Treffen mit Regisseur Wes Craven:Was schreckt die Horrorgeneration 2.0?

Zehn Jahre seien einen gute Auszeit für eine Filmserie, sagt Craven, danach könne man wieder von vorn starten. Der Auslöser für den Neuanfang aber war ein zehnjähriger Craven-Fan. Der trat ihm auf einer Comic-Convention ans Bein und erklärte, er müsse jetzt mal wirklich einen "krasseren" Film drehen. Da war Wes Craven dann doch herausgefordert. Krass war mal sein zweiter Name in Hollywood.

Das fing an mit "Last House On The Left" im Jahr 1972, ein billig produzierter Independent-Shocker über Selbstjustiz in den Suburbs, der noch immer Maßstäbe setzt, was die Gewaltbereitschaft ganz normaler Menschen auf der Leinwand betrifft. Das ging weiter Mitte der achtziger Jahre, als Wes Craven das brandvernarbte Säubelklauen-Monster Freddy Kruger erfand, dass sich in "Nightmare on Elm Street" in die Albträume einer ganzen Teenager-Generation einschlich, dort viel Blut fließen ließ und den Surrealismus endlich im amerikanischen Horrorfilm etablierte. Und noch eine Dekade später, als der junge Schreiber Kevin Williamson den Maskenschlitzer von "Scream" erfand, war Craven einmal mehr die einzig vernünftige Wahl für die Regie - und damit stieg er in den Kinocharts dann höher als je zuvor.

Über Angst kann man mit dem Mann also reden - aber was schreckt nun die Horrorgeneration 2.0? "Blut! Es ist immer Blut", sagt Craven. "Da schreien die Leute. Es ist eben das, was in uns ist. Und wenn das aus uns heraustritt, wissen wir, es ist gleich vorbei mit uns. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht verändert." Er macht sich so seine Gedanken - über den Boom der Vampirfilme zum Beispiel. Natürlich gehe es da um Sex, sagt er - "aber es ist kein aktiver Sex, man wird ja gebissen." Das passt zur Zeit, genau wie die Rückkehr der Zombies, denen er noch ein größeres Comeback vorhersagt. "Zombies waren zunächst bei Kiffern sehr beliebt. Da wird mit der Urangst gespielt, eine große Menge von Menschen verliere ihrer Menschlichkeit und wird krank, tödlich krank."

Wovor sich Amerika im Jahr 2011 aber am meisten fürchtet? "Vor der Invasion des Fremden an einem Ort, den wir als sicher empfinden. Wenn sie also nach Hause kommen und jemand steht hinter den Gardinen, den sie nicht kennen." Da muss man an Terroristen denken und ihre Mimikry, aber Craven hat das auch ganz konkret wieder in "Scream 4" eingebaut. Dort meldet sich der Killer gern mit verzerrter Stimme am Telefon und kündigt sein Kommen an - in Wahrheit sitzt er aber schon längst hinter dem Opfer im Kleiderschrank.

"Ekel" steht ganz oben auf der Favoritenliste

So ist man schnell bei Freud und seiner Ekel-Theorie, spricht über Innereien, die nach außen treten, und wann diese auf der Leinwand am besten aussehen. Doch der Lachs schmeckt. Craven gibt dem Ganzen in seiner schwarzen Kutte etwas Wissenschaftliches, diese Dinge beschäftigen ihn, der 1939 in Cleveland/Ohio geboren wurde, seit dem Alter von fünf Jahren. "Sie müssen wissen, ich bin ja noch im zweiten Weltkrieg aufgewachsen", sagt er. "Ich war ein Kind, als wir die Bombe über Japan warfen. Zu der Zeit sah man ja noch Nachrichten im Kino, und das war wie ein Horrorfilm. Mir war plötzlich klar, wozu mein Land in der Lage war."

In Cleveland wuchs kein Draufgänger auf, kein Eroberer. Craven studierte, doziert am College Geisteswissenschaften, musste aber gleichzeitig Taxi fahren und herumjobben, um die Familie durchzubringen. Kurz bevor er sich in ein Doktoranden-Dasein stürzte, fiel ihm auf, "wie unglücklich und verhungert alle aussahen, die das anstrebten." Also arbeitete er lieber als Sound Editor und verlegte sich aufs Drehbuchschreiben.

Dann ließ er sich von "den Europäern", wie er das nennt, beeinflussen - der wichtigste hieß Roman Polanski, "Ekel" steht ganz oben auf Cravens Favoritenliste. Er bestellt keinen Espresso nach dem Essen. Badoit-Typen tun sowas nicht. Er ist eher der Typ, der "sich jede Nacht bei den Dreharbeiten in den Schlaf weint", wie er ganz im Ernst erzählt. Er braucht das Gefühl, vor Zweifeln fast umzukommen - und er braucht jemanden wie den Produzenten Bob Weinstein, der schon mal hemmungslos ins Telefon brüllt, wenn ihm die Muster nicht gefallen. Am nächsten Tag habe er dann eine sensationelle Szene abgeliefert, sagt Craven - "aus Angst".

Könnte sogar seine Arbeit für die Natur, die Vögel, die großen ökologischen Fragen etwas mit Angst zu tun haben? Plötzlich driftet er in eine Betrachtung ab, ob Plankton unsere Nahrungskette zerstören wird. Solche Probleme treiben ihn um. Sollten wir Menschen uns auch vor der Natur fürchten?

"Das sollten wir", ruft Craven, "aber das vergessen wir gern. Tiere zum Beispiel haben keine Moral. Aber Menschen glauben, sie hätten eine. Die ganzen sprechenden Pinguine und Löwen in den neuen Zeichntrickfilmen, die haben eine Moral. Sie gehen zum Therapeuten und haben Eheprobleme. Langsam können die Menschen diese Lücke nicht mehr schließen. Sie denken, Tiger wären Kuscheltiere. Oder Löwen Intellektuelle. Sind sie aber nicht. Sie töten, denn sie haben ja kein Gewissen."

Das wäre doch was, das müsste man vielleicht auch im Kino mal wieder klarmachen. "Das Kino ist ein Ort, an dem völlig fremde Menschen zusammensitzen und Dinge sehen, vor denen alle dieselbe Angst haben", sagt er. "Als Erlebnis ist das nicht zu ersetzen."

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