Süddeutsche Zeitung

Triennale in Paris:Diesseits und jenseits der Kunst

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Internationales Ereignis statt unübersichtlicher Ansammlung nationaler Kunst: Okwui Enwezor hat als künstlerischer Leiter die Pariser Triennale im stark vergrößerten Palais de Tokyo auf politisch-soziale Themen eingeschworen. Zu eigentlicher Stärke findet er aber in der Inszenierung des Monumentalen.

Catrin Lorch

Dass das Palais de Tokyo, diese von einer Weltausstellung übriggebliebene Architektur unterhalb des Eiffelturms, nach Umbau und Erweiterung mit der Paris-Triennale eröffnet wird, ist nicht nur folgerichtig, weil so eine Großausstellung mit 113 Künstlern aus mehr als vierzig Ländern Öffentlichkeit schafft, sondern weil sowohl das Ausstellungshaus als auch die Schau gleichermaßen angeraut wirken; weil hier das Neue unfertiger und sperriger aussieht als das Bisherige.

Das in seiner Größe fast verdreifachte Palais de Tokyo, das mit seinen 22.000 Quadratmetern Fläche jetzt als eines der größten Ausstellungszentren Europas gelten darf, wirkt definitiv nicht wie renoviert: Das Büro Lacaton und Vassal spielt mit der Anmutung einer gesicherten Ruine, deren Kellergeschoss nun begehbar ist, auch wenn überall noch Kabel aus den Wänden hängen und die aus Kalksandstein hochgezogenen Einbauten weder gestrichen noch verputzt sind. Das passt allerdings trefflich zu dieser dritten Triennale von Paris, die sich von einer unübersichtlichen Agglomeration französischer Kunst zu einem internationalen Ereignis gemausert hat.

Dafür war der Umzug aus dem repräsentativen Grand Palais sicher eine Voraussetzung, wie auch die Bereitschaft, sich von dem Gedanken einer nationalen Leistungsschau zu verabschieden. Das Format der Biennalen belegt ja nicht, wie viele herausragende Künstler ein Land zählt, sondern mit welchen Themen sich auseinanderzusetzen man bereit ist und was man seinem Publikum zumuten kann. Eine ganze Generation von Kuratoren hat in den neunziger Jahren an diesem Format gefeilt, im Boom der Biennalen die Institutionskritik zur Norm erklärt und unbefangen mit Video und Konzeptkunst gearbeitet, lieber Installation statt Skulptur ausgestellt, Großfotos statt Gemälde.

Der in Nigeria geborene Okwui Enwezor, der jetzt als künstlerischer Leiter die Triennale verantwortet, ist ein Star dieser Szene: Die von ihm geleitete Documenta 11 zählte überhaupt nur einen Maler. Zudem ist Enwezor, der seit vergangenem Jahr das Münchner Haus der Kunst leitet, ein internationaler Ausstellungsmacher, weil er nicht nur Biennalen in Johannesburg oder Guangzhou bestückt, sondern auch ein Netzwerk von Künstlern etabliert hat, die in Afrika, Südamerika, Asien, also an der Peripherie der westlichen Kunst, arbeiten, um diese Kunst dann über aktuelle außerkünstlerische Zusammenhänge zu befragen: etwa über globale Politik oder Postkolonialismus. Machtverhältnisse, welche die Bilder und die Geschichtsschreibung prägen, sind sein Thema; und es ist nicht unüblich, dass nicht nur Essays, sondern auch Texte in Kurzführern seiner Ausstellungen mit Zitaten von Theoretikern wie Nicolas Bourriaud beginnen.

Intensive Nachbarschaft sorgt für körperliches Unbehagen

Man kann Enwezors Triennale nun allerdings auch als Bruch verstehen: Zwei Arbeiten, die an den entgegengesetzten Enden der Architektur, sozusagen in den letzten Stollen dieser vielen Gänge und Hallen, angesiedelt sind, wirken wie illusionslose Kommentare zum aufklärerischen Duktus seiner Generation von Ausstellungsmachern.

Das eine ist das Video "Bilbao Song" von Peter Friedl, dessen Kamera an Menschen vorbeigleitet, die sich gerade zu lebenden Bildern aufstellen. Clowns, eine flämische Familie, eine Mutter mit Kind - sie alle sind gleichzeitig auf derselben Bühne zugange, im Hintergrund dudeln Musiker Musik von Kurt Weill. Das Unbehagen, mit aller Autorität Kunst aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen zu einer Schau zusammenzusperren, wird hier fast körperlich spürbar - zumal der Titel der Ausstellung "Intense Proximity" sich auf die intensive Nachbarschaft nicht nur von Ländern oder Individuen, sondern auch von Werken beziehen lässt.

Die zweite Arbeit ist ebenfalls ein Video: Bouchra Khalili nahm für "Speeches" Migranten in Paris auf, die, jeweils in ihrer Landessprache, Schlüsseltexte aus dem politischen Diskurs vorlesen. Eine Afghanin sitzt dozierend an einem Tisch, ein Afrikaner liest in einer leeren Markthalle eine Rede von Malcolm X in Mali vor. Die Aufnahmen wirken wie ideale Inszenierungen.

Enwezor stellt im Vorwort des Katalogs die Frage, ob das "zeitgenössische und vielfältige System der Legitimation, Mediation und Diffusion überhaupt fähig ist, diese Debatten zu beeinflussen und eine kritische Position über die Grenzen eines Kunstsystems und seine Werte hinaus zu entwickeln".

Derweil tauchen im Zentrum der Schau Arbeiten auf, die man durchaus als Objekte im ganz klassischen Sinn verstehen kann. Hinter den Gittern, die Daniel Buren den Besuchern am Eingang in den Weg stellt, und dem Monitor, auf dem Adrian Pipers Tanzhistorie "Funky Lessons" zu sehen ist, hängen verknotete Seile "Boulli Afrikaa" (1968) von Michael Buthe sowie Aquarelle und ein Wandteppich von Carol Rama.

Es gibt im zeitgenössischen Gegenkontext eben nur wenige so überzeugende Skulpturen wie den Stein, den David Hammons als "Stone with Hair" (1998) mit schwarzen, krausen Haarflusen beklebt hat; jetzt greift man auf Figuren wie Ivan Kozaric zurück, einen 1921 geborenen Kroaten, dessen goldglänzende, auf einem breiten, weißen Sockel verteilte Plastiken offensichtlich vor allem den Vorteil haben, dass sie eben keine gefeierten Brancusis sind, auch wenn sie sich recht offensichtlich an die große Kunstgeschichte anlehnen. Und sogar hochauratische Werke, wie die schon bei der Biennale in Istanbul gezeigten Textilcollagen der im Jahr 1926 geborenen Geta Bratescu oder die surrealistischen Zeichnungen des in Kuba geborenen Wifredo Lam, finden mit einem Mal ihren Platz im kritischen Zusammenhang, solange Künstler sie produziert haben, die bislang von der Kunstgeschichte übersehen wurden.

Voyeurismus oder feministische Feldforschung?

Die fast körperlosen konzeptuellen Arbeiten von Adrian Piper mögen - als Aufsteller beispielsweise - in vielen Räumen auftauchen; schlanke Medienkunst und Fotografien, aber auch das Filmprogramm mit Werken von Jean Rouch, Rainer Werner Fassbinder, Timothy Asch, Werner Herzog und dem Marokkaner Ahmed Bouanani sind in Paris nur das Gerüst, das es aufzupolstern gilt. Die ethnologisch-dokumentarischen Fragestellungen beantworten die Kuratoren beispielsweise mit Meschac Gabas "Marriage Room. Museum of Contemporary African Art" (2000 bis 2009), einer Installation, die vor Hochzeitsfotos einer niederländisch-afrikanischen Vermählung europäische Geschenke, Kleidungsstücke, Küchengeräte als rituelle Objekte ausbreitet.

Die Fed-Ex-Kartons, in denen Eugenio Dittborn seine großen Collagen verschickt, hängen an der Wand wie Tierhäute. Dass Jean-Luc Moulènes Fotografien aus dem Rotlichtviertel von Amsterdam eigentlich ganz klassische Akte sind, fällt kaum noch auf - auch die durchaus voyeuristischen Serien weit gespreizter Schenkel gehen in der Nachbarschaft der Expeditions-Zeichnungen von Claude Lévi-Strauss fast als Ergebnisse feministisch motivierter Feldforschung durch.

Die Triennale ist dagegen stark, wo sie auf zeitgenössischen Werten beharrt und monumental wird, ohne die differenzierenden Ansätze aufzugeben: Dass El Anatsui auch in Paris jetzt eine Museumsfassade mit einem seiner funkelnden, aus Tausenden Billigelementen in Afrika zusammengestückelten Vorhängen verhüllen durfte, ist damit nicht gemeint. Sondern eine Installation wie "For Julius Eastman (Crazy Nigger)", eine Arbeit des in Französisch-Guinea geborenen Mathieu Kleyebe Abonnenc. Der lässt während der Laufzeit der Schau das Werk des im Jahr 1990 verstorbenen, afrikanisch-amerikanischen Komponisten Julius Eastman einspielen. Nach der Ausstellung wird von dem Bild der vier schwarz glänzenden Flügel, die zwischen den Pfützen des Untergeschosses aufgestellt sind, nichts bleiben als eine Einspielung dieses zwischen Minimal und Pop einen irisierenden Sonderwegs, der hier, im offensichtlich klimatisch noch nicht ganz justierten Kellergeschoss, noch einmal begangen wird.

"La Triennale. Intense Proximity" im Palais de Tokyo, Paris, und an weiteren Orten bis 26. August. Der Katalog "An Anthology of the Near and the Far" kostet 45 Euro, ein Kurzführer 10 Euro. www.palaisdetokyo.com

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Quelle:
SZ vom 25.04.2012/mahu
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