125. Todestag von Ludwig II.:Die Junggesellenmaschine

Von den meisten gebildeten Menschen wird Ludwig II. als Inbegriff des schlechten Geschmacks verachtet. Höchste Zeit, ihn als Architektur-Träumer neu zu entdecken - zu seinem 125. Todestag in diesem Jahr.

Gottfried Knapp

Die Tsunami-Welle, die anlässlich des 125. Todestags von Märchen-König Ludwig II. den Ludwig-Kult um die Erde tragen und Bayern mit Devotionalien überschwemmen wird, schiebt ihre ersten Vorboten voran. Seit Beginn des Jahres vergeht keine Woche, in der nicht Pressekonferenzen von kommenden Aktivitäten künden. Das spektakulärste, aber auch ehrgeizigste Unternehmen wird fraglos die Landesausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte in der gewaltigsten baulichen Hinterlassenschaft Ludwigs, in den nie fertig gebauten Raumfluchten des Neuen Schlosses auf der Herreninsel im Chiemsee, sein.

A HANDOUT PICTURE SHOWS A SCENE FROM THE NEW KING LUDWIG MUSICAL IN FUESSEN

Seine literarisch-theatralischen Träume und Illusionen wollte Ludwig II. in die Welt zwingen - 2011 ist sein 125. Todestag (Bild: undatiertes Szenenfoto aus dem Musical "Ludwig II").

(Foto: REUTERS)

Was immer diese lange vorbereitete Schau an bekannten Mythen oder neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu bieten haben wird - an der unvergleichlich breiten Volkstümlichkeit des solipsistisch agierenden Monarchen werden auch ehrliche Aufklärungsbemühungen nichts ändern. König Ludwig II. bleibt der Liebling des (bayerischen) Volks und der international umhervagierenden Romantik-Touristen. In der gotthaften Aureole, die ihn nach seinem rätselhaften Tod in den Mythenhimmel Bayerns hinauf begleitet hat, ist er nur mit der schon zu Lebzeiten ähnlich verklärten, dann aber im Kino- und Musical-Zeitalter allen irdischen Realitäten enthobenen "Sissi" vergleichbar. Dass diese beiden Traumfiguren der neueren deutschen Geschichte, wenn sie wieder einmal einander zugeführt werden, die Seelen der Menschen beben lassen wie niemand sonst - wen wunderts.

Die in unzähligen dümmlich-sentimentalen Kitsch-Objekten kulminierende Popularität des Bayern-Königs hat vielen Kultur-Interessierten bis heute den Zugang zu jener einzigartigen Künstlerfigur verstellt, die in den unzeitgemäßen und doch kühn der neuesten Technologien sich bedienenden Hervorbringungen Ludwigs sichtbar wird. Ludwig war einer der ersten Bauherren, die den neuen Erfindungen der Elektrizität und des Telefons Eingang in ihre Lebensräume verschafft haben. Doch ihm ging es, anders als seinem Vater Maximilian II., der die "Erste Allgemeine Deutsche Industrieausstellung" nach München holte und dafür den bautechnisch revolutionären Glaspalast errichten ließ, nicht darum, mit der Moderne Schritt zu halten. Für ihn waren die neuen Techniken Mittel, um literarisch-theatralische Träume und Illusionen, die anders nicht realisierbar waren, in die Welt zu zwingen.

Als Harald Szeemann 1975 den von Marcel Duchamp lange vorher schon benutzten Titel "Junggesellenmaschinen" über eine Ausstellung setzte, die mit riesigem Breitenerfolg bauliche und bildnerische Kreationen vergessener männlicher Außenseiter und Einzelgänger vorstellte, gelang es ihm, einen bis dahin geschmähten, verdrängten oder kaum beachteten Sonderbereich der männlichen Kreativität spektakelhaft zu nobilitieren.

Viele der damals vorgestellten Naiv-Kreativen sind heute fest etabliert im Bewusstsein der Kunstszene. Der königliche Junggesellenmaschinist Ludwig II. aber, der fraglos der bedeutendste Traumhaus-Konstrukteur des 19. Jahrhunderts war, wird von den meisten gebildeten Menschen, vor allem aber von Künstlern und Architekten, die als zeitgemäß gelten wollen, immer noch als Inbegriff des schlechten Geschmacks verachtet. Dabei gehören seine Bauten nicht nur zu den ingenieurtechnisch wagemutigsten ihrer Zeit, sondern auch zu den räumlich phantasievollsten, zu den großen architektonischen Ausnahmen, die eine Landschaft nicht zerstören, sondern überhöhen und zum Natur-Gesamtkunstwerk veredeln.

Der in der Münchner Residenz ehedem frech über die Raumfluchten des Festsaaltrakts gestülpte gläserne Wintergarten mit seinem Schwanenteich und seinen Kokos- und Dattelpalmen könnte als naturexotische Traumerfüllung lang vor den Sehnsuchtswellen des Ferntourismus gefeiert werden. Neuschwanstein, mit neuartigen Stahlkonstruktionen auf den Felsen geschmiedet; Linderhof und Herrenchiemsee als landschaftsbezogene Evokationen der großen Momente des bayerischen Rokoko und des französischen Barocks; das nur nach anstrengendem Fußmarsch erreichbare, orientalisch ausgestattete Königshaus am Schachen als Zielpunkt delirierender Phantasien - nicht einmal in die Geschichte des Historismus sind diese Architekturutopien aufgenommen worden. Vielleicht gelingt es den Aktivitäten dieses Jubiläumsjahrs, den Schöpfungen Ludwigs endlich jenes breite Ansehen zu verschaffen, das sie innerhalb der Phantasiewelt des 19. Jahrhunderts längst verdient haben.

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