Trump Town (I):Der Kater nach dem Sieg

Der SZ-Kulturkorrespondent lebt in derselben Stadt wie Trump. Der wirft große Schatten auf das Leben dort. Dazu beginnt nun eine tägliche Kolumne.

Kolumne von Peter Richter

Hinterher wollen es viele vorher schon gesagt haben. Aber wer nun tatsächlich seit Monaten immer schon gesagt hat, dass er so ein Gefühl habe, Trump könne wirklich und wahrhaftig gewinnen: Das war der New Yorker Kulturkorrespondent der SZ. Wer es nicht glaubt, kann die Ressortleiter Feuilleton und Seite Drei anrufen. (Bitte nicht wirklich, die haben zu arbeiten.) Allerdings hat er das lediglich im Privaten gesagt, es war ja nur so ein Gefühl. Die Jobbezeichnung lautet, wie gesagt, Korrespondent und nicht Kassandra, und es wollte immer keiner so recht glauben. Man steht dann schnell unter Verdacht, sich mit Geraune interessant machen zu wollen oder mit Trump sogar zu sympathisieren. Vielleicht, wer weiß, ist dieses Phänomen ja auch ein Teil des Problems.

Hinterher, also jetzt, wollen viele ganz genau wissen, wo das Problem lag. Aber wer nun tatsächlich da lebt, wo jetzt alles anders ist und anders wird: Das ist auch wiederum der New Yorker Kulturkorrespondent der SZ. Der wird die Leser deshalb bis auf Weiteres täglich ein wenig an dem Leben teilhaben lassen, auf das die Präsidentschaft des Donald Trump nun ihre Schatten vorauswirft. Das hier wird ein Tagebuch aus dem Limbus, der sich zwischen Wahl und Amtseinführung von Donald Trump auftut. Oder soll man es Notizen aus dem Alltag einer Revolution nennen? Einer Konterrevolution? Das Wort, auf das es ankommt, ist ohnehin: Alltag. Denn der geht nun einmal weiter.

Während sich speziell das deutschsprachige Internet offensichtlich nur ungern vom Untergang der Welt ablenken lassen mag, den das Wahlergebnis bedeute, mussten die allermeisten Amerikaner auch in den Tagen seither schon wieder Dollars verdienen, Rechnungen bezahlen, ihr Leben leben. Die Bars und Restaurants von New York waren auch an dem Wochenende "danach" brechend voll. Der Alkohol floss.

Alkohol war übrigens auch in der Wahlnacht schon in beeindruckenden Mengen geflossen. Die einen haben damit gefeiert, die anderen ihren Schmerz betäubt. Alkohol ist insofern so ziemlich das Einzige, was dieses Land im Moment noch eint. Als beide Seiten dann langsam aus ihrem Rausch erwachten, war die Stadt wie immer, nur merklich gedämpfter, leiser, wie in Watte gepackt, mit anderen Worten: verkatert. Auf den spanischsprachigen Kanälen scheppern die Merengues und Salsas in unbeeindruckter Fröhlichkeit vor sich hin wie eh und je, während auf National Public Radio jetzt jungen Frauen der Rat gegeben wird, Geburtenplanung und Verhütungsmittelrezepte möglichst noch in der Restlaufzeit der Regierung Obama unter Dach und Fach zu bringen. . .

Eine apokalyptische Grundstimmung durchtränkt seit einer Woche die amerikanische Normalität. Gleichzeitig wird auch die schon wieder maximal pragmatisch gehandhabt. Proteste gegen Trump finden täglich nach Feierabend statt, nur am Wochenende auch früher. Ein Professor der Cornell University mit dem Namen Russell Rickford hat zwar bereits zum Generalstreik aufgerufen, allerdings richtete sich der Aufruf nicht zuletzt an Studenten und Künstler.

Der Kulturkorrespondent will nicht schon wieder Kassandra spielen, aber irgendetwas sagt ihm, dass das für die Trump-Wähler auf den Feldern von Wisconsin und in den Fabriken von Ohio ganz gut zu verschmerzen wäre, mehr jedenfalls als im umgekehrten Fall.

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