Süddeutsche Zeitung

Triennale Mailand:Alle auf den Mars

Die 23. Internationale Ausstellung der Triennale Mailand widmet sich dem Weltraum. Ist das Eskapismus oder der Versuch, nicht den Elon Musks dieser Welt das Feld zu überlassen?

Von Laura Weißmüller

Der Wunsch nach einem anderen Planeten ist nicht zu übersehen. Gleich auf den ersten Metern der Ausstellung ist ein pechschwarzer Himmelskörper gelandet, so groß, dass er selbst die hohe Halle der Triennale gut füllt. Wer näher herantritt erkennt nicht nur, dass dieser Planet aus lauter schwarzen Lautsprechern besteht, sondern er hört auch seinen Sound. Eine Art Klangteppich umhüllt die Riesenkugel, spontan würde man ihn irgendwo zwischen Massagesalon und computergenerierter Musik zur Fotostrecke am Handy verorten.

Die Internationale Ausstellung der Mailänder Triennale will weit hinaus. Die 23. Ausgabe hat sich dem Weltraum verschrieben. Weswegen nicht nur allerhand Satellitenbilder, Gesteinsbrocken und Weltraumstationen durch die Säle von "Unknown Unknowns" schwirren, sondern auch eine waschechte Astrophysikerin, Ersilia Vaudo von der Europäischen Weltraumorganisation ESA, die Schau kuratiert hat. "Unknown Unknowns schlägt eine neue Betrachtungsweise vor", erklärt sie ihr Konzept. "Nicht durch Polarisierungen wie hell/dunkel, voll/leer, Wissenschaft/Kunst, sondern durch die Möglichkeit der Erforschung: vom weitesten Universum bis zur dunklen Materie, vom Grund der Ozeane bis zum Ursprung unseres Bewusstseins."

Da kann man sich fragen, ob eine derart wichtige Designschau sich hier nicht einen bildgewaltigen Eskapismus gönnt. Die Welt brennt, sprichwörtlich. Der Dürresommer und die Flut in Pakistan haben noch einmal mehr gezeigt, welche verheerenden Auswirkungen die Klimakatastrophe hat. Könnte es da für die Gestaltung nicht wichtigere Fragen geben als die, welche die perfekte Form für eine Mars-Behausung ist (Architekt Bjarke Ingels schlägt die eines geriffelten Donuts vor)? Auch die Vorstellung, dass niemand anders als die Schwerkraft, "die erste und größte Designerin" überhaupt sei, wirkt etwas abgehoben, um nicht zu sagen esoterisch. Einerseits.

Andererseits. Mit was dürfte man sich noch beschäftigen, wenn es immer nur darum gehen muss, die Welt zu retten? Und wenn wir schon bei der Weltrettung sind: Hat nicht die Neugierde der Menschheit, den Himmel und das Dahinter zu entdecken, auch oft Entwicklungen auf der Erde vorangetrieben? So gesehen könnte also das Thema der diesjährigen Triennale, in der Projekte von 400 Künstlern, Designern, Wissenschaftlern und Architekten aus 40 Ländern zu sehen sind, den größtmöglichsten Fokus liefern, um damit den eigenen Planeten wieder unter die Lupe zu nehmen.

Interessant ist dabei, wie historische Werke - ob aus der Kunst oder der Wissenschaft - aus heutiger Perspektive einen beneidenswerten Optimismus ausstrahlen. Das zeigt etwa das kleine Gemälde "Die Flucht nach Ägypten" von Adam Elsheimer aus dem Jahr 1609, das im sternenfunkelnden Nachthimmel die erste Darstellung der Milchstraße aufleuchten lässt, wie man sie mit bloßem Augen schon damals sehen konnte, was der deutsche Maler aber zum ersten Mal überhaupt festgehalten hat. Fast meint man seinen Stolz darüber im exakten Pinselstrich zu erkennen. Bis 1925 war's das mit dem Universum, dann kam Edwin Hubble und mittlerweile sind wir bei 200 Milliarden Galaxien. Seit diesem Jahr liefert das James-Webb-Weltraumteleskops dazu die Bilder vom äußersten Rand des Universums. Oder die Aquarelle der Himmelvariationen von André des Gachons. Heute traut man sich ja kaum noch, sorgenfroh in einen strahlendblauen Himmel zu blicken - Stichwort: Hitzetage - oder Gewitterwolken zu bestaunen - Stichwort: Starkregen. Bei des Gachons werden die Wetteraufzeichnungen zu zauberhaften Kunstwerken, die an Goethes Wolkendiarien erinnern. Oder auch die geradezu herzerwärmenden, weil comicfröhlichen Bleistiftzeichnungen von Konstantin E. Tsiolkovsky. Der russische Erfinder, der als ein Vater der Raumfahrt gilt, imaginierte sich auf den kleinen Skizzen von 1933, wie es sich in Zukunft ins Weltall reisen lässt. Es ist eine Aufforderung mit Stift und Papier, sich darauf zu freuen.

Deutlich weniger optimistisch geht es da in Marie Velardis "Future Perfect. 21st Century" zu. Die Schweizer Künstlerin lieferte für die Triennale ein Update ihrer fünf Meter langen Zeitleiste, in der sich von 2001 bis 2099 eine Katastrophe an die andere reiht, von der "Explosion des Mondes" im Jahr 2037 bis zum "Radical Blackout", den sie für 2052 prognostiziert. Ähnlich dystopisch wirkt das fiktive Labor von Susanna Hertrich und Shintaro Miyazaki. Was man da hinter der Glasscheibe sieht, könnte auch die selbstgebastelte Werkstatt eines Pseudowissenschaftlers sein: Der Blaumann mit Erleuchtungssymbol-Button hängt im Schaukasten neben der Infografik zu elektromagnetischen Feldern, dazu allerhand Sensoren, Schaltkreise und Antennen.

Und vermutlich ist es das, was bei diesen Dystopien und allzu fantastischen Zukunftsszenarien im All auf der Triennale zunächst irritiert: Man hat sie, gerade in den vergangenen zwei Jahren, allzu häufig im Kontext von Verschwörungsmythen gesehen. Die Zahl der Anhänger auch krudester Vorstellungen ist seit der Pandemie enorm gestiegen. Ihre Vertreter haben sich zum Teil - jenseits der Aluhut-Fraktion - enorm professionalisiert.

Aber bedeutet das nun, dass man den Verschwörungsgläubigen das Feld überlassen sollte? Und auf der anderen Seite allein den Elon Musks dieser Welt den optimistischen Glauben an ein Leben im All zugesteht? Hoffentlich nicht. Dafür ist das Feld schlicht zu schön, selbst wenn man es nicht versteht und nur seine Formeln bewundern kann.

Apropos Schönheit: Am Ende zeigt die ESA in einer Installation den Blick auf die Erde aus der Ferne. "Diese Perspektive", so Kuratorin Ersilia Vaudo, "verdeutlicht die Zerbrechlichkeit unseres Planeten und die Auswirkungen von Faktoren wie Urbanisierung, Luftverschmutzung, schmelzende Gletscher, Temperaturanstieg und vieles mehr." Selten wirkte der eigene Planet so anziehend.

Unknown Unknowns, Triennale Mailand. Bis 11. Dezember

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