Kinofilm "Top Gun: Maverick":Bösewicht gesucht

Lesezeit: 3 min

Tom Cruise in "Top Gun: Maverick" badet im goldenen Licht der Nostalgie. Aber wen greift er diesmal eigentlich an? (Foto: Scott Garfield/Paramount Pictures)

Wer ist der Feind in "Top Gun: Maverick"? Tom Cruise und seine Mitstreiter verschleiern die Antwort auf die Frage bewusst - aber es gibt eindeutige Hinweise.

Von Tobias Kniebe

Während "Top Gun: Maverick" die Kinoentwöhnten zurück vor die Leinwände lockt und Tom Cruise das beste US-Startwochenende seiner langen Karriere feiern darf, verlangt eine Schlüsselfrage des Films so langsam nach Antwort: Wer soll in diesem enthemmten Spektakel eigentlich der Feind sein? Die Antwort ist schwieriger als gedacht und erfordert die Analyse gewisser Plotpoints, deshalb gleich eine Warnung: Wer den Film noch sehen will, bitte hier auf keinen Fall (!) weiterlesen.

Niemand will sich gern bei offener Kriegstreiberei ertappen lassen, das gilt auch für die Macher von "Top Gun". Die Benennung der feindlichen Kombattanten wird deshalb ausgespart, ihre Herkunft verschleiert. Das war auch im ersten "Top Gun"-Film von 1986 schon so. Zwar nahm alle Welt damals an, dass es gegen die Russen ging, immerhin wurden die feindlichen Düsenjäger als "MiG-28" identifiziert, womit schon mal ein russischer Flugzeugbauer in Produkthaftung genommen war. Allerdings mit einem fiktionalen Modell, echte MiGs tragen seit Langem nur noch ungerade Zahlen.

"Top Gun: Maverick" im Kino
:Überflieger

Der Pilot und Hollywoodstar Tom Cruise zeigt in Cannes seinen Militärblockbuster "Top Gun: Maverick". Kann man das trotz echtem Krieg genießen?

Von David Steinitz

Sodann wurden die falschen MiGs von amerikanischen Flugzeugen gedoubelt, denen man seltsame Hoheitszeichen aufgemalt hatte, ein roter Stern in einem gelben Kreis. Das erinnerte an sowjetische, chinesische und nordkoreanische Kennzeichnungen, stimmte aber mit keinem der realen Symbole genau überein. Bedenkt man außerdem, dass MiGs immer große Exportschlager waren, mehr als dreißig Länder kauften sie im Lauf der Jahre, und dass die entscheidenden Luftkämpfe (aka Kriegshandlungen) mitten über dem Indischen Ozean stattfanden, also territorial schwer zuzuordnen waren, wird die Schurkenfrage immer unklarer.

Wie aber sieht es beim neuen Film "Top Gun: Maverick" aus? Der hat eine Story, die das Herauswinden aus der Sache deutlich schwieriger macht. Es geht um eine heikle Angriffsmission, für die Tom Cruise und seine Pilotenschüler den ganzen Film über trainieren und die dann am Ende auch geflogen wird, mit Bombardierungen, Luftkämpfen, Abschüssen und allem Drum und Dran. Sie dient der Zerstörung einer Uran-Anreicherungsanlage in einem nicht genannten Staat. Der Angriff erfolgt vom Meer aus, von einem US-Flugzeugträger, dann geht es noch einige Meilen durch sehr bergiges, schneebedecktes Terrain.

Der Schurkenstaat hat keine Atombomben, aber die modernsten Jets. Geht das überhaupt?

Rein geografisch könnte das auf alle möglichen Länder passen, denen die USA nicht besonders freundlich gesinnt sind, inklusive Russland und China. Nur wäre es bei diesen längst etablierten Atommächten sinnlos, eine Anlage zur Herstellung von Atomwaffen zu zerstören. Laut Drehbuch ist die unterirdische Atomfabrik auch noch nicht voll operabel, es gilt, ihre Inbetriebnahme zu verhindern. Damit kommen nur Nationen infrage, deren Atomprogramm man noch entscheidend bremsen könnte, allen voran Iran, mit viel Fantasie auch noch Nordkorea.

Für den Gegenschlag hat der Schurkenstaat allerdings eine hochmoderne Luftwaffe, der Film spricht von Kampfjets der "fünften Generation", sie sind wieder mit fiktiven Hoheitszeichen versehen. Mit der "fünften Generation" sind flugzeugtechnische Neuentwicklungen des 21. Jahrhunderts gemeint, die über "Stealth"-Technologien und andere komplexe Systeme verfügen. Aktuell haben offenbar nur die Amerikaner, die Chinesen und die Russen solche Jets, das macht alles wieder unklarer. Höchstens könnte man annehmen, dass die Geheimdienste da einiges an technologischer Entwicklung im Feindesland verpasst haben - die Form der attackierenden Flugzeuge erinnert jedenfalls an das russische Modell.

Interessanterweise fliegen Tom Cruise und seine Mitstreiter auch lieber nicht mit den neuesten US-Bombern der fünften Generation, sie bevorzugen ein älteres Modell, die Boeing F/A-18E/F Super Hornet. Warum? Mutmaßlich deshalb, weil es bei dieser "Superhornisse" noch wirklich auf das Können des Piloten ankommt, in den Disziplinen Tiefflug und Manövrierkunst. Der Film ist eine einzige Ode an das Handwerk des Fliegens, wie so viele Handwerksberufe dieser Welt natürlich vom Aussterben bedroht. Zusätzlicher Kick dabei: Die feindlichen Bomber sind Captain Maverick & Co. technisch sogar überlegen, das vergrößert den Heldenmut.

Gibt es am Ende also doch wieder keinen Staat, den man klar als Zielobjekt des Angriffs dingfest machen könnte? Es erscheint so, bis im Finale eine überraschende Wendung kommt: Tom Cruise und sein Meisterschüler werden im Feindesland abgeschossen, überleben aber dank Schleudersitz und Fallschirm und kämpfen sich bis zum gegnerischen Flugfeld vor, wo - oh Wunder - ein unbeaufsichtigter Kampfjet vom Typ Grumman F-14 Tomcat herumsteht. Ist das nicht exakt das Modell, das Cruise im ersten "Top Gun" geflogen ist? Aber ja, aber bingo! Im Handumdrehen ist der Jet geklaut und gestartet, und der Kampf geht weiter.

Wenn der Titel "Top Gun" jemandem gebührt, dann ihm - dem iranischen Kampfpiloten Jalil Zandi. (Foto: Wikipedia (gemeinfrei))

Und jetzt die Preisfrage: Gibt es eine Nation auf dieser Erde, die früher mal Grumman F-14 Tomcats von den Amerikanern bekommen hat? Aber ja, aber bingo! Und zwar nur eine einzige - es ist Iran. Schah Reza Pahlavi hatte die Dinger Mitte der Siebzigerjahre bestellt, bevor er von Ayatollah Khomeini aus dem Land gejagt wurde und Iran und USA zu Feinden wurden. Die F-14 aber blieben. Sie werden von der iranischen Luftwaffe in hohen Ehren gehalten, immer wieder nachgerüstet und repariert und bis heute geflogen.

Was zu einer gewissen Pointe führt: Der erfolgreichste Kampfpilot in einer F-14 ist nämlich weder Captain Maverick aka Tom Cruise noch überhaupt ein Amerikaner, real oder fiktional, sondern ein Iraner. Jalil Zandi werden elf Abschüsse feindlicher Jets im Iran-Irak-Krieg der Achtzigerjahre zugeschrieben, mehr hat kein anderer F-14-Pilot. Sehr gut aussehender Bursche im Übrigen. Man sollte direkt mal einen Blockbuster über ihn drehen.

Anmerkung: Gegenüber einer früheren Version dieses Textes wurden Informationen über den gegnerischen Kampfjet der "fünften Generation" ergänzt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusInformationskrieg
:Pop Gun

Die Ukraine verwandelt den Krieg und seine Waffen in Memes. Die Macher wissen dabei genau, wie sie die Herzen und Köpfe einer hypernervösen Digitalmediengesellschaft erobern.

Von Andrian Kreye

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: