Tim Mälzer im Interview:Heimat? Gefährliches Terrain für einen Koch!

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(Foto: imago; Sundance Communications; photocase; Bearbeitung SZ)

Ist die hiesige Küche durch fremde Einflüsse bedroht? Und kann man Bouletten verbessern? TV-Koch Tim Mälzer über Hühnerfrikassee, soziale Verantwortung und Deutschland in drei Gängen.

Von Carolin Gasteiger

Tim Mälzers Heimat ist Norddeutschland, genauer gesagt Hamburg. Vor ein paar Jahren entdeckte der TV-Koch, wie viel Deutschland und die lokale Küche eigentlich zu bieten haben - und machte ein Kochbuch daraus. Der Titel: Heimat. Grund genug, mit dem 46-Jährigen (Kitchen Impossible, wieder ab 4. Februar auf Vox) über die Frage zu sprechen, wie Heimat eigentlich schmeckt und ob heimatliches Kochen nicht auch Gefahren birgt.

SZ: Herr Mälzer, Deutschland in drei Gängen: Wie sieht das aus?

Tim Mälzer: Erster Gang: Suppe. Ist egal, welche. Aber Suppe.

Klar oder Gemüse?

Gemüse. Kartoffel, Steckrübe - der Deutsche isst gerne Suppe. Fertig. Es kann auch ein Eintopf sein. Aber so was eben. Zweiter Gang würde ich Schnitzel sagen. Und dritter Gang ...

Was ist Heimat?

Jeder Mensch hat eine Heimat. Oder nicht? Oder auch zwei? Eine Artikelreihe untersucht die Ver- und Entwurzelung in bewegten Zeiten. Alle Texte lesen.

... Moment! Welche Beilage?

Mischgemüse.

Mischgemüse? Also alles drin?

Ja. Wir sind eine Mischgemüse-Nation. Wenn Sie am Tiefkühlregal vorbeigehen, da wird gern Gemüse gemischt. Meistens in Rahmsoße. Karotten-, Erbsen-, Leipziger-Allerlei: immer Rahmsoße. Wir nehmen für unser Deutschland-Menü aber Bechamelsoße.

Schnitzel mit Bechamelsoße?!

Ja. Oder Erbsen-Möhren-Gemüse.

Klingt schon gewagt.

Na ja, es geht ja nicht um das Lieblingsessen der Deutschen. Sondern darum, Deutschland kulinarisch auf einem Teller anzurichten. So sieht das aus. Zum Schluss gibt es übrigens Vanilleeis mit heißen Himbeeren.

Und das schmeckt alles nach Heimat?

Das kommt darauf an. Heimat hat ja weniger mit der Region zu tun, in der man aufwächst, sondern mit dem Elternhaus. Je nachdem mit welchem Essen man von kleinauf konfrontiert wird - der kulinarische Eindruck bleibt. Und der bildet schließlich die geschmackliche Heimat.

Sie sind in Elmshorn aufgewachsen - was wäre das bei Ihnen?

Steckrüben und Kartoffeln sind bei mir ganz weit oben auf dem Speisezettel. Oder die gute alte Zitronenrolle, das ist für mich Heimat. Und das Tolle ist: Heimat auf dem Teller kann auch woanders passieren. Vor ein paar Wochen war ich in Japan und Korea unterwegs und hatte große Lust auf ein Butterbrot. In einem französischen Hotelrestaurant habe ich schließlich ein Baguette mit gesalzener Butter gegessen. Das hat sich absolut nach Heimat angefühlt.

Was ist die deutscheste aller Zutaten?

Schweinefleisch - in allen Varianten. Vom Braten über Schnitzel bis zum Hackfleisch. Diese Art von kultureller Identität wird nie gänzlich verschwinden. Stattdessen wird sich die Qualität nach oben bewegen, ich glaube tatsächlich, der nächste Trend wird eine Modernisierung dieser Gerichte sein, und Schweinefleisch wird bleiben.

Lässt sich Heimat eher mit dem Kopf oder mit dem Bauch erfassen?

Auf jeden Fall mit dem Bauch. Alles andere passt nicht. Was herauskommt, wenn man versucht, Heimat mit dem Kopf zu erfassen, erleben wir ja gerade im politischen Bereich. Dann fallen Sätze von Leitkultur, Heimatgedankengut und Ähnlichem. Aber wenn ich an Menschen denke, die ein Bedürfnis nach Heimat haben oder an Geflüchtete, die ihre Heimat vermissen, dann meint der Ausdruck eigentlich etwas sehr Schönes. Eine Identität, die einen definiert. Aber das ist eben emotional und nicht kopflastig. Heimat ist definitiv Herz.

Aber der Ausdruck wird politisch und gesellschaftlich ganz schön strapaziert, im schlimmsten Fall missbraucht. Ist so ein Missbrauch von Heimat auch kulinarisch möglich?

Von Missbrauch würde ich nicht gleich sprechen. Vielleicht eher von Unkenntnis. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Heimat im Essen stecken kann. Nehmen wir Italien. Pasta ist an sich immer das Gleiche: Mehl, Hartweizengries und ein bisschen Ei. Aber die Menschen diskutieren wie die Irren, wie die Zubereitung denn nun richtig geht. In der kommenden Staffel von "Kitchen Impossible" gibt es eine Episode, in der ich mit einer 90-jährigen Italienerin Orecchiette koche. Für die ganze Familie. Aber ich kann machen was ich will: Gegen ihre Emotionen dem Gericht gegenüber komme ich nicht an. Was ich statt der Original-Orecchiette mache, empfindet die ganze Familie als totalen Missbrauch. Mir hat mal nach einer Sendung eine österreichische Dame geschrieben, dass ich die Krautfleckerl verhunzt hätte. Ich habe sie auf hanseatische Art mit Räucheraal zubereitet. Aber diese Dame hatte einen ganz besonderen Bezug zu einer besonderen Zubereitung von Krautfleckerl. Der Brief endete mit: "Unseren Adolf Hitler konntet Ihr haben, aber die Krautfleckerl bleiben bei uns." Das war natürlich mit Humor gemeint.

"Die Bulette muss die Bulette bleiben"

Trotzdem steckt eine wichtige Frage drin: Wie weit darf ein Koch in die Heimat eingreifen?

Gar nicht. Wir reden ja über richtiges Heimatgefühl. Und da hat doch jeder das Rezept für Frikadellen oder weiß am besten, wie Kartoffelsalat geht. Am Ende haben wir hundert Meinungen und jede einzelne ist von einem heimatlichen Gefühl geprägt. Da darf es kein links und rechts geben. Und das verstehe ich auch.

Klingt, als wäre Heimat gefährliches Terrain für einen Koch.

Klar, die Erwartungshaltung ist da sehr hoch. Gibt es ein Gericht, das Ihnen gut schmeckt und das Sie in diesen heimatlichen Rahmen einordnen würden?

Dampfnudeln.

Dampfnudeln, gut. Jetzt mache ich die aber mit karamellisiertem Ingwer. Da sagen Sie wahrscheinlich auch, das ist interessant, aber nicht das, was ich will.

Aber hallo!

Eben. Sie kennen wahrscheinlich ein Restaurant, in dem es gute Dampfnudeln gibt oder jemanden, der die besonders gut zubereitet. Und sich an diesem Bild zu messen, ist fast unmöglich. Das ist eine Mörderherausforderung, der wir uns ja auch immer bei Kitchen Impossible stellen müssen. Auf unserer Speisekarte (Anm. d. Red.: in der Bullerei) steht Hühnerfrikassee, was ich ziemlich einfach finde - zumindest, was die Emotionalität betrifft. Höchstens über die Möhren kann man streiten, sonst ist das eine ziemlich eindeutige Geschichte. Das andere ist Senfei. Sieht unschön aus, schmeckt aber fantastisch. Bei allen Gerichten ab hier geht man ein emotionales Risiko ein.

Aber wenn Hühnerfrikassee und Senfei gesetzt sind, können Sie sich bei anderen Gerichten austoben?

Richtig. Und die Bulette muss die Bulette bleiben. Auch beim Kartoffelsalat brauchen wir nicht mit kreativen Sperenzchen anzufangen.

Ist es Ihnen wichtig, Heimat im Essen zu bewahren?

Ich möchte die Leute berühren und einen heimatlichen Gedanken in meine Gerichte hineinbringen. Ich möchte nicht dafür gelobt werden, wie kreativ oder perfekt ich koche, sondern ich möchte, dass die Leute sagen: Hm, das war richtig schön. Das treibt mein ganzes Handeln an. Emotionalität, kein Perfektionismus. Und diese Emotionalität zu erzeugen, schaffe ich mit Produkten und Aromen, die uns bekannt sind.

Wie viel äußere Einflüsse verkraftet Heimatküche?

Eine ganze Menge. Ich war neulich bei dem niederländischen Koch Sergio Herman essen und der hat ein Gericht seines Vaters weiterentwickelt: Aal. Er hat dabei raffinierte Zutaten verwendet: hier ein Cremchen, da ein Tröpfchen - aber eben so, dass die Seele und der Charakter des Gerichtes erhalten bleiben. Und damit hat er ein beinahe vergessenes Gericht wiederbelebt. Es wäre schade, wenn solche Gerichte verloren gingen, weil man sie in ihrem alten Duktus lässt.

Auf der einen Seite gibt es also das Hühnerfrikassee, das man nicht verändern soll, und auf der anderen Seite Gerichte wie den Aal, dessen Charakter man gerade erst durchs Weiterentwickeln bewahrt?

Genau. Würden wir Labskaus etwa so servieren wie noch vor dreißig Jahren, dann würden wir solche Gerichte verlieren. Wenn wir uns ein wenig an der Tradition orientieren und das ein bisschen in die Neuzeit hinübertragen, ist das wunderschön.

In Ihrer Sendung versuchen Sie, Rezepte in anderen Ländern möglichst originalgetreu nachzukochen. Worauf kommt es dabei an?

Manchmal braucht man keine fachliche Kompetenz, sondern Gespür. Da erreicht man mit Bauchgefühl mehr als mit dem perfekten Garpunkt. An der Technik zu scheitern, finde ich nicht schlimm. Viel dramatischer ist es doch, wenn ich ein Gericht verstanden habe, es beim Nachkochen aber einfach nicht hinkriege. Das sind Niederlagen, die finde ich viel schmerzhafter. Auf Mallorca habe ich unsäglich viele Paellas gekocht. Und die waren wirklich gut. Aber glauben Sie, dass ein Spanier gesagt hat, dass sei eine gute Paella gewesen? Die haben gesagt, das war eine gute Reispfanne. Aber mit Paella wäre ich nicht durchgekommen. Alle hatten ihre Oma, ihre Schwester, ihre Mama, die Tante, die es zehn Mal besser können. Und das ist das Besondere am Kochen: Wir haben dieses Erlebnis emotionalisiert und interpretieren in bestimmte Gerichte etwas hinein, das man mit keinem Rechenschieber der Welt erklären kann. Aus diesem Grund wird die Geschichte des Kochens auch nie auserzählt sein.

Mein "Seelenessen" sind Spaghetti Bolognese

Ihr Restaurant "Bullerei" steht in Hamburg wenige Meter von der Roten Flora entfernt, mitten auf der Schanze und prägt das Viertel. Haben Sie als Koch eine moralische Verantwortung Ihrer Heimat gegenüber?

Das ist ein bisschen wie mit Fußgängerzonen, die alle gleich aussehen. Da geht Vielfalt verloren. Reisen und Kulinarik ist ja etwas sehr Spannendes und wenn man dann die immer gleichen Läden in den unterschiedlichsten Städten findest, ist das langweilig. Diese Haltung vertreten wir in der "Bullerei" auch und prägen das Viertel mit. Auf der Schanze gibt es zwei Restaurants, inklusive der "Bullerei", die eher heimatlich-deutsch kochen. Die anderen sind von internationalen Einflüssen geprägt, die inzwischen aber genauso zu uns gehören. Als beliebtester Deutscher wird ja auch regelmäßig Mozart genannt, obwohl er gar keiner von uns ist. Wir haben ihn für uns adaptiert. Mit dem Essen ist das ähnlich.

Also steht ein Teil der Heimat fest, wird aber durch neue Einflüsse modifiziert.

Ja. Das Schöne ist, dass wir das in unserer Welt können: über den Tellerrand zu schauen. Und wir sind in der Lage, eine Identität zu besitzen und trotzdem weltoffen zu sein. Aus der Sicherheit, dass wir eine Heimat haben, können wir uns allen Dingen öffnen. Ohne sie verlieren zu müssen. Wir brauchen eine Identität, ein Fundament, um die Schönheit woanders erkennen zu können.

Wo kommen Sie kulinarisch zu Hause an? Bei Currywurst oder Fischbrötchen?

Was ist Heimat? - Ein Schwerpunkt

Jeder Mensch hat eine Heimat. Oder nicht? Oder auch zwei? Eine Artikelreihe untersucht die Ver- und Entwurzelung in bewegten Zeiten. Alle Texte lesen.

Ganz anders. Mein "Seelenessen" sind tatsächlich Spaghetti Bolognese in allen Varianten. Oder einfach Pellkartoffeln mit Butter.

Klingt ziemlich handfest.

Heimat schmeckt immer handfest.

Inwiefern?

Ich habe in vielen spektakulären Restaurants gegessen. Alles Sterne-Läden, feinste Küche. Aber ich habe dort nie Heimat gegessen. Nicht ein einziges Mal. Ich habe Heimat immer nur in einfacheren Lokalen gegessen.

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