Trailer für Kinofilme:Ist doch Wahnsinn

Unfassbares Formel-Geföhne, irrsinnig geschnitten und mit der Hälfte der Pointen: Die Kinotrailer der Gegenwart machen alles platt. Auch die Filme, für die sie eigentlich werben sollten. Gewonnen werden kann dieser Kampf nur dort, wo er sonst verloren wird - auf YouTube.

Jan Füchtjohann

Kennen Sie das? Sie sitzen im Kino, gleich geht's los, und der Nachbar murmelt, der Trailer sei doch "wohl Wahnsinn" gewesen. Ach was. Den hat man ja höchstens sechs, sieben Mal gesehen. Den Link geschickt bekommen. Ihn weitergeleitet. Parodien geschaut. Und natürlich die zweite, längere Fassung.

Sasha Baron Cohen in "Der Diktator"

Sasha Baron Cohen in einer Szene von "Der Diktator" - die Hälfte der Pointen konnte man sich sowieso vor dem Kinostart ausrechnen, die andere steckte im Trailer.

(Foto: imago stock&people)

"Trailer Joke Decay" nennen die Nerds auf tvtropes.org das so entstehende Problem. Als zum Beispiel vor Monaten klar wurde, dass sich Sasha Baron Coin diesem Sommer als arabischer Tyrann verkleiden würde, konnte man sich die eine Hälfte der Pointen schon selbst ausrechnen - und die andere steckte dann im Trailer. Als der Film schließlich im Kino war, hatten die Witze einen noch längeren Bart als der "Diktator" selbst, was in diesem Fall wirklich etwas heißen will.

In der besten aller Welten gäbe es diese Probleme natürlich nicht. Alle Filme wären fantastisch. Sie würden die von ihren Trailern gemachten Versprechen so vollständig erfüllen, dass man diese danach glücklich vergessen könnte. Aber in der Realität ist es meist andersherum: Die Trailer sind okay. Was man danach vergessen kann, sind die Filme.

Muss man also der Kulturkritik von vorgestern Recht geben? Die hat nämlich schon immer behauptet, dass Trailer nichts anderes sind als leere Versprechen. "Jeder kommerzielle Film ist eigentlich nur die Vorschau auf das, was er verspricht und worum er zugleich betrügt", schrieb Theodor W. Adorno im Jahr 1966. Für ihn war die Vorschau Reklame für den Hauptfilm, der Hauptfilm aber bloß Reklame für sich selbst. So werden die Zuschauer von einer falschen Versprechung zur nächsten gejagt - wie der Esel, der einer Karotte hinterherläuft, ohne zu merken, dass sie an einer Angel hängt.

"Die Götter haben einen Plan für Dich"

Der Regisseur Jean-Luc Godard hat dieses Genörgel auf den Kopf gestellt: "Trailer sind der perfekte Film", soll er gesagt haben, "sie sind Versprechen, die niemals gebrochen werden." Den Meister des Jump-Cuts begeisterte gerade das Lückenhafte: das Publikum kann das noch unerfüllte Versprechen des Trailers mit seinen eigenen Fantasien füllen - und die sind im Zweifel interessanter als alles, was die Studios einem vorkauen.

Die Blockbuster-Trailer von heute kann Godard allerdings nicht gemeint haben. Sie scheinen von der Theorie auszugehen, dass ganz sicher niemand ins Kino geht, um sich überraschen zu lassen. Was das Publikum ihrer Meinung nach als Entscheidungshilfe vor der Kinokasse braucht, sind keine wilden Fantasien, sondern präzise Vorstellungen, welche Geschichten sie da erwartet.

Oder sagen wir: zumindest wirre Vorstellungen. Hier die Tonspur des "Prince of Persia"-Trailers von 2010: Frauenstimme: "Hast Du Dich nie gefragt - wie Du einen solchen Schatz finden konntest? Die Götter haben einen Plan für Dich. Sie lenken Dein Schicksal." Männerstimme: "Ich habe diese Macht mit eigenen Augen gesehen. Setzt man den Sand frei, dreht man die Zeit zurück. Und nur der Besitzer des Dolches weiß, was dann geschieht." Zweite Männerstimme: "Wie hast Du das gemacht?" Frauenstimme: "Nur der Dolch kann den Sand der Zeit freisetzen. Und es gibt jene, die seine Macht dazu benutzen würden, um die Welt zu zerstören." Dritte Männerstimme: "Die Zeit wird alles auslöschen." Frauenstimme: "Wir können dieses Armageddon nur verhindern, wenn wir den Dolch in den geheimen Tempel der Wächter bringen. Dort müssen wir hin."

Das klingt, gelinde gesagt: irrsinnig. Und wird durch die dazu gehörenden Bilder auch nicht klarer. Gleichzeitig ist es natürlich ein unfassbares Formel-Geföhne, so dass man trotzdem alles versteht: Es gibt offensichtlich eine junge Schönheit und einen Helden, den Ruf des Abenteuers, dunkle Mächte mit Weltzerstörungsabsichten - na dann kann's ja losgehen.

Ständig auf Messers Schneide

Sony Pictures ist gerade dabei, diese Was-der-Bauer-nicht-kennt-Logik auf die Spitze zu treiben. Der dritte Teil der "Spider-Man"-Serie mit Tobey Maguire ist kaum fünf Jahre aus den Kinos, da wird das gleiche Epos noch einmal verfilmt. Und wieder wird ein junger Peter Parker von einer Spinne gebissen werden, und wieder wird er Superkräfte entwickeln. Nach "The Amazing Spider-Man" könnte Adorno am Ende doch Recht behalten: Jeder Film ist ein Trailer. Entweder dient er als Teaser für den nächsten Teil. Oder gleich als Reklame fürs kommende Remake, dessen Start schon unaufhaltsam näherrückt.

Auch die Trailer selbst stehen damit vor einer komplizierten Aufgabe: Sie müssen die immer gleiche Geschichte immer wieder neu verkaufen - und zwar mit den immer gleichen Formeln. Die Firma Apple hat diese inzwischen so weit entschlüsselt, dass sie in ihr Programm iMovie ein Feature integrierte, mit dem man durch ein paar Klicks auch für die eigenen Heimvideos bombastische Trailer basteln kann - inklusive Triumphmusik vom London Symphony Orchestra.

Derweil lieferte die Humorseite cracked.com den "Trailer For Every Oscar-Winning Movie Ever". Der Witz des Videos besteht darin, dass die Schauspieler nicht die erwarteten melodramatischen Filmsätze aufsagen, sondern eine Art Meta-Text: "Therapeutin: Einführung einer Figur, die an einer gerade in allen Medien besprochenen Behinderung leidet! Behinderter: Wichtiges Schlagwort! Held: Große Frustration!" usw.

Lange Liste der Irreführungen

Der Trailer wandert also ständig auf Messers Schneide: Er kann zu unoriginell und langweilig sein. Er kann zu viel preisgeben und einem den Spaß verderben - die berüchtigten Spoiler. Oder er kann zu wenig preisgeben und falsche Erwartungen wecken. Ein Beispiel für einen Spoiler wäre die Vorschau des Bond-Klassikers "You Only Live Twice". Sie zeigt ohne viel Federlesens, was dem Publikum zweieinhalb Filme lang kunstvoll verborgen wurde: das Gesicht des Superschurken Ernst Stavro Blofeld.

In die lange Liste der Irreführungen gehört dagegen die Vorschau von "Where the Wild Things are". Kaum etwas hat vor drei Jahren glücklicher gemacht als diese zwei Minuten Indy-Kino über einen netten Jungen, der sich mit einer Horde Monster befreundet - nur handelte der fertige Film dann leider von kleinen Kindern, die unter schweren Depressionen leiden.

Doch wie immer, wenn das Internet ein Problem erzeugt (wir sehen einfach zu viele Trailer) und es dann kritisiert (mit Hassvideos und zornigen Listen), schafft es auch Abhilfe. Da sind die so genannten "Fake Trailer", für die Fans die Schnipsel bekannter Filme zu absichtlich irritierenden Vorschauen umschneiden: Stanley Kubricks "The Shining" verkaufen sie als Familienkomödie, das Disney-Musical "Mary Poppins" als Horrorfilm. Und das zeigt dann auch, wie sich das Geheimnis ungesehener Filme wiederherstellen ließe: Neue Helden mit schnellen Schnittcomputern müssten von jedem neuen Trailer sofort eine subtil gefälschte, Verwirrung stiftende Remix-Version ins Netz stellen, bis kein Mensch mehr zwischen "official" und "inoffical" unterscheiden könnte. So wäre das Rätsel wieder ins Recht gesetzt, das die Trailerfabriken so gern aus der Welt schaffen wollen.

Gewonnen werden kann dieser Kampf nämlich nur dort, wo er sonst verloren wird - auf YouTube. Und wenn Sie schon mal da sind: Schauen Sie den "Official Movie Trailer" von "The Dark Knight Rises" an. Oder ist es bereits der inoffizielle? Wie auch immer: Dieses düstere Vibrieren. Das in den Abgrund gerissene Footballfeld. Marion Cotillard. Ist doch wohl Wahnsinn.

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