Süddeutsche Zeitung

Trauer um Maya Angelou:Vom Singen im Käfig

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Sie war ein Monument, in dem die ganze Nation sich spiegeln konnte: Die amerikanische Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin Maya Angelou ist gestorben - und sogar Amerikas Rechte findet trauernde Worte.

Ein Nachruf von Peter Richter, New York

Jedes Land hat solche Personen: Monumente, in deren Leben und Leistung sich eine ganze Nation spiegeln kann - und sich dann gefällt oder beschämt die Augen zu senken hat. Und manchmal auch beides. Nun kann man Maya Angelou schwerlich mit, sagen wir: Marcel Reich-Ranicki oder Christa Wolf vergleichen, und zwar schon deshalb nicht, weil dann auch jemand wie Inge Meysel mit dazugenommen werden müsste, um das Ausmaß der nationalen Großmutterrolle dieser Frau nur einmal vage anzudeuten.

Als die Amerikaner am Mittwoch mit der Nachricht von Angelous Ableben konfrontiert wurden, da war das jedenfalls für die allermeisten von ihnen einer dieser Tage, von denen man weiß, dass sie unausweichlich sind - und sich trotzdem nicht vorstellen mag, dass sie mal eintreten.

Dabei sind 86 Jahre nun wirklich ein stattliches Alter. Einerseits. Andererseits scheinen einem 86 Jahre fast ein bisschen wenig, um nur die Hälfte von dem zu schaffen, was Maya Angelou in ihrem Leben geleistet hat. Auf jeden Fall dürfte sie die unangefochtene Rekordhalterin in der Anzahl von Autobiografien sein. Es sind sieben. Die erste davon erschien 1969 und ist bis heute ihr vielleicht berühmtestes Buch: "I Know Why the Caged Bird Sings" ("Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt".)

Raus da, in jeder Hinsicht

Das Buch erzählt also die Geschichte jenes Mädchens, dass als Marguerite Johnson am 4. April 1928 in St. Louis geboren wurde, um dann als Schwarze in den Südstaaten aufzuwachsen, als Scheidungskind zur Großmutter in die Baumwoll-Ödnis von Arkansas verklappt, vergewaltigt vom Freund der Mutter, der daraufhin totgeschlagen wird, gegängelt und gedemütigt von den diskriminierenden Gesetzen der Rassentrennung, wo ihr Leben eine klare Richtung bekommt: da raus, in jeder Hinsicht.

Maya, wie sie von ihrer Familie genannt wird, ist dann Straßenbahnfahrerin in San Francisco und mit 16 schon Mutter eines Jungen, den sie als Tänzerin, als Köchin, als Automechaniker-Gehilfin und, nach einem Versuch als Prostituierte auch als "Madam", also als Puffmutter, irgendwie durchzubringen gewillt ist. Sie ist kurz mit einem griechischen Seemann namens Tosh Angelos verheiratet, der ihr den Künstlernamen hinterlässt, unter dem sie eine beträchtliche Karriere als Calypso-Tänzerin an der Westküste macht, bevor sie nach New York umzieht, wo sie an Theaterstücken schreibt, im Apollo singt und das örtliche Büro von Martin Luther Kings "Southern Christian Leadership Conference" organisiert. In den frühen Sechzigern ist sie mit dem südafrikanischen Anti-Apartheid-Aktivisten Vusumzi L. Make zusammen und geht mit ihm nach Kairo, dann wird er ihr zu paschahaft, und sie geht ohne ihn nach Accra, wo sie an der Universität von Ghana arbeitet. Danach tourt sie mit einer Tanzgruppe durch Europa, nur um wenig später in New York Malcolm X kurz vor seiner Ermordung beim Aufbau der "Afro-American Unity" beizustehen. Da ist sie Mitte dreißig.

In Deutschland ist das oft ein bisschen schnell in die Rubrik "Frauenschicksale" wegsortiert worden (Das stand bei einer Ausgabe von Fischer sogar mal direkt so auf dem Titel.), dabei handelt das, was Angelou geschrieben hat, in erster Linie von Politik und von den langen Schatten einer Geschichte, die schwarzen Amerikanern das Leben schwerer macht als Weißen, und schwarzen Frauen noch einmal mehr. Ganz sicher wollte Angelou selber am allerwenigsten als "Schicksal" wahrgenommen werden, sondern als tatkräftige Poetin, als Dichterin, und das ist ihr dann ja auch gelungen.

Nach ihrem Bestsellererfolg hat sie ein Theaterstück geschrieben, selbst in einem am Broadway auf der Bühne gestanden (und dafür fast einen Tony Award bekommen), war für einen Pulitzerpreis nominiert, hat zu Bill Clintons Amtseinführung 1993 mit fester Stimme eines ihrer Gedichte vorgetragen, das dem neuen Präsidenten wie die Predigt einer strengen Erzieherin in den Ohren geklungen haben muss: "Come, you may stand upon my / Back and face your distant destiny. / But seek no haven in my shadow, I will give you no hiding place down here."

Jetzt hat der amtierende Präsident Barack Obama in einem offiziellen Trauerstatement des Weißen Hauses sogar verkündet, dass Angelou der Grund war, warum Obamas Mutter seiner Schwester den Namen Maya gab. Maya Angelou hatte ihn bei seiner Kandidatur zunächst nicht unterstützt, sondern Hillary Clinton. Die sei ihr, erzählte sie einmal, als First Lady in Arkansas als angenehm sozial engagiert aufgefallen. Angelous Stimme galt damals schon als dermaßen gewichtig, dass sie von den Strategen der Demokraten bearbeitet wurde, gegen den chancenreicheren Obama aufzugeben.

Moralische Instanz

Die Frau war über die Jahre zu einer moralischen Instanz mit großem Einfluss geworden, der bis in die Präsidentschaftswahlen reichte, eine Anstandsdame der amerikanischen Linken und damit in gewisser Weise das Gegenstück zur bösen, geldgierigen Gutsherrinnendarstellerin Martha Stewart mit ihren blonden Stilfibeln. Das lag nicht zuletzt an dem aristokratischen Südstaatenton, den Maya Angelou bis zuletzt nicht genug kultivieren konnte, es war deshalb immer eine Freude, ihr alleine schon deswegen zuzuhören. Unvergessen aber auch, wie sie sich in Los Angeles im Jahr 1993, bei dem Film "Poetic Justice", für den sie Gedichte schrieb, einmal einen herumkrakeelenden Rüpel zur Brust nahm und ihn darüber belehrte, was seine Vorfahren auf den Sklavenschiffen erdulden mussten, nur damit er zweihundert Jahre später hier stehen und krakeelen konnte, er solle sich also etwas zusammenreißen bitte. Und dann war dieser Mann, dem darüber die Tränen kamen, der Gangsta-Rapper Tupac Shakur, den Angelou natürlich gar nicht kannte.

Sie erzählte in ihren letzten Jahrzehnten gerne solche Geschichtchen, und meistens kam am Ende eine kleine Moral, die man sich hinter die Ohren schreiben sollte, auch wenn manche davon klang, als wäre sie eher für ein Poesiealbum gedacht. Aber die Amerikaner mochten sie am Ende gerade dafür. Jetzt twittern sie ganze Listen mit den besten Angelou-Weisheiten durch das Netz, und sogar Amerikas Rechte findet auf ihren Blogs mitunter ein paar warme Worte, weil Angelou, wie sie dem Time Magazin einmal verriet, gegen ein paar Waffen zur Abwehr von Einbrechern im Haus nichts einzuwenden hatte.

Einmal sah es vor fünf Jahren schon so aus, als sei es Zeit, diesen amerikanischen Kollektivseufzer durch das Land zu schicken; da hatte eine Falschmeldung von Angelous Tod es bis auf CNN gebracht. Diesmal stimmt die Meldung leider: Am Mittwochmorgen ist Maya Angelou in ihrem Haus in North Carolina verstorben.

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Quelle:
SZ vom 30.05.2014
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