25. Geburtstag von "Trainspotting":Heroin chic

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Die schlimmste Toilette Schottlands: Renton (Ewan McGregor) im Heroinwahn in "Trainspotting" (1996). (Foto: Coattail Publications)

Wie entwirft man die schlimmste Toilette Schottlands? Ein Bildband erzählt die Entstehungsgeschichte von "Trainspotting". Mit einem Vorwort von Noel Gallagher.

Von David Steinitz

Weil er in den Neunzigerjahren zu viel Kokain im Kopf hatte, weigerte Noel Gallagher sich einst, einen Song seiner Band Oasis zum Soundtrack von "Trainspotting" beizusteuern. Er dachte, es handele sich um einen Dokumentarfilm über Typen, die Züge beobachten. Boring!

Weshalb es heute natürlich keinen besseren Autor als Noel Gallagher gibt für ein Vorwort zu einem opulenten Making-of-Buch, das zur 25-Jahr-Feier des Films erscheint. Darin entschuldigt sich der Rockstar unter zehnmaliger Verwendung der Vokabel fuck für seine Fehleinschätzung. Er preist "Trainspotting" als Meisterwerk, das wie kein zweites von der Hölle des Junkie-Daseins erzähle, ohne die Glücksmomente des Rauschs zu verschweigen.

Wäre heute natürlich unmöglich, so ein Film, sagt Gallagher. Wegen dem verfickten Internet. Und überhaupt dem ganzen verfickten Zustand der Welt. Da könne man sowas Aufregendes gar nicht mehr drehen, weil gleich irgendwelche Heinis ausrasten. "Aber", so Gallagher, "das ganze 'Trainspotting'-Team hat sich einen Scheiß dafür interessiert, was andere Leute denken. Und das ist genau die Einstellung, aus der große Kunst entsteht."

Geld für ein richtiges Filmstudio gab's nicht, gedreht wurde in einer alten Zigarettenfabrik

Der britische Journalist Jay Glennie hat schon einige bemerkenswerte Bücher über die Entstehung von Filmen geschrieben, unter anderem über "Raging Bull" und "The Deer Hunter". Seine Bücher sind so gut, weil er fast alle beteiligten Stars bekommt, die noch mal die schönsten Geschichten erzählen. Glennie hat unter anderem mit Mick Jagger, Robert De Niro und Meryl Streep zusammengearbeitet, und auch für "Trainspotting: 25th Anniversary" konnte er mit fast allen Beteiligten sprechen.

Der Band erscheint bislang nur in England in einer limitierten Auflage von 1000 Stück (Coattail Publications, 120 Pfund) und ist im Internet bestellbar. Glennie erzählt darin mit unveröffentlichtem Material (Polaroidaufnahmen von den Castings, Auszüge aus verschiedenen Drehbuchfassungen, Budgetkalkulationen, Entwürfe des legendären Art Designs für die Poster) die Entstehungsgeschichte des Filmklassikers. Das Buch ist aber nicht nur ein Making-of, sondern auch eine hübsche kleine Geschichtsstunde über die "Cool Britannia"-Jahre, als Musik und Filme und Bücher von der Insel der Goldstandard der Popkultur waren.

Das "Trainspotting"-Poster war selbst ein kleines Kunstwerk. (Foto: Coattail Publications)

Zu den prägenden Figuren von Cool Britannia gehörte ein Filmemacher-Trio, bestehend aus dem Produzenten Andrew Macdonald, dem Drehbuchautor John Hodge und dem Regisseur Danny Boyle. Sie landeten 1994 mit ihrem Kinodebüt "Kleine Morde unter Freunden" einen Überraschungshit. Die schwarze Komödie war das Gegenteil des verstaubten britischen Kinos der Thatcher-Jahre und zog, die Kinobetreiber konnten es kaum glauben, endlich wieder junge Zuschauer in einen englischen Film. Glücklicherweise las der Produzent Macdonald im Anschluss den Roman "Trainspotting" von Irvine Welsh. Er wusste sofort, dass dieses irre Buch über eine Clique Junkies in Edinburgh ihr nächster gemeinsamer Film sein musste.

"Trainspotting" war eine Low-Budget-Produktion, die Kalkulationen, die im Buch abgedruckt sind, belaufen sich auf weniger als zwei Millionen Pfund. Nur gute sieben Wochen Dreharbeiten konnten sich die Filmemacher leisten, sechs in Schottland, eine in London, wenig für einen Spielfilm. Aber dass der Film in einer Start-up-Atmosphäre mit wenig Geld und Zeit entstehen musste, schildern alle Beteiligten (zumindest im Nachhinein) als genau den richtigen Antrieb.

"Perversling!": Mädchen auf der Straße für eine Filmrolle anzusprechen erwies sich als mäßig gute Idee

Um keine teuren Filmstudiomieten bezahlen zu müssen, richteten die Filmemacher sich in einer stillgelegten Zigarettenfabrik in Glasgow ein, wo die meisten Sets gebaut wurden. Die Wills Tobacco Factory gehörte einem gewissen Lord Hanson, der als gnadenloser Geschäftsmann galt, aber ein Faible für Filmglamour hatte (speziell für Audrey Hepburn, mit der er in den Sechzigerjahren eine kurze Affäre gehabt haben soll). Vielleicht wegen dessen Filmliebe bekam das "Trainspotting"-Team das komplette Zigarettenfabrikgelände für nur 7000 Pfund vermietet. Dort entstand auch die legendäre Szene, in der Hauptdarsteller Ewan McGregor im Traumrausch in "die schlimmste Toilette Schottlands" taucht, die im Film auch genauso aussieht, wie sie heißt. Wobei die widerlichen Fäkalienschmierereien eigentlich ein Produkt der Pâtissierkunst sind: Sie wurden mit Schokolade imitiert, und es soll am Set recht apart geduftet haben.

Die größten Komplimente von seinen Mitstreitern bekommt im Buch der Drehbuchautor John Hodge. Ihm gelang es, aus dem Roman eine Struktur zu entwickeln, die einerseits die gewollte Strukturlosigkeit der Vorlage mit ihren endlosen, wirren Monologen (Heroinrausch!) ehrte, andererseits aber eine Dramaturgie entwickelte, die den Anforderungen eines Kinofilms mehr als gerecht wurde. Hodge, der gelernter Arzt ist, gehört mittlerweile zu den versiertesten Drehbuchautoren Großbritanniens. Dass er als Autor für den aktuellen Bond-Film vorgesehen war, die Produzenten sich aber nicht trauten, sein Skript zu verfilmen, darf man getrost als Drama bezeichnen.

Der berühmte Monolog zu Beginn von "Trainspotting", in dem Renton (Ewan McGregor) über die Bedeutungslosigkeit des bürgerlichen Lebens sinniert ("Choose life. Choose a job. Choose a career"...) war im Roman irgendwo eher unauffällig in der Mitte versteckt. Hodge holte ihn an den Anfang und unterlegte damit die Verfolgungsjagd, in der Renton und sein Kumpel Spud nach einem Ladendiebstahl flüchten. Dadurch schuf er eins der besten Intros der Filmgeschichte. Das noch besser wurde, weil die Filmemacher dazu Iggy Pops "Lust For Life" abspielten.

Der Song war einer der teuersten Posten im Budget, eigentlich gab es kaum Geld, um Pophits einzukaufen. Aber die Macher handelten einen Deal mit der Plattenfirma aus. Alle Künstler bekamen eine kleine, eher symbolische Summe (zum Beispiel 15 000 Pfund für Iggy Pop) und die Zusage weiterer Zahlungen, sollte der Film ein Erfolg werden. Und "Trainspotting" wurde ein Riesenhit, als er 1996 ins Kino kam.

Den größten Lerneffekt aus den Dreharbeiten beansprucht im Buch der Produktionsassistent Saul Metzstein für sich. Er sollte für die Rolle der Diane, mit der Ewan McGregor im Film eine Affäre hat, eine junge, unbekannte Frau ohne Schauspielerfahrung suchen. Sein Ansatz, einfach Mädchen auf der Straße anzusprechen, ob sie nicht in einem Film mitspielen wollten, sei aber eher desaströs verlaufen, berichtet er. "Verpiss dich, Perversling", seien noch die freundlicheren Antworten gewesen, bis man sich dann doch entschlossen habe, ein richtiges Casting zu veranstalten.

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