Einen Film über Blinde sollte man unbedingt hören können - und "Imagine" ist voller Geräusche. Schritte, der Fahrtwind eines Autos, das Klappern eines Schälchens, aus dem eine Katze Milch trinkt. Das ist es, was der Lehrer Ian seine Schüler fragt, denen er beibringen will, sich ohne zu sehen in der Welt zu bewegen, so wie er selbst es gelernt hat: Wenn ihr nichts gehört habt, und das Schälchen ist leer - wer hat dann die Milch getrunken?
Der polnische Regisseur Andrzej Jakimowski hat "Imagine" in Lissabon gedreht, und die Stadt mit ihren engen, gewundenen Gassen, die sich die Hügel hinaufziehen, ist für jemanden, der nichts sehen kann, wahrscheinlich tatsächlich die ultimative Herausforderung.
Ian - gespielt von Edward Hogg ("Anonymous") - ist neu am Krankenhaus, und seine Selbständigkeit stört die Schüler, die ihm nicht glauben und sich überfordert fühlen, so sehr wie die sehenden Ärzte. Es ist gleich bei der Ankunft klar, dass sich Ian nicht in seine Rolle fügt, als er wählen darf zwischen einem Zimmer mit einem Gesprächspartner als Nachbarn und einem zweiten, neben dem eine schweigsame Patientin (Alexandra Maria Lara) wohnt, das aber einen wunderbaren Ausblick hat. Ian nimmt Letzteres.
"Imagine", der bei uns Anfang des kommenden Jahres in den Kinos anläuft, ist ein zaghafter, ruhiger, romantischer kleiner Film, der versucht, sinnlich erfahrbar zu machen, was man nicht erklären kann - ein wenig sentimental, aber das ist im Kino ja kein Schimpfwort. Das Blindspielen ist für Schauspieler übrigens wesentlich leichter geworden: Das macht man heutzutage mit blickdichten Kontaktlinsen.
"Imagine", ein Film von Andrzej Jakimowski. Portugal/Großbritannien/Polen/Frankreich 2012, 105 Minuten. Mit Alexandra Maria Lara, Edward Hogg. Bundesweiter Kinostart: 2. Januar 2014