Romandebüt von Timon Karl Kaleyta:Aus dem Leben eines Selbstverliebten

Romandebüt von Timon Karl Kaleyta: Hinter jedem Fiasko taucht ein neuer Gönner auf: Timon Karl Kaleytas Held kann nichts misslingen.

Hinter jedem Fiasko taucht ein neuer Gönner auf: Timon Karl Kaleytas Held kann nichts misslingen.

(Foto: imago stock&people)

Er ist egoistisch, feige und größenwahnsinnig. Trotzdem kommt Timon Karl Kaleytas Held in "Die Geschichte eines einfachen Mannes" immer mit allem durch.

Von Christiane Lutz

Das Tolle an Schelmenromanen ist ja, dass die Leserin vom Schelm genauso eingewickelt wird wie alle Figuren im Roman. Mehr noch, sie wird zu seiner Komplizin, weil sie mehr weiß als die anderen Eingewickelten. Sie sieht zwar die fragwürdigen Charakterzüge des Schelms und findet das ein oder andere vielleicht anstößig, aber sie wünscht sich doch immer, dass der Schelm durchkommt. Weil er clever ist und lustig, charmant vielleicht oder wenigstens originell.

Bei diesem Typen aber spürt man bei jedem seiner Rückschläge herrliche Genugtuung. Man sehnt seine Blamage herbei. Man will, dass er scheitert. Denn der Protagonist in Timon Karl Kaleytas Romandebüt "Die Geschichte eines einfachen Mannes" ist, man kann es nicht anders sagen, ein gigantischer Kotzbrocken. Und darin leider so unbeirrbar, dass man, in Hassliebe gebannt, der Geschichte bis zum Ende folgen muss.

Kaleyta hat eine Art modernen Schelmenroman geschrieben und erzählt von einem namenlosen Ich-Erzähler auf der Suche nach seiner Bestimmung. Diese, so viel weiß er immerhin, soll auf jeden Fall aus viel Geld und wenig Arbeit bestehen. Die Geschichte beginnt 1998 in einer nordrhein-westfälischen Stadt, der Erzähler steht kurz vor dem Abitur und ist zu dem Zeitpunkt bereits sehr berauscht von sich: "Mein Leben bis zu diesem Tag erinnere ich als eine einzige, nie endende Aneinanderreihung schöner und allerschönster Momente."

Der Optimismus des Erzählers beruht auf seiner hohen Meinung von sich selbst

Er ist ein Kind der fetten Achtzigerjahre, spielt sorglos auf Feldern, seine Eltern kümmern sich um sein Wohlergehen. Optisch hat er es auch ganz gut erwischt, außerdem hat er "unglaublich weiche Hände", mit denen er sich künftig erfolgreich aus jeder körperlichen Arbeit rausreden wird. Dementsprechend entsetzt ist er, als Gerhard Schröder im September 1998 zum Bundeskanzler gewählt wird. Wozu Helmut Kohl aufgeben? Wozu sollte Veränderung gut sein, wenn alles schon so allerschönst ist?

So nimmt er fortan jede Veränderung als persönliche Kränkung wahr und versucht dennoch, diese zu seinen Gunsten zu nutzen - und auf irritierende Weise gelingt ihm das immer. Er studiert irgendwelche Geisteswissenschaften, weil er zu faul ist, sich ordentlich über zulassungsbeschränkte Fächer zu informieren. Er schreibt aus Versehen einen Hit, weil sein treuer Freund Sebastian (eine der wenigen Figuren mit Namen) ihm das Studio dafür liefert. Er kommt unbeschadet durch ein teures Auslandssemester in Madrid, weil ihm eine nette Spanierin ein Nest bereitet. Als es Zeit wird, nach Deutschland zurückzukehren, verlässt er sie, selbstverständlich grußlos.

Das "einfach" im Titel des Romans ist natürlich Ironie. Einfach, das sind seine Eltern, zwei Fabrikarbeiter und Reihenhausabbezahler. Einfach sind seine Kommilitonen, die das Zeug zu gar nichts haben. Einfach sind auch seine Bandkollegen, die ohne sein Genie freilich absolute Nullnummern wären. Dieser Schelm ist ein Schmarotzer und Narzisst, er ist faul und feige. Ein Redenschwinger und Ranwanzer, ein sich selbst Über- und andere Unterschätzer. Das netteste an ihm ist sein großzügig versprühter Optimismus, der sich vor allem aus der Annahme der eigenen Großartigkeit speist: Wer könnte ihm ernsthaft Böses wollen?

Man beobachtet fassungslos, wie ihm immer alle vergeben

Seine Sprache strotzt von Phrasen, dass kein Auge trocken und kein Stein auf dem anderen bleibt, bis er von allen Göttern verlassen ist. Kein Wunder, schließlich handelt es sich um den autobiografischen Bericht eines Selbstverliebten, der Pathos nicht von schlechtem Stil unterscheiden kann. Er verfügt zudem über kein besonderes Charisma, auch keinen bestechenden Humor, kein faszinierendes Wesen, mit dem andere Hochstapler wie etwa der berühmte Felix Krull ihre Mitmenschen einwickeln. So steht man fassungslos daneben, während ihm Episode für Episode alle wieder und wieder vergeben.

Diese Art Großkotz ist nicht mehr zeitgemäß. Die Generation Z gilt als bescheiden und selbstkritisch. Sie sucht gesunde Beziehungen und macht ordentlich Schluss, wenn es so weit ist. Sie recycelt und wählt grün, sie hält moralische Standards hoch. Und wenn sie scheitert, scheitert sie klug. Sie tut zumindest so.

Kaleytas Erzähler ist zu alldem der Gegenentwurf. Kein Loser, kein Verzagter, sondern ein Größenwahnsinniger ohne Selbstironie, aber viel Selbstmitleid. Damit führt er in der Figur des Erzählers die Arroganz und Heuchelei einer ganzen Generation vor: Studieren auf Kosten der Eltern, bis 30 keinen Tag gearbeitet haben, keine Not und keine Klimakrise kennen, sondern als Kind der Achtzigerjahre in Westdeutschland aufgewachsen sein und sich deshalb aus Prinzip im Recht fühlen. Bescheidenheit muss man sich auch leisten können. Kaleytas Debüt ist also so nervig wie lustig, so absurd wie treffsicher.

Vielleicht ist das Ganze ja auch eine große Geste selbstironischer Selbstkritik

Timon Karl Kaleyta, der Drehbücher für die sehr komische Serie "Jerks" schreibt, ist übrigens selbst 1980 in Bochum geboren, studierte Geisteswissenschaften (auch in Madrid) und ist Sänger der Band Susanne Blech, mit der er ironischen, leicht anstrengenden Elektropop macht. Während sein Romanerzähler und Bandfrontmann kryptischen Nonsens dichtet wie: "Unter den Steinen explodiert das Intendantenhaus. Frauen legen ihre Hand nervös auf den gespannten Bauch", dichtet Kaleyta in dem Song "Helmut Kohl" - Überraschung: genau dasselbe.

Romandebüt von Timon Karl Kaleyta: Timon Karl Kaleyta: Die Geschichte eines einfachen Mannes. Roman. Piper, München 2021. 320 Seiten, 20 Euro.

Timon Karl Kaleyta: Die Geschichte eines einfachen Mannes. Roman. Piper, München 2021. 320 Seiten, 20 Euro.

Der Autor schreibt also natürlich auch über sich selbst und gibt sich wenig Mühe, das zu verbergen. Vielleicht ist das Ganze ja auch eine große Geste selbstironischer Selbstkritik für vergangene Sünden, sofern Selbstkritik überhaupt ironisch sein darf.

Wenn der Schelm am Ende des Romans dann schließlich doch die Band, die Freundin und auch die treusten Freunde verloren hat und eine Läuterung diesmal wirklich absolut unausweichlich scheint und dann aus dem Nichts schon wieder ein verständnisvoller Gönner auftaucht und etwas in ihm sieht, das man 300 Seiten lang nicht gesehen hat, dann kann man eigentlich nur noch hysterisch lachen. Man lacht, weil man dem Schelm wahrscheinlich selbst die Hand hinstrecken würde, um ihm aufzuhelfen, ein allerletztes Mal. Man lacht auch, weil man weiß, dass man diesen Gönner im Leben selbst vielleicht einmal brauchen wird.

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