Süddeutsche Zeitung

Tonträger:Beglückt

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Das BR-Klassik-Label wird zehn Jahre alt

Von Thomas Jordan, München

Es kommt nicht allzu häufig vor, dass Musikkritiker einer Meinung sind. Umso bemerkenswerter ist es, wenn vier professionelle Beobachter des Klassikbetriebes unisono von der "ultimativen Aufnahme" eines Werks sprechen. So wie neulich die langjährige FAZ-Journalistin Eleonore Büning, stellvertretend für ihre Kollegen vom Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Bezogen war das Lob auf Mariss Jansons' Einspielung von Richard Strauss' Rosenkavalier-Suite mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR). Von "sehr, sehr tollen Holzbläsern" war da die Rede, und von kunstvoller Walzer-Agogik, dem urwienerisch wirkenden Dehnen und Stauchen des Spieltempos.

Für den BR dürfte das eine Bestätigung dafür gewesen sein, dass sich die Arbeit der vergangenen zehn Jahre gelohnt hat. Denn 2009 entschied sich das Haus dazu, als erster öffentlich-rechtlicher Sender in Deutschland ein Tonträgerlabel zu gründen und in Eigenregie zu managen. Inzwischen sind bei dem Label BR Klassik, dessen Aufgabe es laut Intendant Ulrich Wilhelm ist, "Botschafter der Musikkultur in Bayern für ein weltweites Publikum" zu sein, 150 CD-Aufnahmen erschienen, viele gibt es auch als Stream und Download im Netz. Darunter sind Livemitschnitte ebenso wie Studioeinspielungen aller Klangkörper des BR - vom Symphonieorchester über dessen kleinen Bruder, das Rundfunkorchester, bis hin zum BR-Chor. Der Bestseller ist bisher eine Einspielung aller Beethoven-Sinfonien aus dem Jahr 2012. Und erneut heißen die Protagonisten hier Mariss Jansons und die Symphoniker.

Dabei bewerkstelligt der 76-jährige Lette das Kunststück, einer der wichtigsten Künstler des BR-Labels zu sein und zugleich zu dessen Konkurrenten auf dem Klassik-CD-Markt zu zählen. Denn das Amsterdamer Concertgebouw-Orchester, das Jansons bis 2015 leitete, war mit der Idee, ein eigenes Tonträgerlabel zu gründen, noch etwas früher dran als der BR. Das führt zu dem musikwissenschaftlichen Glücksfall, dass Klassikinteressierte etwa bei Gustav Mahlers 7. Sinfonie vergleichen können, ob ihnen der lettische Maestro mit den Münchnern oder den Amsterdamern besser gefällt.

Jansons selbst wird wohl nicht in die Verlegenheit kommen, sich für eine seiner Einspielungen entscheiden zu müssen. So bekannte der Publikumsliebling neulich auf einem Podium, dass er selbst seine Aufnahmen kaum anhören kann. "Ich werde dann sehr nervös und kritisiere dies und das", sagte der Maestro. Den professionellen Zuhörern, die seine Einspielungen bei BR Klassik erst möglich machen, ist er dagegen für ihre Kritik dankbar: "Gute Tonmeister fühlen den Klang", sagt Jansons. Er versteht es als eine Art mitlaufende Qualitätssicherung, dass seine Symphoniker regelmäßig den Mikrofonen ausgesetzt sind. Die Aufnahmen helfen bei der Entwicklung des Orchesters, weil die Musiker daran gewöhnt seien, die Qualität zu halten. Das kann auch Ivan Repušić, der Chefdirigent des zweiten Orchesters des Labels, bestätigen: Ein Rundfunkorchester ist es gewöhnt, "mehr Druck und weniger Zeit zum Proben" zu haben.

Neben aller Begeisterung für die Flaggschiffe der Gegenwart liegt der Charme des BR-Labels gerade darin, klassische Musik viel umfassender zu begreifen. Dazu gehören die historischen Aufnahmen von Pultstars wie Lorin Maazel oder Otto Klemperer, die den Interpretationsgeschmack der jeweiligen Zeit dokumentieren. Dazu gehört auch der Mut, sich an seltener gespielte Werke zu wagen. Ivan Repušić hat hier in letzter Zeit Maßstäbe gesetzt, etwa mit der Aufnahme der Verdi-Oper "I due Foscari".

Und dazu gehört nicht zuletzt, sich die Freiheit zu nehmen, als Klassik-Label über reine Musikaufnahmen hinauszugehen. So tragen die aufwendig mit Klangbeispielen und Sprechertexten produzierten "Hörbiografien" großer Komponisten wie Robert Schumann, Gustav Mahler und Richard Wagner am Ende auch zum Musikgenuss bei: Denn wer mehr weiß, der hört auch mehr.

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SZ vom 02.11.2019
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