Wenn das Wetter mitspielt und Berlin-Mitte von starken Winden verschont bleibt, wird in den kommenden Tagen die Laterne nebst vergoldetem Kreuz auf die Kuppel des Schlossneubaus gewuchtet. Wenig später soll dann das Gerüst vor dem Portal III an der Westseite abgebaut werden, das letzte Gerüst an der Außenfassade. Am Kuppeltambour, unterhalb des Gesimses, leuchten jetzt schon goldgelbe Großbuchstaben vor lasurblauem Grund. Man kann von unten immer nur einige Wörter oder gar Silben entziffern. Die Inschrift unter der Kuppel lautet vollständig: "Es ist kein ander Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, daß im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind." Verfasst hat den Spruch der König Friedrich Wilhelm IV. höchstselbst, er lehnte sich dabei an die Apostelgeschichte und den Brief an die Philipper an. Nun prangt diese Aufforderung, im Namen Jesu die Knie zu beugen, über dem Haupteingang in das Humboldt-Forum, das seiner Selbstbeschreibung zufolge ein Ort des Austauschs, der Vielstimmigkeit und globalen Diversität werden will.
Ein Weltmuseum unter einem Motto, das den Ludergeruch der Reaktion verbreitet?
Die Inschrift, in den Jahren vor der 1848er Revolution entworfen, war wie die Kuppel im Ganzen eine Botschaft an die Berliner und die sonstigen Untertanen des preußischen Königs, der sich ganz durchdrungen von Gottes Gnaden fühlte und eine Verfassung nicht zugestehen wollte. Der König, der mehr Begabung zum Architekturzeichner als zum Monarchen besaß, wusste, was er tat. Karl Friedrich Schinkel hatte einen Kuppelentwurf hinterlassen, der ohne krönendes Kreuz auskam. Nach dem Vorbild des Pantheons in Rom hatte er eine kreisrunde Öffnung in der Mitte der Kuppel vorgesehen.
Vor zwei Jahren löste die Mitteilung, großzügige Einzelspenden würden die Rekonstruktion auch von Laterne und Kreuz ermöglichen, eine scharfe, aber kurze Debatte aus. Sie kam zu spät, den Missgriff zu verhindern. Wegen Bauverzögerungen und Pandemie kann das Humboldt-Forum frühestens Ende dieses Jahres einige Abschnitte öffnen. Aber jetzt schon kann man sagen, dass jene symbolisch bedeutsamen Bauteile besonders sorgfältig rekonstruiert wurden, die, um eine königliche Formulierung zu variieren, den Ludergeruch der Reaktion verströmen.
Der Einwand, da werde halt ein Bau-, ja ein Kunstwerk historisch getreu rekonstruiert, trifft nicht. Er verschleiert vielmehr, wie viele Einzelentscheidungen falsch und ohne große öffentliche Diskussion gefällt worden sind. Wer sich historische Ansichten aus dem späten 19. Jahrhundert ansieht, stellt rasch fest, dass die Westfassade mit Portal III und Kuppel darüber anders aussah, als sie heute rekonstruiert wird. Das Hauptgesims war gerade, es fehlte die "barocke Aufrollung" (Albert Geyer), die Eosander von Göthe geschaffen hatte. Sie war Ausbesserungsarbeiten zum Opfer gefallen, erst 1902 ließ Wilhelm II. die Gesimsaufrollung wiederherstellen, die nun auch am Neubau zu finden sein wird. Das ist nur ein Beispiel unter vielen, die belegen, dass Rekonstruieren nicht einfach nachbauen heißt, sondern eine Fülle einzelner Entscheidungen voraussetzt. Warum, wenn schon das Kreuz wieder errichtet werden sollte, entschied man sich auch noch für die goldfarbene Inschrift? Hätte ein lasurblauer Streifen nicht gereicht?
Ein kämpferisches christliches Kreuz - und gleich darunter eine buddhistische Höhle
Wer sich erinnert, wie erbittert in den Neunzigerjahren über die Reichstagskuppel gestritten wurde, ein Symbol parlamentarischen Stolzes, der kann sich nur wundern, dass die vermaledeite Schlosskuppelrekonstruktion so ungestört ins Werk gesetzt werden konnte. Was man zur Bau- und Reko-Geschichte wissen muss, steht in einem glänzenden Aufsatz der Kunsthistorikerin Laura Goldenbaum (Die Sache mit dem Kreuz, Kunst und Kirche, 2/2019).
Die Expertenkommission, die 2001 die Rekonstruktion der Fassaden empfahl, überließt die Kuppelfrage der weiteren Arbeit am architektonischen Entwurf und schwieg zum Kreuz. So hielten es auch die Bundestagsbeschlüsse zu diesem Riesenkulturvorhaben des Parlaments.
Aber 2008 hieß es im Ausschreibungstext des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung: "Die Errichtung einer Kuppel im Bereich des ehemaligen Hauptportals ist vorzusehen." Alle Wettbewerbsbeiträge ohne Kuppel wurden ausgeschlossen. Den Wettbewerb gewann bekanntlich Franco Stella, aber auf dem Holzmodell, das 2008 präsentiert wurde, fehlte das Kreuz. Auf den Renderings des Architekten, so Laura Goldenbaum, sei es kaum zu erkennen, verschwimme "mit dem azurblauen Himmel des Hintergrundes". 2011 beschloss der Bundestag das Budget, falls Spenden dafür einträfen, könne die Kuppel als "bauliche Option" realisiert werden. Sie kamen, schon 2013 teilte die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss mit, dass dank anonymer Großspenden der vollständige Kuppelwiederaufbau möglich sei. Und 2015 spendete Inga Maren Otto, die Witwe des Versandhausgründers, eine Million Euro für das Kreuz. Nun wird es bald einschweben. Freunde der öffentlichen Debatte müssen sich fragen, warum diese symbolisch wichtige Frage so lange im Schatten des Streits blieb. Fast möchte man die Albernheit begrüßen, neben die Kuppel einen Gastrowürfel auf das Schlossdach zu setzen. Ganz ernst meint es bei diesem Bauwerk offenkundig keiner mit den Formen und Gestalten.
Unterhalb der Kuppel mit dem christlichen Exklusivanspruch entsteht ein zweiter Kuppelraum, dort wird die buddhistische "Höhle der ringtragenden Tauben" aus dem Museum für asiatische Kunst gezeigt. Konservatorische Rücksichten erzwingen eine Zwischendecke aus Beton. Der Kuppelraum wird auf der Höhe von 14 Metern geteilt. Wenn der Kran das Kreuz bringt, will die Stiftung Humboldt Forum online ein Dossier zum Thema veröffentlichen. Die Spannungen zwischen der architektonischen Form und dem Inhalt, zwischen Symbolen und Programmatik werden noch reichlich Stoff für Diskussionen bieten und für Veranstaltungen im demnächst öffnenden Haus.