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Trailer-Premiere "Zweite Chance":Untat bleibt Untat

Wie weit darf ein Polizist gehen, um die Welt in Ordnung zu bringen? Der Protagonist in Susanne Biers Film "Zweite Chance" glaubt, ein Unglück selbst wiedergutmachen zu können. Doch das ist eine Illusion. Sehen Sie die Trailer-Premiere exklusiv bei SZ.de.

Von Paul Katzenberger

Darf man Unrecht tun, um zu seinem Recht zu kommen? Das ist die Frage, die Susanne Bier in ihrem neuen Drama "Zweite Chance" aufwirft. Eine Thematik ganz nach ihrem Geschmack: Die dänische Regisseurin und ihr langjähriger Drehbuchautor Anders Thomas Jensen sind Spezialisten für die Konstruktion spannender Psycho-Thriller, die mit existenziellen Fragestellungen verbunden sind.

Für das Drama "In einer besseren Welt", das 2011 mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, packte das Duo etwa den biblischen Stoff von Rache und Vergebung in eine spannende Familiengeschichte. Und auch in "Zweite Chance" geht es um familiäre Konstellationen, vor deren Hintergrund der Film zeigen will, wie schnell verbürgte Wertmaßstäbe ins Wanken geraten, wenn sie durch einen existenziellen Verlust in Frage gestellt werden.

Der Drogenfahnder Andreas (Nikolaj Coster-Waldau) lebt mit seiner Frau Anne (Maria Bonnevie) und dem frisch geborenen Sohn Alexander ein intaktes dänisches Kleinstadtleben. Seine Arbeit bringt ihn in Kontakt zur kaputten Welt von Tristan (Nikolaj Lie Kaas), der mit seiner Freundin Sanne (Ex-Vogue- und Playboy-Model May Andersen gibt ihr Schauspieldebüt) eine hoffnungslose Junkie-Existenz teilt.

Auch Tristan und Sanne haben einen Säugling namens Sofus, der allerdings weit weniger umsorgt ist als Alexander: Die meiste Zeit liegt er in seinen Exkrementen und schreit, während seine Eltern in den Heroin-Rausch abdriften.

Als Andreas und Ermittler-Kollege Simon (Ulrich Thomsen) in Tristans Wohnung eindringen, um ihn wegen Drogendelikten hochzunehmen, finden sie Sofus in einem erbarmungswürdig vernachlässigten Zustand vor. Vor allem Andreas ist geschockt und setzt alle Hebel in Bewegung, Sofus in Pflege nehmen zu lassen. Doch er scheitert: Tristan und Sanne sind durch die Gesetze vor dem Verlust ihres Kindes besser geschützt als Sofus vor seinen Eltern.

Das ist die Ausgangslage, in der Bier und Jensen der Geschichte nun einen Dreh geben, der die vermeintlich so klar umrissene Gut-Böse-Konstellation durcheinanderwirbelt und beide Familien aus den so unterschiedlich justierten Angeln hebt. Der Gegensatz zwischen heilen und defekten Verhältnissen löst sich auf, weil gerade da, wo es am wenigsten zu vermuten ist, längst nicht alles so sortiert ist, wie es scheint. Eine einschneidende Katharsis ist unausweichlich. Sie hätte nicht ganz so schmerzlich ausfallen müssen, wäre Andreas mit offeneren Augen durchs Leben gegangen.

Zunächst erlebt der Zuschauer den Polizisten als reines Opfer. Das Raffinierte: Die Tragik, die Andreas widerfährt, zieht den Zuschauer auf seine Seite und macht ihn zum Komplizen, wenn sich Andreas dazu entschließt, Sofus von seinen Eltern zu rauben. Und schon sitzt das Publikum in der Spannungsfalle: Denn aus Frevel kann im Leben kein Glück werden, da können die Intentionen hinter der Schandtat noch so rechtschaffen sein.

Zwei, drei Twists zu viel

Für Andreas bedeutet das, dass er sich irgendwie wieder ehrlich machen muss, und die Zuschauer müssen weite Strecken des Filmes mit ihm gehen. Es ist ein mühsamer aber auch ein aufregender Weg, was nicht zuletzt den hervorragenden Schauspielern zu danken ist, die es verstehen, seelische Abgründe mit hoher Intensität darzustellen. Am Ende steht dafür die Läuterung als Belohnung.

"Zweite Chance" ist packend und regt zugleich zum Nachdenken an, so wie es die Fans von Susanne Bier zu Recht erwarten können. Allerdings hat sie selbst für ihre Verhältnisse zwei, drei irrwitzige Twists zu viel eingebaut. Kritiker können ihr zu Recht mal wieder den Hang zu überkonstruierten Geschichten vorwerfen.

Aber auf diese Weise kann eine moralische Abhandlung im Kino Fragen aufwerfen, die das echte Leben nicht in dieser Eindeutigkeit stellt. Und so sollte der Zuschauer dem Film nach so manchem logischen Bruch eine "zweite Chance" geben, sie zahlt sich in diesem Fall tatsächlich aus.

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