"Trouble Every Day" im Kino:Alltäglichkeit der Lust

"Trouble Every Day" im Kino: Wahnsinn, Begierde und Macht sind die Triebfedern in Claire Denis' Horrorfilm "Trouble Every Day" - Szene mit Béatrice Dalle.

Wahnsinn, Begierde und Macht sind die Triebfedern in Claire Denis' Horrorfilm "Trouble Every Day" - Szene mit Béatrice Dalle.

(Foto: Rapid Eye Movies)

Claire Denis' wegweisende weibliche Horrorfantasie "Trouble Every Day" kommt mit zwanzig Jahren Verspätung ins deutsche Kino.

Von Sofia Glasl

Beinahe väterlich blickt der Arzt Leo drein, als er seine Freundin Coré nachts einsammeln muss. Mit schuldbewusstem Blick sitzt sie zusammengekauert auf einer Böschung in der Pariser Banlieue, das Gesicht voller Blut. Neben ihr liegt ein Toter mit merkwürdig entstelltem Gesicht. Leo (Alex Descas) scheint das schon zu kennen und räumt auf, bringt Coré nach Hause. Wie ein Tier hält er sie hier in einem Zimmer und versucht vergeblich, sie von ihren Beutezügen abzuhalten.

Wahnsinn, Begierde und Macht sind die Triebfedern in Claire Denis' Horrorfilm "Trouble Every Day" und spitzen sich von Beginn an in Szenen blutiger Rage zu. Bereits 2001 feierte der Film in Cannes Premiere und ist nun erstmalig in Deutschland zu sehen. Der Kölner Filmverleih Rapid Eye Movies bringt ihn in einer digital restaurierten Fassung heraus, die von Kamerafrau Agnès Godard betreut wurde und von Denis abgesegnet ist.

Ein kleines Wunder ist das für einen Film, der über zwanzig Jahre alt ist, doch dieser Moment im französischen Kino bietet sich an: Mit ihrer sinnlich-kannibalistischen Horrorfantasie antizipiert Denis geradezu transgressives weibliches Körperkino wie "Raw" von Julia Ducournau, die Genre- und Gendernormen herausfordert und im vorigen Jahr mit ihrem erotischen Maschinenfilm "Titane" in Cannes die Goldene Palme gewann.

Damit schließt sich in gewisser Weise ein Kreis zu Filmen, die um die Jahrtausendwende erschienen sind und nachträglich unter der Rubrik "New French Extremity" zusammengefasst wurden. Filmschaffende wie Catherine Breillat, Bertrand Bonello und Gaspar Noé setzten sich gezielt mit Tabubrüchen und Normüberschreitungen auseinander, um sowohl gedankliche wie auch filmästhetische Grenzen auszuloten.

Die Momente des Begehrens sind gleichermaßen verstörend und intim

Das tat Claire Denis allen voran: Aus Erinnerungsblitzen und Tagträumen setzt sie elliptisch ein Bild von Corés Zustand zusammen, den Leo für eine mysteriöse Infektion hält. Langsam formieren sich auch Verbindungslinien zum amerikanischen Mediziner Shane (Vincent Gallo), der mit seiner Frau June die Flitterwochen in Paris verbringt. Eigentlich ist er auf der Suche nach Leo, denn wie Coré muss auch er seinen Blutdurst immer wieder unterdrücken. Er flieht regelrecht vor wiederkehrenden Bildern in seinem Kopf, die June blutverschmiert in seinen Armen zeigen.

Claire Denis erkundet mit Shane und Coré das Feld zwischen Liebe und Trieben, Treue und Selbstbestimmung und hinterfragt normierte Vorstellungen von Intimität zwischen Zärtlichkeit und Lust am Schmerz. Kamerafrau Agnes Godard geht in diesen gleichermaßen verstörenden wie intimen Momenten so nah an die oft noch im Liebesakt verschlungenen Körper heran, dass diese in Einzelteile zu zerfallen scheinen - auch schon bevor die Küsse zu blutverschmierten Bissen werden.

Getragen wird dies vom meditativen Soundtrack der britischen Band Tindersticks, mit der Denis regelmäßig zusammenarbeitet. Bereits in der Eingangssequenz kündigt ein melancholisch schwebender Walzer diese Kehrseite - oder ist es eine fließende Erweiterung? - romantischer Liebe an. "Look into my eyes, you see trouble every day. It's on the inside of me" heißt es da, während ein junges Paar sich auf einem Autorücksitz ausgiebig küsst.

Tief in die Textur des körperlichen Begehrens dringt Claire Denis mit "Trouble Every Day" vor. Nicht nur die verborgenen Emotionen fordert sie heraus, sondern die tief sitzenden unbewussten Triebe und Bedürfnisse, gießt sie in Bilder, Geräusche, Affekte und verwebt diese zu einer gleichermaßen physischen wie hypnotischen Collage irrationalen Verlangens. Schmerz und Lust haben hier trotz aller Entgrenzung immer auch etwas Bedächtiges, vielleicht sogar etwas Selbstreflexives. Dieser Rausch denkt nämlich immer schon die auf ihn folgende Leere und das schlechte Gewissen mit.

Béatrice Dalle macht Coré zu einer ambivalenten Figur. Betörend und abstoßend zugleich sucht sie immer wieder nach Möglichkeiten, Leos Pathologisierung ihrer Lust zu umschiffen und kommt doch nicht von ihm los. Was, wenn nicht sie hier die Gewalttäterin ist? Der anfangs männliche Blick auf Coré wandelt sich im Verlauf des Films und gibt ihr in der Grenzüberschreitung ein Stück Selbstbestimmung zurück.

Trouble Every Day, Frankreich 2001 - Regie: Claire Denis. Drehbuch: Claire Denis, Jean-Pol Fargeau. Kamera: Agnès Godard. Musik: Tindersticks. Mit: Vincent Gallo, Béatrice Dalle, Alex Descas, Tricia Vessey. Rapid Eye Movies. Kinostart: 3. März 2022.

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