Als der Fußballer Peter Crouch 2005 zum FC Liverpool kam, bestand eine seiner ersten Handlungen darin, einen Aston Martin zu kaufen. Jahre später erzählte er in seiner Biografie, wie damals zwei innere Stimmen zu ihm sprachen. Die eine sagte, ein Aston Martin passe doch gar nicht zu ihm. Die andere machte ihm klar, dass für einen Angehörigen des Champions-League-Siegerteams die alten Gewohnheiten nicht mehr zählen dürften. So fuhr er nun mit seinem neuen Auto durch Manchester, Fenster runtergelassen, Ellbogen draußen, Sonnenbrille im Gesicht. Als Crouch an einer Ampel hielt, sah er im Wagen neben sich den großen Roy Keane am Steuer, Manchester Uniteds langjährigen Kapitän, eine Legende der englischen Liga. Crouch nickte und winkte ihm zu und wies mit dem Zeigefinger auf den Mann, dem er sich verbunden wähnte. Keane reagierte: Mit dem Ausdruck von Abscheu schaute er herüber, schüttelte den Kopf, wandte sich ab und starrte nach vorn, bis er die Fahrt fortsetzte. Am nächsten Tag verkaufte Peter Crouch seinen Aston Martin. Er machte 25 000 Pfund Verlust, aber er schätzte sich glücklich, und bis heute ist er Keane, "dem spirituellen Führer eines neuzeitlichen Fußballprofis", dankbar für die Erleuchtung.
Ivica "Ivo" Trifunovic, die Hauptfigur in Tonio Schachingers Debütroman "Nicht wie ihr", besitzt außer einem Aston Martin auch einen Bugatti und mindestens drei weitere teure Autos. Für ihn stellt dieser Fuhrpark keine moralische Herausforderung dar, sondern die obligatorische Ausstattung seines Lifestyles. Aber er weiß das Privileg des Luxus' zu genießen. "Wer keinen Bugatti hat, kann sich gar nicht vorstellen, wie angenehm Ivo darin sitzt", sagt der Erzähler im grandiosen ersten Satz dieses sehr originellen und witzigen und stellenweise auch sehr geistreichen Buches. Dass es in die Shortlist für den deutschen Buchpreis aufgenommen wurde, war wohl eine Überraschung, aber ganz sicher keine Verirrung.
Zum Geburtstag bekommt Ivo von seiner Frau Jessy ein besonders gutes Navigationsgerät mit fünf verschiedenen Halterungen geschenkt, damit er es in all seinen Autos benutzen kann. Doch er hasst das Navi und diese Frau darin, die ihm den Weg vorschreiben möchte, und auch die anderen Geschenke ärgern seinen rebellischen Geist: den Gutschein für einen Wellnesstag mit Jessy, das Bild für das Esszimmer und das Buch über den Tennisspieler Dominic Thiem. Mit jedem dieser Präsente fühlt er sich ausgespäht und durchschaut, am liebsten würde er vor der ganzen Familie zu seiner Frau sagen: "Wenn du mich wirklich kennen würdest, würdest du mir Kondome schenken, um mit einer anderen zu pudern." Ja, es geht häufig rüde zu in Ivos Gedankenwelt, ab und an meint man in Ivos Tiraden den Furor von Thomas Bernhard zu hören, doch dann gibt es auch die sensiblen und zärtlichen Momente, denn Ivo mag ein Prolet und kein gebildeter Mann sein, aber im Grunde ist er empfindsam und intelligent.
Es ist ein eigentümliches Dasein als schwerreicher Fußballprofi aus Wien-Favoriten
Jenseits der mehr oder weniger aufrichtigen Sportlerautobiografien hat es schon einige ernsthaft recherchierte Versuche gegeben, das tiefinnerliche Denken und Meinen von professionellen Fußballern zu ergründen, aber es sind dabei nicht viele so weitreichend vorgedrungen wie Schachingers fiktive Studie des 27 Jahre alten österreichischen Nationalspielers Ivo, der schon bei Real Madrid und dem Hamburger SV gespielt hat und nun beim englischen Mittelklasseklub FC Everton angestellt ist, 100 000 Pfund Wochenlohn erhält und viel Zeit damit verbringt, über sein Ich als Mensch und Fußballmillionär zu räsonieren. Fußball ist sein Leben und macht ihn glücklich, solange er mittendrin ist im Spiel, aber ohne den Ball kommt ihm das übrige Leben nicht selten traurig, leer und stumpfsinnig vor, dann drängt es ihn zur Verachtung für all die Leute, mit denen ihn sein Beruf zusammenbringt, etwa die vollgefressenen Funktionäre des österreichischen Verbandes oder die verlogenen Journalisten, die die üblichen Vorbehalte gegen ihn und seine Herkunft bedienen. Ivo stammt aus Wien, seine Familie aus Bosnien, für ihn ist die Stadt dem Ursprung nach "ein großes Wir, zu dem prinzipiell jeder dazugehören kann, ob Kroate, Bosnier, Serbe, Türke, Perser - man kann sogar als Österreicher dazugehören, solange man cool ist".
Oder aber, so zieht er die Grenze zwischen den Guten und den Anderen, "man entscheidet sich, keine Ausländerfreunde zu haben, und dann verpasst man alles, was gut an Wien ist und schimpft im Wirtshaus über Tschuschen". Es sei denn, die Tschuschen - die Zugewanderten vom Balkan - schießen das entscheidende Tor für Österreichs Nationalelf und gehören auf einmal dazu. Man denkt an die Klage des Gelsenkircheners Mesut Özil in seiner Rücktrittsrede: Warum nennt man mich Deutsch-Türke, wenn's schiefläuft? Auf die Bigotterie kommt Ivo am Beispiel von Jérôme Boateng zu sprechen, "wo ein Nazi gesagt hat, er würde nicht neben Boateng leben wollen, und sich daraufhin jede blöde Kartoffel zwischen München und Hamburg geil dafür gefühlt hat, dass sie sehr wohl neben ihm leben wollen würde". Und warum? Weil er reich ist und im schönsten Villenviertel von München lebt und nicht im Ausländerviertel Wien-Favoriten, aus dem Ivo stammt.
Trotz ihrer Berühmtheit bleiben Fußballer eine unbekannte Spezies
Schachingers Geschichte, die außer vom eigentümlichen Dasein des Fußballprofis von der Liebe und einem Mann zwischen zwei Frauen handelt (und in aller Deutlichkeit auch vom Sex), siedelt zwar im Wiener Milieu und hat neben der großen Sprachkunst einen spezifisch österreichischen Ton, aber sie ist grenzenlos wie der moderne Fußball. Geschickt platziert der Autor seine erfundene Hauptfigur im realen Geschehen, Ivo trifft reale Spieler wie David Alaba, Zlatko Junuzovic und Marko Arnautovic und schimpft auf DFB-Spieler wie Timo Werner und Leon Goretzka und die "seelenlosen Maschinen, die aus den deutschen Akademien strömen, ohne eine Ahnung von der Welt und sich selbst".
Die Deutschen kommen bei Ivo selten gut weg, er findet sie "fad" und spricht ihnen den Sinn für Schönheit ab, aber dann fallen ihm auch Gründe ein, sie zu bewundern. Das ist ja das Gute an seinen inneren Monologen: dass sie die Dinge philosophisch drehen und wenden. Bis Ivo sogar bei Gott anlangt und sich fragt: Macht Gott die Menschen mit Absicht böse, damit sie aus schlechtem Gewissen auf ihn hören?
Trotz ihrer Berühmtheit bleiben Fußballer eine unbekannte Spezies, Phänomene einer Popkultur. Für sein Buch schöpfte der Autor aus Presseberichten und den Selbstbildnissen der Akteure via Instagram, aber der Roman lässt einen glauben, er hätte die Villen der steinreichen jungen Männer von innen gesehen und mit ihnen im Aston Martin gesessen.
Tonio Schachinger : Nicht wie ihr. Roman. Kremayr & Scheriau, Wien 2019. 304 Seiten, 22,90 Euro.