Tourstart R.E.M:Hey, Kid, Rock´n´Roll!

"R.E.M.", inzwischen nur noch die Dreipunktepartei in der Musik, starten in Hamburg ihre Deutschland-Tour. Aber man kann kaum sagen, wie man sie finden soll.

Oliver Fuchs

(SZ v. 03.07.2003) Zwei von drei Menschen, auf deren Meinung man wirklich etwas gibt, haben die Ankündigung, man fahre nach Hamburg zum R.E.M.-Konzert, mit einem Schulterzucken quittiert: "R.E.M.? Gibt's die noch?" Ein deprimierendes Umfrageergebnis. Trotzdem packt einen schon beim Einsteigen am Münchner Hauptbahnhof eine unerklärliche Vorfreude, man lädt die alten Kassetten in den noch älteren Walkman - und schon in Würzburg ist man versöhnt mit den Helden von einst, bei Hannover beschließt man, es noch einmal mit ihnen zu versuchen, bis sich kurz vor der Ankunft in Hamburg dann doch wieder Zweifel einstellen: "R.E.M.? Gibt's die noch?" - Hmm, schwer zu sagen.

Tourstart R.E.M: Der Herr, der sich mit Brauenrot das Makeup verwüstete, ist Michael Stipe, Sänger, Frontmann, Krötenschützer.

Der Herr, der sich mit Brauenrot das Makeup verwüstete, ist Michael Stipe, Sänger, Frontmann, Krötenschützer.

(Foto: AP)

"Rock'n'Roll is about to be here now", hat John Lennon gesagt. Es geht also darum, zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein. Dass R.E.M. die Band der Stunde sind, kann man schwer behaupten. Dafür haben die Musiker, die sich nach der Schlafphase, in der mit den schnellen Augenbewegungen - "Rapid Eye Movement" - auch das Träumen einsetzt, zu viele Entwicklungen der jüngsten Zeit verschlafen.

Wann also wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, um R.E.M. live zu sehen? Vor zwanzig Jahren, als sie noch Studenten waren in Athens, Georgia, und am Wochenende im Campingbus übers Land fuhren, mit ein paar Punk- und Folk-Coverversionen im Gepäck? Oder vor zehn Jahren, als sie nach der letzten großen Umwälzung im Musikgeschäft vom Underground in den Mainstream gespült wurden und als lebender Beweis dafür galten, dass Hitparaden-Musik künstlerisch hochwertig sein kann, moralisch integer und politisch engagiert?

Tragisch bloß, dass Sänger Michael Stipe sich danach ein paar Mal zu oft gegen Staudämme und für Krötenwanderung aussprach, dass er aus Angst, sein Naturschützer-Image könnte nicht interessant genug sein, Journalisten ermutigte, haarsträubende Gerüchte über ihn im Umlauf zu setzen (Michael Stipe heiratet Courtney Love! Michael Stipe schwul! Michael Stipe tot!) und dass seine Band zuletzt fast nur noch Platten zustande brachte, die von der Kritik großteils hämisch aufgenommen wurden. R.E.M. seien die "F.D.P. der Popmusik" - das war noch eine der freundlicheren Stimmen. Der Fanblock bröckelt, das sieht man schon daran, dass der Start der Deutschland-Tour wider Erwarten nicht in der AOL-Arena in Hamburg stattfindet, sondern davor. Das Areal ist, wenig poetisch, "Parkplatz Gelb" benannt.

Wie viel Zeit verstrichen ist, das wird schon spürbar, bevor R.E.M. auf die Bühne kommen. Als Vorgruppe treten Blumfeld auf - Brüder im Geiste, sollte man denken. Doch das Publikum reagiert feindselig, pfeift, etliche schwenken empört ihre Eintrittskarten in der Luft, als die Heroen des neuen deutschen Politrocks Lieder wie "Die Diktatur der Angepassten" singen. "Ihr habt alles falsch gemacht / Habt ihr nie drüber nachgedacht? / Gebt endlich auf!", heißt es bei Blumfeld - wovon sich viele R.E.M.-Fans offenbar persönlich getroffen fühlen. Im Publikum sieht man viele Jeansjacken und einige Allwetter-Blousons, und man hört Kommentare wie "Was soll das denn?". Xavier Naidoo, neulich, und Grönemeyer, am selben Ort, das sei wenigstens noch "richtige Musik" gewesen.

Drei Männer kommen anschließend auf die Bühne geschlurft, aber man sieht nur einen, Michael Stipe. Der dürre Körper, die spinnenartigen Bewegungen und der kahlrasierte Kopf verleihen ihm Kinskihafte, mephistophelische Züge. Als "charismatischer Frontmann" wird so einer im Popkritikdeutsch gern bezeichnet, und das Irritierende ist, dass er in dieser Klischeerolle in den folgenden zwei Stunden voll aufgeht. Er flirtet mit dem Publikum, er hüpft elastisch über die Bühne, er spielt kein Instrument und alle gleichzeitig - Luftgitarre, Luftschlagzeug, Luftklavier. Vom ersten Moment an wird klar, dass dies allein sein Abend ist. Der Gitarrist Peter Buck und Mike Mills am Bass wirken dagegen wie zwei ewige Studenten. Dass Buck überhaupt vorhanden ist, merkt man erst, als er gegen Ende die Gitarre weglegt und sich eine Mandoline greift.

Michael Stipes Persona, sein monumentales Ego ist der Fixpunkt, um den herum sich der weitere Abend organisiert. Gegen seine Ausstrahlung kommt nicht einmal der haushohe Videoscreen im Hintergrund an, obwohl er im hohen Takt visuelle Reize abfeuert. War dies also eine selbstgefällige, pompöse Show, die nicht zufällig stellenweise an die "Zooropa"-Tournee der artverwandten Gruppe U2 erinnerte? Ja: einerseits. Andererseits lassen sich für Songs wie "The One I Love" eben immer noch keine begnadeteren Interpreten finden als R.E.M. selbst. Es ist fast ein reiner Greatest-Hits-Abend, und Stipe singt die Hits so, dass das Lied hinter der Hymne wieder hörbar wird. Das ist keine kleine Leistung, wenn man bedenkt, dass beispielsweise "Losing my religion" mittlerweile ganz allein dem Publikum gehört und von seinem Schöpfer nur unter großer Kraftanstrengung zurückerobert werden kann.

"Shiny Happy People", "Man On The Moon", "Drive": Stipe nimmt sich vom Publikum, was er ihm gegeben hat. Das ist sein gutes Recht. Gleichzeitig wird auf fast tragische Weise deutlich, wie sehr diesen Liedern die Verbindung zur Gegenwart abhanden gekommen ist. Und so sehen wir eine Band, die weiter macht, obwohl ihre Mission längst erfüllt ist. "R.E.M.? Gibt's die noch?" - Auf diese Frage gibt es nach diesem Konzert nur eine mögliche Antwort: Ja. Aber auf die Frage, ob das eine gute Nachricht ist, weiß man nicht sofort eine Antwort.

Weitere Konzerte: 4.7. Berlin, 5.7. München, 8.7. Wien, 19.7. Wiesbaden.

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