Süddeutsche Zeitung

Treueschwüre in Rom:Liebe hinter Schloss und Riegel

Lesezeit: 4 min

Rom ist um eine Attraktion reicher. Nach dem Trevi-Brunnen und den Illuminati-Spuren ist es nun eine Brücke, die durch einen Film Berühmtheit erlangt: Dort hängen die Laternen voller Schlösser, mit denen Pärchen ihre Liebe zeigen. Das sorgt für Ärger.

Stefan Ulrich

Es gibt romantischere Orte in der Stadt als den Ponte Milvio. Träge, muffig und schmutzig grün wälzt sich der Tiber unter der steinalten Brücke im Norden Roms hindurch. In den Bäumen am Ufer zeugen zerfetzte Plastiktüten vom letzten Hochwasser. Dahinter türmen sich die Riegel fünf-, sechsstöckiger Wohnkasernen auf. Claudia und Erico aber haben keinen Blick für diese tristezza, denn Liebe macht blind.

Gerade haben die beiden Gymnasiasten ein messingfarbenes Vorhängeschloss an eine der gusseisernen Laternen auf der Brücke gehängt. Nun werfen sie die Schlüssel in die Flut. Zwei Spritzer, ein Kuss - nichts und niemand soll ihre Verbindung mehr trennen. "Es war seine Idee", sagt Claudia. Erico nickt. Seine Augen leuchten.

Blaue Stunde in Rom, die Zeit für den Corso, den Abendspaziergang. Hunderte junge Römer zieht es da hinaus auf den Ponte Milvio, um es Claudia und Erico gleichzutun. Vorhangschloss auf Vorhangschloss heften sie an die Fahrradketten, die wie Girlanden um die Laternen geschlungen sind. Aus der Ferne sieht das aus, als hätten sich Hornissenschwärme auf den Lampen niedergelassen. Aus der Nähe wird eine bunte Welt der Liebesschwüre sichtbar.

Die ewige Stadt und die ewige Liebe

Neben großen und kleinen Messingschlössern hängen auch weiße, rote oder blaue Riegel, manche mit Schleifen verziert oder mit dem Foto eines Paares. Alle aber tragen sie Aufschriften wie diese: "Nicolo und Anna Maria, 14/01/07", "Neun Monate zusammen - wie der Flug einer Möwe" oder schlicht und ergreifend: "F + L = ewige Liebe".

Die Liebesschlösser, sie sind zum Symbol geworden in Italien. Längst hängen sie auch in Florenz, Neapel und Bari. Zum Mythos aber wurden sie am Ponte Milvio. Schließlich passt hier alles zusammen: eine Brücke als Symbol der Verbindung, die Ewige Stadt, die ewige Liebe. Und dann sind da noch dieses Buch und dieser Film mit dem Titel: "Ho voglia di te" - "Ich steh' auf Dich."

Der Autor, Federico Moccia, behauptet, er habe den Liebeskult an der Milvischen Brücke erfunden. Moccia wird zwar von den Feuilletons als Verfasser stereotyper Jugendschnulzen zerrissen, doch er ist einer der wenigen Schriftsteller, der die jungen Italiener massenweise zum Lesen bringt. 1992 schrieb er seinen ersten Roman, "Drei Meter über dem Himmel", über das Leben und Lieben der ragazzi, der jungen Leute in Rom. Das Buch, zunächst im Selbstverlag veröffentlicht, von Schülern kopiert und weitergereicht, wurde Anfang des neuen Jahrtausends zum Bestseller.

2006 folgte die Fortsetzung: "Ho voglia di te". Darin geht es um die - nicht immer exklusive - Liebe des melodramatischen Motorradhelden Step zu der herbschönen, boxenden Gin. Beide schwören sich auf dem Ponte Milvio ewige Treue, samt Schloss an der Laterne und Schlüssel im Fluss. Seit Mitte März ist die Szene auch im Film zu bestaunen.

Dieses Werk, in der rastlosen Ästhetik von Videoclips produziert, spielte bereits am ersten Tag anderthalb Millionen Euro in 650 Kinosälen des Landes ein - das ist Rekord für einen italienischen Film. Auch Erico und Claudia haben ihn bereits gesehen - und deshalb ihr Schloss an die Brücke geheftet.

"Ich fürchtete, jemand könnte meine Geschichte überprüfen"

Der 43 Jahre alte Kultautor Moccia erzählt, er habe beim Schreiben nach einem Ort der Liebe gesucht und schließlich den Ponte Milvio erwählt. Am Tag vor Erscheinen von "Ho voglia di te" sei er an die Brücke gegangen und habe ein Schloss angebracht - "weil ich fürchtete, irgendjemand könnte meine Erzählung überprüfen". Sein Beispiel machte Schule.

Heute kommen Touristen aus aller Welt auf die Brücke, um einen Bund fürs Leben zu schließen oder ein paar Fotos zu schießen. Sogar ein australisches Paar um die 70 ist gesichtet worden, wie es ein Schloss anbrachte. Rom ist um eine Attraktion reicher. Und wieder einmal hat sich Fiktion in Wirklichkeit verwandelt; wie im Falle Anita Ekbergs, nach deren Vorbild immer wieder Menschen im Trevi-Brunnen planschen; oder wie im Fall des Thrillers "Illuminati" von Dan Brown, nach dessen blutigen Spuren viele Reisende Rom durchsuchen.

Italien aber wäre nicht Italien, wenn die Liebesriegel keinen ideologischen Streit hervorriefen. Zufällig ist der Stadtbezirk, in dem die Brücke liegt, der einzige Roms, der von der Rechten regiert wird. Folglich sah sich die Linke veranlasst, Alarm zu schlagen. Die Schlösser verschandelten die Brücke, befanden die Oppositionsräte des XX. Bezirks. "Diese Mode der jungen römischen Paare führt zum Kollaps der Laternen auf dem Ponte Milvio", mahnte etwa ein Politiker der linksliberalen Margeritenpartei. Tatsächlich neigt sich schon eine Laterne unter der Last der Liebe. Der Politiker forderte daher, die Stadt solle die Schlösser abmontieren und das Metall für einen guten Zweck verkaufen.

Diese Vorlage konnte sich die Rechte nicht entgehen lassen: "Die Linke ist gegen die Liebe", polterte ein Vertreter der Alleanza Nazionale. Dabei seien die Vorhängeschlösser "eine starke Botschaft gegen die Banalisierung der Gefühle". Ein Kollege assistierte: "Die Schlösser sind zum Denkmal der ewigen Liebe geworden." So sieht das auch der Bestsellerautor Moccia: "Wie Verona den Balkon von Romeo und Julia besitzt, hat Rom jetzt die Brücke der Verliebten." Sogar einen Literaturpreis hat der neue Kult schon kreiert - "Das goldene Schloss"; und im Internet widmen sich zahlreiche Blogs dem verschlüsselten Liebesphänomen.

Die Schlösser bleiben

Da musste auch Roms popularitätsbewusster Bürgermeister Walter Veltroni zugestehen: Die Schlösser bleiben, solange sie die Stabilität der Brücke nicht gefährden. Vor kurzem sind aber doch Hunderte eiserne Riegel über Nacht verschwunden. Was unter den erzürnten Jugendlichen wie ein Anschlag der Stadt-Bürokraten wirkte, erwies sich als Tat zweier Rumänen. Sie hatten die Schlösser zu einer Alteisenhandlung gebracht und fünf Cent pro Kilo dafür kassiert. Einer der Schrotthändler gab sie der Polizei bereitwillig heraus. Schließlich hatte auch er seine Liebe am Ponte Milvio verankert.

Rom plant nun einen Wettbewerb unter Künstlern, um in der Nähe der Brücke einen stabileren Platz für die Treueeisen zu finden. Fraglich ist nur, ob sich die Jugend darauf einlässt. Abend für Abend umringen die Jungen und Mädchen die Laternen, suchen nach "ihrem" Schloss, lesen kichernd die Botschaften oder haken sich, wie Claudia und Erico, ein in die Kette der ewigen Liebe. Ob sie daran glauben? Claudia blickt von ihrem Schloss zu Erico und wieder auf das Schloss. Dann sagt sie: "Ich weiß nicht. Wir wollen es mal versuchen."

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Quelle:
SZ vom 21.3.2007
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