Süddeutsche Zeitung

Trier: Ausstellungen über Armut:Eure Armut kotzt uns an

Vom antiken Graffiti-Slogan "Ich verabscheue Armut" über Witzfiguren, mit denen sich Wolhabende über Benachteiligte lustig machten - bis zu Westerwelles "spätrömischer Dekadenz": Zwei Ausstellungen in Trier zeigen, wie die Gesellschaft mit ihren Ärmsten umgeht.

Rudolf Neumaier

Vom antiken Graffiti-Slogan "Ich verabscheue Armut" über Witzfiguren, mit denen sich Wolhabende über Benachteiligte lustig machten - bis zu Westerwelles "spätrömischer Dekadenz": Zwei Ausstellungen in Trier zeigen, wie die Gesellschaft mit ihren Ärmsten umgeht. Die Bilder. In Berlin sieht man den Autoaufkleber eher selten, weil dort die Gefahr größer ist, dass sich Einzelne angesprochen fühlen, sensibel reagieren und das Fahrzeug demolieren. Im Süden Deutschlands ist er noch häufiger anzutreffen - dort hält der Wohlstand das Aggressionspotential prekärer Schichten im Zaum. Auf dem Aufkleber steht: "Eure Armut kotzt mich an." Das gab es schon in Pompeji. Dort fanden Archäologen ein Graffito mit dem Slogan: "Abomino pauperos." Ich verabscheue Armut. Pompeji war eine reiche Stadt. Bevor die Götter sie mit Lava zuschütteten. Text: Rudolf Neumaier/SZ vom 8.6.2011/sueddeutsche.de/rus Alle Bilder stammen aus den beiden besprochenen Ausstellungen.

Armut und Abscheu. Der Spruch ist die richtige Einstimmung auf eine Ausstellungstour durch Trier. Er führt vor Augen, dass es eine 2000 Jahre alte Kontinuität gibt im Verhältnis der Gesellschaft zu Armen - trotz christlicher Karitas, trotz der Sozialmoral der Aufklärung. Wer sieht es schon gerne, wenn vor seiner Haustür Obdachlose campieren? Und welcher Staat freut sich, wenn er Flüchtlinge aus Nordafrika aufnehmen soll, die den Seelenverkäufertrip übers Mittelmeer überlebt haben? Setzt sich nicht in diesem Ausblenden, Verdrängen, Abweisen von Armut die archaische Abscheu fort? Historiker haben dafür einen Leitbegriff entdeckt: Exklusion.

In der Antike manifestierte sich diese Exklusion in purer Menschenverachtung. Die Ausstellung "Armut in der Antike" im Rheinischen Landesmuseum vermittelt einen Eindruck von dieser Segregation. Arme waren Abschaum, ihr Zustand galt als selbstverschuldet. Die meisten der beispielhaften Exponate stammen aus dem hellenistischen Alexandria, einer vor Reichtum strotzenden Weltstadt. Die Mittellosen labten sich am Überfluss dieses Schmelztiegels, denn im Müll der Oberschicht fanden sie noch genug, um über die Runden zu kommen.

Die Geldelite registrierte diese Bettler durchaus: als Witzfiguren. Die Wohlhabenden ließen groteske Statuetten anfertigen, Öllampen und Schmuckstücke. Die Trierer Antikenschau zeigt sie zu Dutzenden. Es sind gebrechliche alte Männer mit markant großen Nasen und überdimensionalen Penissen. Ihre Entblößung und die Geschlechtsteile, die in ihrer Größe als hässlich galten, symbolisierten die animalische Triebhaftigkeit dieser Straßenmenschen. Wozu die Figuren dienten, darüber sind sich die Wissenschaftler nicht im Klaren. Fungierten die Figuren als Talismane, die Unheil abwehren sollten? Oder waren es nur Statussymbole, mit denen sich die Inhaber abgrenzten? Die historischen Quellen sind zu dürftig für eine Antwort. So bleiben die Figuren Zeugnisse einer Kultur des Sarkasmus und der Dekadenz.

Die Ausstellung entwickelt ihren Reiz durch ihr Präsentationskonzept. Sie wurde von Stephan Seiler koordiniert und von den Trierer Althistorikern Elisabeth Herrmann-Schütze und Christoph Schäfer betreut. Die Gestaltung überließen sie Architekturstudenten der Trierer Fachhochschule. Eine Idee ragt heraus: Die Vitrinen sind mit Glassockeln versehen, die eine Tangente zur heutigen Zeit herstellen. Hinter den Sockeln sind mal leere Pfandflaschen, mal Scherben und Zerrspiegel drapiert. Eine elegante Lösung, die Exponate herauszustellen. Und an den Wänden hängen Pappteller. Willkommen in der Armenküche!

Spätestens in der Spätantike, mit dem Obsiegen des Christentums und seines Barmherzigkeitsgebots, verschwanden Darstellungen entstellter Armer. Überhaupt sollte es mehr als tausend Jahre dauern, bis das Thema wieder künstlerisch bearbeitet wurde. Hier setzt die Ausstellung "Armut. Perspektiven in Kunst und Gesellschaft" im Stadtmuseum Simeonstift ein. Wo die Besucher der Antikenausstellung mit dem Graffito von Pompeji begrüßt werden, prangen hier prägnante Zitate auf einer Leinwand im Treppenhaus: "Nur wer arbeitet, soll auch essen!" (Müntefering, 2006); "Spätrömische Dekadenz!" (Westerwelle, 2010); "Das Lumpenproletariat - die passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft" (Marx/Engels, 1848); "Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen!" (Paulus, 1. Jahrhundert).

Nach diesem Entree entfaltet sich ein Panorama, das man als prächtig bezeichnen müsste, wenn es nicht um Armut ginge. Es gewährt, wenn man sich darauf einlässt und sich Zeit nimmt, Einblicke in die Menschheitsgeschichte und noch viel mehr in die Menschlichkeitsgeschichte. Im Fokus der Kuratorin Nina Trauth, einer Kunsthistorikerin, stehen nicht die Armen und ihre Lebensverhältnisse selbst, sondern der Umgang der abendländischen Kulturen mit ihnen - wie der Untertitel der Ausstellung, "Perspektiven in Kunst und Gesellschaft" ankündigt. Die Ausstellung ist zu sehr als Reflexion angelegt, als dass sie Betroffenheit auslösen oder gar Mitleid erweckte mit den armen Teufeln, die bestenfalls als Ob- und nie als Subjekte gezeigt werden. Sie basiert auf einem umfangreichen interdisziplinären Forschungsprojekt der Universität Trier, aus dem unter der Leitung des Literaturprofessors Herbert Uerlings ein opulenter Aufsatzband und Katalog hervorgegangen ist - mit 450 Seiten ein schätzungsweise drei Kilo schwerer Meilenstein in der Armutsforschung.

Unsexy war Armut schon immer, sieht man von wenigen Ausnahmen wie Diogenes, dem Kyniker aus dem Fass, ab. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass sich gerade die Kirche profilierte, indem sie Wohlfahrt propagierte. Die ersten Zeugnisse im Mittelalter lassen sich anhand von Armenlisten zur Zeit der Karolingischen Reform fassen. Sie sah einen Teil des Kirchenzehnten für die Armenfürsorge vor. Schon hier wurde zwischen wahrhaft Bedürftigen und arbeitsscheuen Bettlern unterschieden. Die Trierer Steuerliste, eines der wenigen historischen Exponate in dieser von kunstgeschichtlichen Stücken dominierten Ausstellung, verdeutlicht, wie schnell Menschen in der Armutsfalle landeten. Eine Krankheit, eine Verletzung, ein Brand - schon war die Existenz vernichtet.

Es dauerte allerdings bis ins 16. Jahrhundert, ehe Künstler wie Albrecht Dürer und der hier ausgestellte Jacques Callot Arme explizit abbildeten. In diese Zeit fällt auch ein grundlegender, wenn man so will, sozialpolitischer Wandel: Die Städte, also die kommunale Allgemeinheit, übernahmen mehr und mehr die Verantwortung für die Armenfürsorge, wohl nicht zuletzt weil der Kirche nach dem Versiegen der Ablassgeschäfte die Mittel abhandenkamen und die Heiligen, die Ikonen der Barmherzigkeit, im Zuge der Reformation Popularität einbüßten. Besonders deutlich zeigt sich diese Entwicklung in den Darstellungen der "Sieben Werke der Barmherzigkeit" von Pieter Brueghel dem Älteren und seines Sohnes: Der Ältere platzierte die Allegorie der christlichen Caritas noch im Zentrum seiner Zeichnung, der Jüngere sparte sie in seinem Gemälde aus.

Ähnliche Säkularisierungstendenzen stechen im 20. Jahrhundert ins Auge: Waren es in den 1960ern noch Bischöfe, die auf Plakaten zum Spenden für die Armen aufriefen, widmeten sich fortan auch weltanschaulich offene Organisationen wie die Welthungerhilfe und Künstler wie Rolf und Klaus Staeck der Fürsorge. Rolf Staeck machte das arme Biafra-Kind, das Opfer, zum Partner. Karl Marx, der gebürtige Trierer, ist in dieser Ausstellung natürlich auch anzutreffen. Wer ihn für den Politpatron der Mittellosen hielte, würde sich gründlich täuschen. Marx differenzierte zwischen den armen arbeitenden Proletariern - und eben dem Lumpenproletariat. Seine Lehre demonstriert, dass sich das Exkludieren von Personen, die sich nicht tatkräftig am Gemeinwohl beteiligen, obwohl sie dazu körperlich in der Lage wären, durch die Geschichte zieht. Diese Haltung ist aktueller denn je. Singt nicht sogar Die Linke "Die Internationale", in deren dritter Strophe gegen "die Müßiggänger" gesungen wird?

Am Ende der Ausstellung keimt doch noch so etwas wie Mitleid auf: Ein Bettler erzählt in einem Video aus seinem Leben und davon, dass er sich nützlich macht, indem er Kirchenbesuchern die Tür aufhält. Es hat einen sonderbaren Beigeschmack, wenn man das Simeonstift verlässt und zum Trierer Dom gelangt, um dort zur Abrundung die Domkanzel des Hans Ruprecht Hoffmann anzuschauen, die wieder die Sieben Werke der Barmherzigkeit zeigt. Vor dem Portal knien Bettler, Profis scheint's. Vor Kirchen geht das Geschäft offenbar immer noch recht gut - auch ohne Türaufhalten. "Armut. Perspektiven in Kunst und Gesellschaft", Stadtmuseum Simeonstift, Trier. Katalog 39,90 Euro. "Armut in der Antike", Rheinisches Landesmuseum, Trier. Katalog 9,80 Euro. Bis 31 Juli.

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SZ vom 8.6.2011/sueddeutsche.de
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