Tragikomödie:Kampf der Narzissmen

Tod und Desaster - Nanni Moretti erzählt in seinem bewegenden Film "Mia Madre" von chaotischen Dreharbeiten und dem Abschied einer Regisseurin von ihrer Mutter. Famoser Gastauftritt: John Turturro als neurotischer US-Star.

Von Fritz Göttler

Solche Filme gibt's heute wahrscheinlich nur noch in Italien. Ein richtig handfester Arbeitskampf in einer Druckerei. Konfrontation und Radikalisierung. Ein amerikanischer neuer Mann an der Spitze. Arbeiter erklettern das geschlossene Gittertor zum Werksgelände. Sagen Sie nicht Stopp zu mir, brüllt der Amerikaner in der Kantine die Frau hinter der Theke an. Sie können sich ja keine Zeile Text merken, schreit die Frau zurück. Nicht eine einzige!

Eine Großproduktion, Genre politisches Melodram. Ein schöner altmodischer Film, mit einer unmissverständlichen sozialkritischen Botschaft und der Möglichkeit, sich eindeutig und hochemotional mit den richtigen Figuren zu identifizieren - das hat seit Langem im Kino einen doppelten Rand. Bei den Italienern spukt ein allerletzter Rest von (Neo-)Realismus drin herum.

Es ist der Film im Film, um den es hier geht, "Mia Madre" erzählt von den anstrengenden Dreharbeiten zu einem neuen Spielfilm in Rom. Der Filmemacher Nanni Moretti liebt das Spiel im Spiel, er hat es in vielen seiner Filme praktiziert und in "Caro Diario/Liebes Tagebuch" 1993 aufs lustvollste perfektioniert, in dem er auf der Vespa durch Rom kurvte und über die Inseln Lipari oder Stromboli, um den Stand seiner Entwicklung als Filmemacher zu erforschen. In "Mia Madre" aber spielt er nicht den Regisseur, hier führt Margherita Regie, gespielt von Margherita Buy. Nanni Moretti steht ihr zur Seite, als ihr Bruder.

Film Mia Madre

Der Regieeinflüsterer - Nanni Moretti und Margherita Buy.

(Foto: Alberto Novelli/Verleih)

Margherita ist erschöpft und ratlos, unkonzentriert nicht nur, was ihre Arbeit angeht. Die Mutter der Geschwister liegt im Krankenhaus, ihr Zustand will sich nicht bessern. Nanni Moretti verarbeitet den Tod der eigenen Mutter. Sie ist gestorben, als er seinen vorigen Film drehte, "Habemus Papam". Margherita fährt seinen echten Wagen im Film, Giulia Lazzarini, die die Mutter spielt, trägt Kleidung, die Morettis Mutter im Krankenhaus trug. Moretti holte fürs Drehbuch Tagebücher wieder hervor, die er während des Todes der Mutter geschrieben hatte.

Margherita, die Regisseurin, explodiert in der Kantine und schreit den Amerikaner an, gespielt von John Turturro. Er ist der Star ihres Films, und er lebt in einer anderen Welt, einer anderen Zeit, als Kubrick noch wirkte und die Filmregisseure Diven waren. Wenn Turturro auftritt, wandelt sich alles zur verrückten Schmierenkomödie - was sehr charmant sein kann und sehr enervierend. Geschminkt schaut er aus wie einer der gockelhaften Gigolos aus späten Fellini-Filmen. Was macht er da, fragt Margherita verwirrt, als sie am Monitor eine Szene in einem Auto beobachtet, in der Turturro am Lenkrad sitzt, unablässig damit hin- und herwackelt - er fährt doch geradeaus! Ein Hyperkinetiker.

Ein Narzisst. Eine Perversion der Schauspielerei. Die Symptome, die Moretti in seinen frühen Filmen entwickelte, als er noch selber die Hauptrollen spielte und durch Abstraktion das Reale auf Distanz zu halten versuchte, waren anders, ein leidender Narzissmus. Die weiche Stimme konnte nicht immer den Verdacht auf Lamento abwehren, auf Selbstmitleid. Im Familiendreieck von "Mia Madre" ist er nun sicher geborgen. Der Film ist die Utopie eines verlorenen Paradieses - eines modernen Matriarchats. Italien als vaterlose Gesellschaft - in den Filmen, die Rossellini in den Fünfzigern mit Ingrid Bergman machte, war diese aktiv, tatkräftig, mit Willen zur Dominanz - und gerade dadurch fragil. Um die Mutter besser betreuen zu können, hat der Bruder seinen Job aufgegeben - was auch eine neue Freiheit war. Mach doch einfach mal etwas anderes, etwas Neues, rät er der Schwester. Raus aus den gewohnten Mustern. Die Mutter war, im Film wie im Leben, Lehrerin, und sie brachte den Kindern Latein bei, so, dass es nicht für die Schule war, sondern fürs Leben.

Mia Madre, Italien 2015 - Regie: Nanni Moretti. Buch: Nanni Moretti, Valia Santella, Francesco Piccolo. Kamera: Arnaldo Catinari. Mit: Margherita Buy, John Turturro, Giulia Lazzarini, Nanni Moretti, Beatrice Mancini. Koch Media, 106 Minuten.

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