinnen, die nicht wussten, wo sie sonst hinsollten und mit Witwen der Liquidatoren, jener Männer, die nach dem Unglück halfen, den offenliegenden Reaktor unter Schutt zu begraben und von denen viele eine so hohe Strahlendosis abbekamen, dass sie die nächsten Tage nicht überlebten. In ihren Protokollen scheint die Katastrophe nicht nur das Land, sondern auch die Zeit kontaminiert zu haben. Was ist aus der versprochenen, sowjetischen Zukunft geworden? Dieses Buch über eine Katastrophe, die mehr zerstört hat, als man sehen kann, ist neu auf Deutsch in der von Alexijewitsch überarbeiteten Fassung erschienen.

© SZ vom 04.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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