Süddeutsche Zeitung

Tragikomödie:In der Unterwelt

Peter Greenaway erzählt im Kino-Schelmenstück "Eisenstein in Guanajuato" vom wahnsinnigen Mexiko-Trip des legendären russischen Regisseurs Sergej Eisenstein.

Von Stefan Fischer

Sergej Eisenstein fährt im offenen Wagen. Rechts und links an ihm vorbei fliegen Tableaus gen Horizont, die kunstvoll in die Filmszene hineinmontiert sind. Auf diesen Leinwänden laufen Sequenzen aus den ersten drei Filmen des legendären Regisseurs: "Streik", "Panzerkreuzer Potemkin", "Oktober". Eine kuriose Ein-Mann-Parade ist das, in der das filmische Werk Eisensteins am Straßenrand Spalier steht und seinem Schöpfer huldigt. Die Eitelkeit dieses meisterhaften Filmemachers ist zu sehen in der Eingangssequenz von "Eisenstein in Guanajuata". Seine Großspurigkeit, hinter der er seine Unsicherheit versteckt, seine Energie und Begeisterungsfähigkeit sowie der Hang zu clownesken Auftritten.

Ein triumphaler Einzug in der mexikanischen Stadt Guanajuato ist das für ihn, im Oktober 1931. Inszeniert von Peter Greenaway, selbst ein außergewöhnlicher Schöpfer kraftvoller Filmbilder, als Hommage an einen der mächtigsten Urahnen der verführerischen Kinokunst. Keine zwei Wochen später wird Eisenstein das Land unter Tränen verlassen, mit 400 Kilometer belichtetem Material im Gepäck, aber ohne den Film, den er hier hatte drehen wollen, "Que Viva México". Zerrüttet von der Erkenntnis, dass nichts in Mexiko oberflächlich ist: "Man wird ständig mit den großen Dingen des Lebens konfrontiert. Sie treffen einen wie ein Schlag in den Magen, wie ein Stoß ins Herz." Das Leben erschöpft Eisenstein in dieser fremden Umgebung durch Überwältigung. Vor allem anderen aber wird er um eine große Liebe betrogen.

Fiktion und Dokumentation vermischen sich in diesem lustvollen Kino-Essay

Als sein Visum nicht mehr verlängert wird, was politische Gründe hat, und Eisenstein nach drei Jahren in Westeuropa, den USA und schließlich Mexiko zurück in die Sowjetunion muss, hat seine Beziehung zu dem attraktiven Palomino Cañedo keine Zukunft mehr. Cañedo ist sein Guide durch das fröhliche, exotische, aber auch vom Tod faszinierte Guanajuato, der letzten Station dieser Schelmenreise - "mein Führer in die Unterwelt", wie ihn Eisenstein einmal nennt. Er ist gebannt vom lebensfrohen Umgang mit dem Tod in Guanajuato, speziell während der Feierlichkeiten zu Allerheiligen. Sex und Tod, Eros und Thanatos, davon erzählt Greenaways an Eisenstein geschultes, assoziatives Kino, in dem dokumentarisches und fiktionales Erzählen in eins fallen. Auch formal, durch etliche Splittscreen-Triptychen, in denen Gespieltes neben Belegtem abläuft.

Der finnische Schauspieler Elmer Bäck, stets im weißen Anzug, ist ein zugleich dynamischer und hängeschultriger Sergej Eisenstein. "Ich habe den Mut eines Feiglings", sagt er über sich. Bäck spielt den Regisseur als großes Kind, als einen klugen, witzigen Kauz. In Luis Alberti hat Bäck einen sinnlichen Konterpart in der Rolle Palominos, der dieser aufgekratzten Vitalität standhält, sie sogar zusätzlich befeuert. Ein Paar gegen jede Wahrscheinlichkeit, und gerade deshalb glaubwürdig. Weil nichts Kalkuliertes in der sexuell sehr explizit dargestellten Beziehung steckt.

Die Zielstrebigkeit der Bewegung bei der Autofahrt vom Beginn des Films wird im weiteren Verlauf abgelöst von einer immer wieder schier endlos kreiselnden Kamera. In jeder dieser Szenen wird klar, dass hier ein Planet um seine Sonne kreist. Die Kreisbewegung ist allerdings auch die eines Clowns in der Manege. Sergej Eisenstein ist 33 Jahre alt - ein Alter, so Eisenstein, in dem man nicht mehr triumphieren müsse, aber auch noch nicht zynisch sei: "Die Grenze der Hoffnung."

Die Jahre im Ausland brachten ihm den Verlust seines filmischen Instinkts ein. Er ist gescheitert bei dem Versuch, den Tod und die Vergänglichkeit zu inszenieren. Das in einem derart lebenslustigen Film zu zeigen, ist eine wundervolle Selbstbehauptung des Kinos.

Eisenstein in Guanajuato, Niederlande/Mexiko/ Finnland/Belgien 2015 - Regie, Buch: Peter Greenaway. Kamera: Reinier van Brummelen. Mit: Elmer Bäck, Luis Alberti, Maya Zapata, Lisa Owen. Salzgeber, 105 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2015
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