Vandalismus in Berlin:Die Vergangenheit zerbricht

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Das Ehrendenkmal im Treptower Park ist kein beliebiger Ort, sondern das größte sowjetische Denkmal zum Zweiten Weltkrieg außerhalb der Grenzen der einstigen Sowjetunion. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Russen und Ukrainer haben gemeinsam gegen Hitler gekämpft. Tausende von ihnen liegen in Berlin-Treptow begraben. Jetzt ist das Denkmal beschmiert worden.

Von Gustav Seibt

"Why?", warum?, wurde in der Nacht zum Donnerstag mit roten Buchstaben auf den Sockel der bronzenen Soldatenfigur gepinselt, die das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park in Berlin beherrscht. Auch andere Stellen der Anlage wurden mit Farbe verunstaltet, eine Treppe etwa, an der nun Blut herabzufließen schien. Etliche Reliefs auf den weißen Steinsarkophagen, die die Anlage säumen, haben gelitten. Es geht bei alldem natürlich um den aktuellen Krieg: "Putin = Stalin" war zu lesen, Russen wurden als Mörder bezeichnet. Die meisten Schmierereien waren am Freitagmorgen schon entfernt worden.

Das Ehrenmal in Treptow ist kein beliebiger Ort. Es ist das größte sowjetische Denkmal zum Zweiten Weltkrieg außerhalb der Grenzen der einstigen Sowjetunion. Nicht umsonst wurde es bis 1949 in Berlin unweit der Sektorengrenze, auf der später die Mauer stand, errichtet: am vorgeschobensten Posten von Stalins Weltreich. Es ist Siegesdenkmal und Trauerort in einem. Auf seinem Areal liegen etwa 5000 sowjetische Soldaten (die Angaben schwanken), die im Endkampf um Berlin 1945 gefallen sind. Dabei sind alle Völker der Sowjetunion vertreten, nicht nur Russen, sondern auch Belarussen, Ukrainer oder Kasachen.

Die Sichtachse spannt sich zwischen einer weiblichen Sitzfigur - die trauernde "Mutter Heimat" - und dem Bronzesoldaten aus, der ein gerettetes Kind auf dem Arm trägt und ein Hakenkreuz zertritt. In der Mitte symbolisieren rötliche Granitschranken gesenkte rote Fahnen, vor denen bei beiden Seiten Soldaten knien. Die Anlage ist mit Pappeln und Trauerweiden aus Russland verziert. Halb Monument, halb Gartenkunstwerk realisiert sie eine Ästhetik des Erhabenen.

Unbekannte haben auf das sowjetische Ehrenmal im Bezirk Treptow mit roter Farbe Parolen gegen den Krieg in der Ukraine und gegen Putin gesprüht. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Sie erzählt eine Geschichte: die vom "Großen Vaterländischen Krieg" gegen Hitler, bis heute der eine unbezweifelbar positive Bezugspunkt historischer Erinnerung vor allem Russlands im 20. Jahrhundert. Der Zweite Weltkrieg dauert hier von 1941 bis 1945 - die Zeit davor, in der Stalin mit Hitler paktiert hatte, muss fehlen. Seit das Mahnmal nicht mehr politischen Zwecken dient wie in der DDR, wurde es alljährlich am 8. und 9. Mai zum Ziel vieler trauernder Familien aus den postsowjetischen Ländern. Sie kommen mit Bildern ihrer gefallenen Vorfahren, heften diese an die Umzäunung und picknicken im Gedenken an die Ahnen. Seit 2015 reisen zunehmend auch rechtsradikale russische Rockergruppen an und schwenken Fahnen mit Doppeladler. Patriotische Musikgruppen legen eine Klangwolke über das von Menschenmassen gefüllte Areal.

Mit der russischen Eroberung der Krim 2014 hat sich das Gedenken geteilt: Die Ukrainer trauern separiert mit eigenen Fahnen. Hier war frühzeitig die Zerstörung der übergreifenden sowjetischen Erinnerung durch Putins Aggressionspolitik zu beobachten. Durch die Rechtfertigung des jetzigen Krieges als "Entnazifizierung" - und damit als Fortsetzung des Großen Vaterländischen Kriegs -, diesmal gegen die Ukraine, hat die russische Führung die Ukrainer in aller Form aus dieser gemeinsamen Erinnerungskultur ausgestoßen. Die pietätlosen Schmierereien sind nicht nur ein Protest gegen Putins Krieg, sie zeigen auch eine geschichtspolitische Antwort. Inzwischen regiert Hass zwischen den Völkern, deren einstige Soldaten in Treptow zusammen ruhen.

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